Geisterkind. Christine Millman

Geisterkind - Christine Millman


Скачать книгу
in den Armen hielt. Das musste sie verhindern.

      »Habt Geduld gute Frau. Ich muss das Kind zuerst dem Hausherrn zeigen. Schon seit dem Morgen wartet er auf Eure Niederkunft.«

      Grettas schwachen Protest ignorierend öffnete sie die Tür und huschte in den Flur hinaus. Der Kindsvater Aberlin kam ihr auf der Treppe entgegen. Die Holzdielen knarzten unter seinem Gewicht. In seinem Vollbart, in dem sich bereits erste graue Strähnen zeigten, hing ein wenig Schaum vom Schwarzbier, das er zuvor getrunken hatte und er wirkte müde und verhärmt. Umma atmete tief durch und straffte sich. Möglicherweise würde Aberlin zornig werden, wenn sie ihm offenbarte, dass seine Tochter ein Geisterkind war, und sie der Lüge bezichtigen, doch sie musste stark bleiben.

      Mit zusammengekniffenen Augen spähte er in das Zwielicht hinauf, in dem sich Ummas Gestalt verbarg. »Ich habe ein Greinen gehört, Amme. Ist mein Kind endlich geboren?«

      Umma trat ins Licht und verneigte sich. »Ja Aberlin. Hier ist es. Doch ich komme mit schlechten Nachrichten.«

      Aberlin hielt inne. »Geht es meinem Weib gut?«

      Umma nickte schnell. »Gretta ist wohlauf. Es ist Eure Tochter Herr.« Sie hielt ihm das Bündel hin. »Es ist ein Geisterkind.«

      Er runzelte die Stirn. »Ein Geisterkind?«

      »Seht es Euch an. Es ist weiß wie Schnee, geboren in der längsten Nacht. Das ist ein böses Omen.«

      Zaghaft ergriff er das Kind, öffnete das Tuch und betrachtete seine Tochter. Als die kalte Luft den zarten Körper streifte, verzog das Mädchen das Gesicht und wimmerte leise.

      »Hütet Euch vor ihrem Zauber«, warnte Umma. Sie kannte die Wirkung eines Neugeborenen. Ihre Hilflosigkeit rührte nicht nur die Herzen der Mütter, sondern auch die der Väter.

      Eilig klopfte Aberlin sich gegen Lippen und Stirn. »Was ist mit ihren Augen? Sie sind so hell.«

      »Seht ihr nicht in die Augen«, warnte Umma. »Sie spiegeln das Böse. Ihr müsst sie töten, Herr, sonst bringt sie Unheil über Euch und Eure Familie und vielleicht sogar über das ganze Dorf.« Erneut klopfte sie sich gegen Lippen und Stirn.

      Das Kind strampelte und aus den Lauten des Unbehagens wurde ein durchdringender Schrei.

      »Tut es, bevor sie sich Eurer bemächtigt!«, drängte Umma.

      Eine Windbö zerrte am Haus, die Dachsparren ächzten. Einer der Fensterläden sprang auf und schlug mit einem lauten Krachen gegen das Haus. Umma schaute sich erschrocken um. »Hört Ihr das? Die Geister rufen nach ihr.«

      »Ich kann doch nicht mein eigenes Fleisch und Blut töten.« Aberlin verzog schmerzvoll das Gesicht. »Was ist, wenn du dich irrst?«

      Umma legte eine Hand auf seinen Arm und blickte ihn beschwörend an. Dies war der entscheidende Moment. Sie musste überzeugend sein, sonst würde er das Geisterkind am Leben lassen und sie damit alle in Gefahr bringen. »Die Zeichen sind eindeutig, Herr. Die Haut, die Augen, der Schneesturm und die längste Nacht. Welche Zeichen braucht Ihr noch? Ihr müsst sie den Geistern zurückgeben.«

      Aberlin zögerte. »Du sprichst düstere Worte, die einem Angst und Bange machen.«

      »Angst werdet Ihr haben, wenn das Unglück kommt«, zischte Umma. »Ihr seid rechten Glaubens und ein ehrbarer und starker Mann. Ihr dürft nicht zögern.«

      Ein gequälter Ausdruck huschte über Aberlins Gesicht. »Ich weiß nicht Amme. Das ist meine Tochter, und was du verlangst, ist das Schlimmste, was ein Mann seinem Kind antun kann.«

      »Ich weiß. Doch Ihr habt keine andere Wahl. Die Nacht ist bitterkalt, es wird nicht lange dauern, bis die Geister das Mädchen zu sich holen. Ihr müsst es tun, für die Sicherheit Eurer Söhne. Gretta wird Euch noch viele Kinder schenken.«

      Mit gerunzelter Stirn betrachtete Aberlin das winzige Wesen auf seinem Arm. Das Kind hatte sich wieder beruhigt und sah ihn nun ruhig, fast besonnen an. Nichts Schlechtes lag in diesem Blick. Doch Umma wusste es besser. Oh ja. Sie kannte sich aus. Das Böse lauerte überall, auch hinter einem unschuldigen Gesicht. Eilig zog sie das Tuch über den Kopf des Mädchens. »Seht sie nicht an. Der Zauber wirkt bereits.«

      Aberlin stieß den Atem durch die Nase und klopfte sich gegen Lippen und Stirn. »Also gut, ich werde es tun.«

      Im Schankraum warteten die beiden Söhne, der Älteste, der wie sein Vater den Namen Aberlin trug, und dessen jüngerer Bruder Veit. Die Jungen sahen ihn erwartungsvoll an, darauf hoffend, dass der Vater sie einen Blick auf das Neugeborene werfen ließ. Umma schob den Wirt vorwärts, damit er nicht innehielt. Jedes Zögern könnte seine Entschlossenheit ins Wanken bringen. Mit starrem Blick stapfte er an seinen Söhnen vorbei, öffnete die Tür zur Schankstube und trat in den Sturm hinaus. Eisiger Wind und Schneeflocken wehten herein und wirbelten das Feuer auf. Das Holz knackte laut. Funken stoben an die Decke.

      Aberlin kniete sich hin und legte den Säugling in den Schnee. Der Wind zerrte an seinen Haaren, peitschte Eiskristalle und Schneeflocken in sein Gesicht. Obwohl Umma hinter ihm stand, geschützt durch seinen massigen Leib, spürte sie die beißende Kälte, die bis tief in die Knochen drang und jeden zu Eis erstarren ließ, der es wagte, draußen zu verweilen. Die umliegenden Häuser verschwammen in dichtem Schneegestöber. Die Menschen hatten die Fenster und Türen zum Schutz vor dem Frost verrammelt. Niemand würde den hilflosen Säugling sehen oder seine Schreie hören. Niemand, außer den hungrigen Wölfen, die um das Dorf herumschlichen und heulten. Der Geruch des warmen Blutes und das Geschrei des Kindes würde sie anlocken.

      Aberlin schniefte und wischte sich den Rotz von der Nase. Schneeflocken setzten sich auf seine Wangen wie Tränen aus Eis. »Ich kann sie doch nicht einfach den Wölfen überlassen. Und was sag ich nur meinem Weib?«

      Umma legte eine Hand auf seine Schulter. Fest bohrte sie ihre Krallenfinger in seine Haut, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. »Die Geister werden sie holen, lange bevor es die Wölfe tun. Eurem Weib erzählt ihr, das Kind sei krank gewesen und hätte gelitten. Ihr musstet es tun. Sie wird es verstehen, vielleicht nicht sogleich, doch bald. Noch ist sie nicht dem Zauber des Kindes erlegen, dafür habe ich gesorgt.«

      Aberlin wischte sich Tränen und Schnee vom Gesicht. »So soll es sein«, murmelte er, küsste die Stirn des Säuglings, erhob sich und kehrte ins Haus zurück. »Veit. Verriegel die Tür, ich muss zu eurer Mutter hinauf.«

      Verwirrt blickte der Junge zwischen Haustür und seinem Vater hin und her. »Was hast du getan? Wo ist das Kind?«

      Aberlin antwortete nicht. Hart war sein Blick, unbarmherzig, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Entschlossen stapfte er an seinen Söhnen vorbei. Umma nickte zufrieden. Der Wirt war ein starker Mann, er würde den Kampf gegen sein Eheweib gewinnen. Außerdem hatte sie eine anstrengende Geburt hinter sich und war sowieso zu schwach, um aufzustehen.

      Veit wandte sich ihr zu. »Warum hat er das Kind in den Schnee hinausgelegt? Wird es nicht sterben, wenn es da draußen bleibt?«

      »Das Kind ist ein Geisterkind, es bringt Böses über euch«, zischte Umma.

      »Das glaube ich nicht«, stieß Aberlin hervor. »Es ist doch noch klein.«

      »Was ist ein Geisterkind?«, fragte Veit mit großen Kinderaugen. »Ist es wie eine Zauberin?«

      »Pscht. Schweig still!« Ungehalten klopfte Umma sich gegen Lippen und Stirn. »Die Geister werden kommen und eure Schwester holen. Wenn ihr nicht aufpasst, nehmen sie euch gleich mit.«

      Mit ihren dürren Fingern schnappte sie nach ihnen. Die Jungen wichen erschrocken zurück, klopften sich nun ebenfalls eilig gegen Lippen und Stirn. Umma kicherte. Sie würde den beiden schon das Fürchten lehren.

      »Aber was stimmt denn nicht mit ihr?«, wagte Aberlin zu fragen.

      Umma zog den Umhang enger. Ein eisiger Hauch wehte über sie hinweg. Die bösen Geister waren da. Langsam beugte sie sich zu den Jungen hinab und musterte sie streng. »Manchmal, während der längsten Nacht, wenn die Geister frei und ungebunden sind, kriechen sie in den Leib eines


Скачать книгу