Das Geheimnis von Belle Island. Julie Klassen

Das Geheimnis von Belle Island - Julie Klassen


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sah ihren Gast an. »Wenn Sie bleiben, Mr Booker, dann müssen Sie auch zu unserer Feier kommen!«, sagte sie.

      Doch Isabelle warf rasch ein: »Rose, ich habe nachgedacht: Angesichts von Onkel Percys Tod weiß ich nicht, ob eine weitere Feier angemessen wäre.«

      »Es tut mir leid, dass er tot ist, wirklich, aber er war doch nur ein entfernter Verwandter. Und außerdem hat er sich viel zu stark in unser Leben eingemischt und versucht, alles zu kontrollieren. Soll das nach seinem Tod einfach so weitergehen? Es hätte ihm gefallen, der Grund für ein weiteres abgesagtes Fest zu sein. Nein!«

      Rose nahm Isabelles Hand. »Ich weiß, dass es schlimm für dich war, dass du nicht mit uns zusammen in London feiern konntest. Und ich weiß auch, dass du dich damit getröstet hast, dass du hier ein zweites Fest für uns geben willst. Du hast dich so sehr darauf gefreut!«

      Sie beugte sich vor. »Außerdem haben wir im Dorf Miss Truelock getroffen. Sie hat uns schon erzählt, wie sehr sie sich auf das Fest freut!«

      Arminda Truelock war die Tochter des Pfarrers und Isabelles beste Freundin. Eine alte Jungfer wie sie, die viel zu wenig gesellschaftliche Kontakte und Vergnügungen im Leben hatte. Isabelle hasste es, sie enttäuschen zu müssen.

      Sie zögerte. »Nun ja, ein Essen käme wohl infrage. Aber Tanzen … ich weiß nicht …«

      »Oh, aber wir müssen tanzen! Wie bei einem altmodischen Rèiteach

      »Rei-tschach?«, fragte Mr Booker nach.

      »Das ist Gälisch. Eine Verlobungsfeier«, erklärte Isabelle. »Eine lange Tradition in unserer Familie.«

      »Und wir können sie auch nicht mehr verschieben«, fügte Rose hinzu, »weil ich bald eine alte, verheiratete Frau sein werde, und dann ist es zu spät für eine Verlobungsfeier.«

      Isabelle zuckte zusammen, doch sie brachte ein Lächeln für ihre geliebte Nichte zustande, die offenbar mit Bedacht das Thema ihrer bevorstehenden Hochzeit zur Sprache gebracht hatte. Isabelle hatte gehofft, Rose würde auf der Insel heiraten, in der kleinen Kapelle des Herrenhauses, doch Rose hatte freundlich eingewandt, dass die Kapelle viel zu klein für die vielen Gäste war, die sie und die Adairs einladen würden. Isabelle hatte entgegnet, dass sie dann in St. Raymonds im Dorf heiraten und danach zum Hochzeitsfrühstück auf die Insel kommen könnten, wo sie, Isabelle, mit Freuden sämtliche Gäste bewirten würde. Rose schien für diese Idee auch aufgeschlossen zu sein, doch Mr Adair meinte, die Reise sei zu weit für seine Londoner Verwandten und Freunde.

      Rose hatte das Ganze beendet, indem sie sagte, sie würden später noch einmal darüber reden. Doch dieses Später rückte mit Riesenschritten näher. Wie sollte Isabelle es ertragen, nicht an der Hochzeit ihrer Nichte teilzunehmen? Rose war mehr eine Tochter für sie als eine Nichte, schließlich hatte sie sie nach dem Tod ihrer Eltern praktisch großgezogen.

      Ihr Herz geriet aus dem Takt. Warum nur kann ich diese Angst nicht überwinden?

      Isabelle erhob sich. »Ich muss es Mrs Philpotts sagen. Entschuldigt mich bitte.«

      Mr Booker folgte ihr aus dem Zimmer. »Ihre Nichte hat mich aus Höflichkeit eingeladen, das ist mir bewusst. Aber das ist nicht nötig.«

      »Es war nicht nur Höflichkeit, glauben Sie mir.« Isabelle schenkte ihm ein schiefes Lächeln. »Wir könnten noch einen Mann sehr gut gebrauchen. Haben Sie Abendkleidung?«

      »Nicht dabei.«

      Isabelle sah ihn abschätzend an. Angenehme Gesichtszüge. Tiefbraune Augen. Dunkles, leicht gelocktes Haar. Groß, gute Figur und schlank, aufrechte Haltung. »Ich glaube, Sie haben etwa die Größe meines Vaters. Und die Männermode verändert sich ja längst nicht so schnell wie unsere. Ich werde Mr Adairs Kammerdiener bitten, ein paar von Papas Sachen auszubürsten und aufzubügeln. Natürlich nur, wenn Sie einverstanden sind.«

      »Selbstverständlich.«

      »Gut.« Sie zögerte. »Und … da Sie zum Fest kommen und uns mit der Vormundschaft helfen, sollten Sie auch auf der Insel bleiben. Sie brauchen nicht in ein Gasthaus zu ziehen.«

      Eine dunkle Braue hob sich. »Sicher?«

      Isabelle nickte.

      »Nun gut. Dann vielen Dank, Miss Wilder.«

Ornament

      Miss Wilder wollte in Richtung Küche gehen, doch sie drehte sich noch einmal um. »Da Sie die Treuhandsache für uns übernehmen – könnten Sie sich noch um eine weitere Angelegenheit kümmern? Es hängt damit zusammen.«

      Er sah sie skeptisch an. »Und das wäre?«

      »Bitte folgen Sie mir, ich zeige es Ihnen.«

      Sie führte ihn in ein maskulin eingerichtetes Zimmer, dominiert von einem großen Mahagoni-Schreibtisch, mit deckenhohen Bücherregalen an den Wänden. »Das war das Arbeitszimmer meines Vaters. Ich nutze es jetzt als Büro.« Sie schloss die Tür, öffnete die Fensterläden, um Licht hereinzulassen, und begann: »Sie erinnern sich vielleicht, dass ich sagte, dass mein Vater seine Sachen in Ordnung bringen wollte, bevor er sich auf diese letzte Reise gemacht hat?«

      »Ja …?«

      »Er hat an jenem Abend gesagt, dass er sich erneut mit seinem Testament befassen wollte, mit Blick auf die Vormundschaft. Sie als Anwalt raten den Menschen wahrscheinlich, ihren Letzten Willen aufzusetzen, bevor sie sich auf eine Reise mit der Kutsche machen. Sie wissen ja selbst, wie gefährlich diese Art des Reisens sein kann. Und ich erfuhr es zu meinem Kummer am nächsten Tag.«

      »Ja.«

      »Papa hatte sein Testament bereits geändert, als er von Roses Geburt im Ausland erfahren hatte. Damals setzte er eine Treuhandschaft ein, weil er mich und Grace und damit auch Rose versorgt wissen wollte. Er ernannte Percival zum Vormund im Falle seines Todes und legte ein bescheidenes Gehalt für ihn fest. Wir haben nicht viele Angehörige und Papa hatte damals keinen Grund, an Percys Ehre oder Fähigkeiten zu zweifeln.

      Als er erfuhr, dass Graces Mann gestorben und Grace selbst krank war, sagte er zu mir, er halte es für richtig, die Treuhandbedingungen zu ändern. Wenn das Schlimmste eintreten würde, sollte ich, sobald ich volljährig war, Roses Vormund und meine eigene Herrin werden. Percivals Vormundschaft sollte also nicht unbegrenzt bestehen bleiben. Immerhin war ich damals schon zwanzig.«

      »Hat Ihr Vater diesen Willen schriftlich festgehalten?«

      »Genau das ist die Frage. Wenn ja, haben wir das Schriftstück jedenfalls nie gefunden. Vielleicht wollte er es aufschreiben, hat es in der Eile aber vergessen. Ich muss gestehen, dass ich mir anfangs auch kaum Gedanken darüber gemacht habe. Onkel Percival hat seine Aufgabe sehr pflichtbewusst erfüllt und ist dabei immer im Hintergrund geblieben, hat sich nie in unseren Alltag eingemischt. Ich habe Rose hier aufgezogen, bis sie nach London gegangen ist.

      Bei einem seiner letzten Besuche hat Onkel Percy dann Stunden allein in diesem Arbeitszimmer verbracht. Er hat sämtliche Schubladen und Ordner durchgesehen und ganz eindeutig irgendetwas gesucht. Einmal bin ich um drei Uhr morgens nach unten gekommen, weil ich mir eine warme Milch machen wollte, und er suchte immer noch. Er wirkte sehr besorgt, fast panisch.«

      »Sie glauben, er hat das Testament gesucht?«

      »Ja.«

      »Sie sagten, Ihre Eltern seien seit über zehn Jahren tot. Warum sollte Mr Norris plötzlich ein etwaiges neueres Testament suchen?«

      Sie antwortete kleinlaut: »Möglicherweise, weil ich eine Andeutung gemacht habe, dass mein Vater etwas Schriftliches über die Beendigung der Vormundschaft hinterlassen hat, und dass ich dieses Schriftstück vorlegen würde, damit er abgesetzt wird.«

      »Aber Sie sind nicht im Besitz eines solchen Dokuments.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich war wütend, verängstigt und verzweifelt. Er hat gedroht, mein Leben


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