Der Gesang des Sturms. Liane Mars

Der Gesang des Sturms - Liane Mars


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und ihre Mutter holte sich etwas zu trinken. Plötzlich stand Sirany allein da und war von einer Horde gackernder Weiber umringt, ehe sie es sich versehen konnte.

      »Na, Sirany? Wie geht es dir heute?«

      Dorin kam herbei. Sie war ein Jahr älter als Sirany und zog sie dennoch wie ein kleines Kind an ihrem geflochtenen Zopf.

      »Und was macht dein kleiner Bastard?«

      Sirany schlug Dorins Hände wutschnaubend fort und blitzte sie mit funkelnden Augen an.

      »Lass das«, fauchte sie und der drohende Kreis aus Mädchen schloss sich um sie herum.

      »Du bist eine Hure«, zischte jemand in ihr rechtes Ohr.

      Sie wich nach links aus. Auch da stand ein Mädchen und wisperte das Gleiche.

      »Lasst mich. Sucht euch eine andere, die ihr quälen könnt.«

      Siranys Stimme schwankte zwischen Wut und Furcht. Sie versuchte aus dem Kreis herauszukommen, doch die Mädchen standen zu dicht um sie herum.

      Irgendwer fing an, ihr einen Stoß zu geben, und sie taumelte einen kleinen Schritt nach vorn. Dort stieß sie jemand zurück und plötzlich kreiselte sie wie ein hilfloser Ball zwischen kneifenden, stoßenden und schmerzhaft schlagenden Händen umher.

      Und dann reichte es Sirany. Ehe eines der Mädchen reagieren konnte, hatte sie Freya in der Menge ausgemacht und sie zu ihrem Opfer auserkoren. Blitzschnell packte sie zu, vergrub ihre eine Hand in ihren Haaren und schnappte sich eines ihrer Handgelenke. Einige Hebelgriffe später lag das andere Mädchen schreiend und sich windend in Siranys stahlhartem Griff und konnte sich nicht rühren.

      »Hör auf zu zappeln oder ich kugele dir den Arm aus«, zischte Sirany drohend. Die Mädchen wichen einen Schritt vor ihr zurück, während Freya vor Schmerz zu quieken anfing.

      »Lasst mich endlich in Ruhe, ihr Furien, oder euch allen geht es nicht besser als diesem Miststück hier.«

      Sie riss schmerzhaft an Freyas Haaren und ihr Opfer schrie entsetzt auf, als sie den anderen Mädchen ein Büschel ausgerupfter Locken entgegenhielt. Sirany starrte die anderen einen Moment hasserfüllt an, dann gab sie Freya einen Stoß und das Mädchen taumelte gegen ihre Freundinnen.

      Sirany beeilte sich, durch die entstandene Lücke zu entkommen, und rannte, was ihre Beine hergaben. In letzter Sekunde bemerkte sie einen der Wächter am Dorfrand, entging ihm um Haaresbreite, überquerte den Fluss in mehreren gewagten Sprüngen von Stein zu Stein, rannte hinein in den Wald und verkroch sich unter der Wurzel eines umgestürzten Baumes.

      Hier rollte sie sich zu einer Kugel zusammen und weinte.

      Es war Efnor, der Elendar in der Nacht weckte.

      »Sirany ist im Wald und weint. Ich habe sie bei einem meiner Rundgänge gefunden. Sie weiß nicht, dass ich sie gesehen habe«, sagte er leise zu seinem Anführer.

      Der war schneller auf den Beinen, als Efnor gucken konnte. Sekunden später waren sie auch schon unterwegs.

      »Was macht sie zu dieser Zeit im Wald?«, fragte Elendar besorgt.

      »Keine Ahnung. Das musst du sie schon selbst fragen.«

      Genau das hatte Elendar vor. Als sie in die Nähe des besagten Baumes kamen, blieb Efnor zurück. Elendar bedankte sich stumm mit einem Nicken. Dann trat er auf die zusammengerollte Gestalt zu und zog sie aus dem Erdloch.

      »Es ist gefährlich, sich unter einen entwurzelten Baum zu legen«, schalt er sanft und zog die weinende junge Frau zu sich auf den Schoß. »Man weiß nie, wie viel Spannung noch in dem toten Ding ist. Der Baum könnte zurückschnappen und dich unter seiner Wurzel zerquetschen.«

      »Weißt du, wie egal mir das im Moment ist?«, schniefte Sirany.

      Wie selbstverständlich legte sie beide Arme um seinen Hals und weinte an seiner Schulter. Ihre Berührungen ließen Elendar atemlos werden und ihr Duft verlangsamte sein Denken. Hastig konzentrierte er sich auf die Tatsache, dass sie offensichtlich sehr traurig war.

      »Was ist passiert?«, fragte er sanft und erhielt zunächst keine Antwort. Nach einer Weile kam ein geschnieftes: »Ich hab dich vermisst«, was er sich zunächst einzubilden glaubte. Dann lächelte er. »Ich dich auch. Verzeih mir meine harschen Worte.«

      Sirany lehnte sich zurück, um ihn besser sehen zu können. »Wirst du mich an Kuma verraten?«, fragte sie. »Falls er dich unter Druck setzt? Mit was auch immer? Ich wäre ein interessantes Geschenk für ihn.«

      »Ich würde dich niemals verraten. Nie! Und schon gar nicht auf diese Weise.«

      Sirany sah ihm eine Weile forschend in sein Gesicht und nickte beruhigt. »Meine Mutter macht sich deshalb große Sorgen. Sie sagt, dass du mit den falschen Leuten verkehrst und gefährlich für mich bist. Dieser Brief, den du bekommen hast. Er kam aus dem sharischen Königsschloss, nicht wahr? Das allein zeigt, dass an den Gerüchten was dran sein muss. Du kennst zu viele Shari und arbeitest für sie.«

      »Deine Mutter ist eine kluge Frau. Sie hat recht. Ich arbeite mit Männern zusammen, die nicht besser sind als dieser Dreck unterm Baum. Ich muss aber für sie arbeiten. Mach dir keine Sorgen. Sie werden sich nicht für ein Bauernmädchen interessieren, solange sie nicht sehen, wie hübsch du bist.«

      Sirany spürte, dass das nicht die volle Wahrheit war. Elendar war unwohl zumute. Sie hatte etwas angesprochen, was ihm selbst Sorgen bereitete. Etwas, das er ihr verheimlichen wollte. Sie nahm sich fest vor, herauszufinden, was genau das war. Welche Art von Verbindung unterhielt er zum Königshof? Was war das für ein Spion, der ihm Warnungen zukommen ließ?

      Zunächst war sie froh, Elendar zurückzuhaben. Sie ließ sich erneut in seine Arme sinken und gestattete sich einen Moment, um sich auszuweinen. Die Gemeinheiten der Dorfmädchen steckten ihr tief in den Knochen. Sie hatte nicht erwartet, an dieser Front kämpfen zu müssen. Allerdings hatte sie den Streit gewonnen. Schon allein deswegen hatte sich Elendars Training bezahlt gemacht.

      Sirany besuchte die Assaren von Stund an wieder. Es war ihr egal, was die anderen sagten, dachten oder schnodderig behaupteten. Sie fühlte sich in ihrem Dorf wie eine Gefangene und das Lager war ihr Zufluchtsort.

      Schließlich hörte das Gerede auf. Das hatte zum einen damit zu tun, dass das Thema langweilig wurde, und zum anderen damit, dass auch die Mädchen begriffen, wie gefährlich ihr Getratsche sein konnte. Sirany ging zu einem Assaren. Zu einem Mann im Wald. So jemanden wollte man nicht verstimmen.

      Das Verhältnis zwischen Elendar und Sirany normalisierte sich wieder. Elendar gab ihr wie zuvor Unterricht und sie brachte ihn als Gegenleistung zum Lachen. Das leichte Prickeln zwischen ihnen erwähnte keiner von beiden. Sie waren Freunde. Mehr nicht. Das redeten sie sich zumindest ein.

      Nach ein paar weiteren Wochen schaffte Sirany es sogar, dass Elendar ein klein wenig aus seinem früheren Leben erzählte. Leider war es verworren und unzusammenhängend, da er die Hälfte ausließ und Sirany sich den Rest selbst zusammenreimen musste.

      Er hatte zwei Schwestern gehabt. Die eine hieß Cloey und war gestorben. Woran, ließ er sich partout nicht aus der Nase ziehen. Sobald dieses Thema auch nur im Ansatz aufkam, blockte er ab und wechselte es geschwind. Die andere Schwester hieß Caina und lebte momentan in sharischer Gefangenschaft. Er schien ein sehr herzliches Verhältnis zu ihr gehabt zu haben.

      »Sie war so schön wie die Morgenröte. Wenn sie den Raum betrat, wurde dieser ein Stückchen heller. Sie hatte braune Locken und weigerte sich, sie zusammenzubinden. Abends weinte sie oft, wenn Mutter sie kämmte, denn ihre Haare waren hoffnungslos ineinander verknäuelt. Danach brauchte ich meist mehrere Minuten, um sie wieder froh zu stimmen.«

      »Und dein Vater? Erzähl mir von deinem Vater.«

      »Er


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