Geisterkind. Christine Millman

Geisterkind - Christine Millman


Скачать книгу
deswegen zu trösten, doch das hatte ihn nur noch missmutiger gestimmt, deshalb ließ sie es lieber bleiben.

      Leise vor sich hinsummend saß er auf einem Schemel vor dem Haus und schnitzte. Der vertraute Anblick zauberte das erste Lächeln des Tages auf Injas Gesicht.

      »Ist heute Waschtag?«, fragte er mit einem schiefen Blick auf den gefüllten Korb.

      Inja grinste entschuldigend. »Ja, leider.«

      »Na gut.« Ban zuckte mit den Schultern, legte das Schnitzwerk zur Seite und erhob sich. Ohne zu fragen, ergriff er eine Seite des Korbes und begleitete sie zum Fluss. Ein Dutzend Frauen hatte sich ebenfalls am Flussufer eingefunden. Sie grüßten Inja und Ban nicht, warfen ihnen nur abfällige Blicke zu oder klopften sich eilig gegen Lippen und Stirn, bevor sie sich wieder dem Wäschewaschen zuwandten. Inja hörte sie tuscheln und Zorn wallte in ihr auf. Nie hatte sie den Dorfbewohnern Anlass gegeben, ihr zu misstrauen. Selbst ihre Vorliebe für das Wasser hielt sie geheim. Trotzdem begegneten sie ihr mit Feindseligkeit. Außer ihren Eltern und Geschwistern und natürlich Ban, vermieden es die Menschen, das Wort an sie zu richten oder sie auch nur anzusehen, als würde ihr Anblick allein schon Unglück bringen.

      Ban, der Injas innere Aufruhr bemerkte, schubste sie aufmunternd an. »Beachte sie einfach nicht.«

      Inja nickte. Er hatte recht. Trotzdem war ihre Laune nun vollends dahin. Schweigend wanderten sie ein Stück flussaufwärts. Vor der Abzweigung des Weges, der zur großen Straße führte, hielten sie inne. Inja nahm ein Hemd ihres Vaters und ein Stück Gallus zur Hand und tauchte es in das kalte Wasser. Die Strömung riss an dem Kleidungsstück, brachte ungewollt die Erinnerung an die vergangene Nacht zurück. An die schillernden Spuren des Buntfisches, den Wiedergänger und die Krähe, deren Perlenaugen sie auf so beängstigende Weise angestarrt hatten. Einen Augenblick lang glaubte sie sogar, die glänzenden Augen im Wasser zu sehen.

      »He Träumerin schau mal. Da hinten sind Reiter.« Bans Worte rissen sie aus ihren Gedanken. Inja hob den Kopf und blickte zum Weg. Es geschah nicht oft, dass jemand nach Krickdorf kam. Der Ort lag abseits der großen Straßen und hatte einem Reisenden nichts zu bieten. Nicht einmal Händler oder Gaukler verirrten sich hierher, denn die Dorfbewohner waren arm und lebten nur von dem, was sie selbst anbauten. Wer im Leben etwas erreichen wollte, tat gut daran, wenn er Krickdorf verließ und nach Grimmelstadt oder Murg ging.

      Inja beschattete die Augen und betrachtete die Wolke aus Erde und Staub, die von einer Vielzahl Hufe aufgewirbelt wurde.

      »Das sind mindestens acht Berittene«, staunte Ban.

      »Es sind zehn«, korrigierte Inja, die im Gegensatz zu Ban ausgesprochen gut sehen konnte. »Und sie tragen Harnische und Schilde, auf denen der geflügelte Stier prangt.«

      Staunend riss Ban die Augen auf. »Bist du dir sicher? Das ist das Wappen des Königs!«

      Inja nickte. Kälte kroch ihren Rücken hinauf. »Das ist mir nicht geheuer. Lass uns lieber ein Versteck suchen.«

      »Warum? Es sind doch keine feindlichen Soldaten oder eine Räuberbande.«

      Sie warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. »Es sind keine einfachen Soldaten. Kannst du das nicht sehen? Sie tragen die Stachelkugeln an ihrem Gurt. Das sind Männer der Söldnergarde. Nur die Götter wissen, was sie nach Krickdorf führt.«

      Hastig stopfte sie das nasse Gewand in den Korb, nahm ihn auf und hockte sich zwischen die Wurzeln einer alten Sumpfeiche. Widerwillig folgte Ban ihrem Beispiel.

      »Glaubst du, ich sollte Mutter warnen?«, flüsterte er.

      Eine Warnung wird nicht reichen. Inja zuckte mit den Schultern, eine unbestimmte Angst schnürte ihr die Kehle zu.

      Während die Reiter den Murgfluss überquerten, warf sie einen Blick auf ihre Gesichter mit den struppigen Bärten und den kalten Augen, die vermutlich schon jede Grausamkeit erblickt hatten, die es gab auf der Welt.

      »Sollten wir nicht lieber ins Dorf zurückkehren?«, fragte Ban. Obwohl sie sich außer Hörweite der Soldaten befanden, sprach er weiterhin im Flüsterton.

      Inja schüttelte den Kopf, noch immer außerstande zu sprechen. Die schreckliche Ahnung, die seit der Begegnung mit dem Wiedergänger in ihr keimte, nahm plötzlich Gestalt an.

      »Aber wir müssen Mutter und deine Brüder warnen. Sie sollten die Türen verriegeln und in ihren Kammern bleiben.«

      Inja schluckte nervös. Ban hatte recht. Ihr Gefühl sagte ihr, dass sie am Ufer des Murgflusses ausharren sollten, bis die Söldner Krickdorf wieder verließen, notfalls auch die ganze Nacht, doch die Vernunft drängte sie dazu, nach ihren Geschwistern zu sehen. Sollten die Männer in die Schankstube einkehren, würden Aberlin und Veit den Eltern sicher zu Hilfe eilen und Benlin, Benhard und Irmeli wären ganz allein.

      »Du hast Recht. Lass uns zurückgehen«, sagte sie mit dumpfer Stimme.

      Im Dorf erwartete sie Stille. Die Menschen hatten die Türen verriegelt und die Fenster mit Lumpen verhüllt, in der Hoffnung auf Schutz. Doch die Soldaten waren nicht wie der Winter, sie ließen sich nicht durch ein wärmendes Feuer und geschlossene Fensterläden vertreiben.

      Wie Inja befürchtet hatte, waren die Männer in die Schankstube eingekehrt. Ihre Pferde standen vor dem Eingang und blockierten den gesamten Weg. Ein blutjunger Söldner band sie an einem Pfosten fest. Inja hielt inne und betrachtete den Mann. Das Haar trug er offen. Es war fettig und fiel über sein schmales Gesicht wie ein schmutziger brauner Vorhang. Sein Wams und die Beinkleider waren aus Leder und er trug den Waffengurt mit der Stachelkugel an seiner Hüfte. Beim Anblick seiner kräftigen Muskeln und des Langschwertes, das fast bis zum Boden reichte, krampfte sich Injas Magen schmerzhaft zusammen und sie warf Ban einen besorgten Blick zu. Ban hielt einen Finger an die Lippen und zog sie eilig in den Schatten des benachbarten Hauses.

      »Wir müssen zur Hintertür schleichen. Auf keinem Fall darf uns jemand sehen«, wisperte er.

      Inja nickte beklommen. Fast lautlos huschten sie zwischen den Häusern hindurch, bis sie zum Gartentor gelangten. Diesmal wartete Ban nicht, bis sie die Stufen hinaufgestiegen war, zu groß war die Sorge um das Wohl seiner Mutter. Inja hastete die Treppe hinauf. Die Tür war unverschlossen. Benlin saß am Küchentisch und blickte ihr ängstlich entgegen. Irmeli lag in der Wiege und schlief.

      «Wo ist Beni?«, fragte sie.

      »Er ist in die Schankstube gegangen«, erwiderte ihr Bruder geknickt.

      Entsetzt riss Inja die Augen auf. »Was? Wie konntest du das zulassen? Weißt du denn nicht, dass Söldner des Königs im Dorf sind?«

      Benlin senkte den Kopf. »Ich weiß. Er ist einfach fortgerannt, hat gesagt er will Veit holen, um uns zu beschützen.«

      Hastig verriegelte Inja die Tür und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Fast ihre gesamte Familie befand sich in der Schankstube, in Gesellschaft der Söldner. Das war übel. Blieb nur zu hoffen, dass sie sich einigermaßen gesittet verhielten. Wenn sie an die Geschichten dachte, die man sich von der königlichen Söldnergarde erzählte, war das jedoch mehr als unwahrscheinlich. Allerorts verbreiteten die Männer Angst und Schrecken. Mit unbarmherziger Härte schlugen sie Aufstände nieder, trieben überfällige Steuern ein und suchten und töteten flüchtige Halunken. In Kriegszeiten schwächten sie Feinde, noch bevor die Schlacht begann, indem sie die Ernten vernichteten, das Vieh abschlachteten und Dörfer und Weiler niederbrannten. Das alleine wäre nicht besonders beunruhigend, doch solange die Söldnergarde ihre Aufgaben erfüllte, kümmerte sich König Ulrik nicht um das, was sie anrichteten, wenn sie zwischendurch ihr kurzes Leben genossen. Bei diesem Gedanken wurde Inja elend zumute. Die Aussicht, dass ihre Familie unversehrt hieraus hervorgehen würde, war gering. Was würde geschehen, sollten die Männer das Haus niederbrennen? Oder gar das ganze Dorf? Wovon sollten sie dann leben?

      Erschöpft barg Inja den Kopf in den Händen. Mutlosigkeit und Sorge schwemmten über sie hinweg wie eine tödliche Flut.

      »Was ist mit dir?«, fragte Benlin.

      »Es


Скачать книгу