Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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wenn er auch noch grantig ist«, und damit schwebte sie langsam aus dem Raum, nicht ohne zu sagen: »Abgesehen davon weiß ich gar nicht, was er an dir findet«, pflanzte sie mich und ihre Schritte gaben keinen Laut auf den frisch gewischten Dielen. Als ich gerade das Haar zu Flügeln machen wollte, pochte es von draußen gegen das Fenster. Ich ging hin und öffnete die eine Hälfte. Der Laden schwenkte an Ninas Wange haarscharf vorbei. Eine Franse flatterte ihr aus der Stirn. »Zweitens, vergiss diesmal das Frisieren nicht!« Daraufhin stutzte ich die braunen Hecheln noch am Rücken und befestigte die Strähne, ohne eine einzige Hahnenfieber an den Seiten oder am Bauch niederzubinden. Als ich aufsah, stand Nina noch immer dort, lächelte und sagte: »Schöner als ich.« – »Schöner frisiert«, ich. »Schöner eben«, und ging zur Gartenarbeit über.

      Draußen trieb der Föhn die Äste wie Wegweiser in Richtung des kalten Flusswassers. »Ja, besser als das Original«, erschien der sturmalte Mann an meiner Seite, ein Querstreifen über seiner Brust im Licht des noch geschlossenen Fensterladens. »Schöner«, sagte ich, band den Schlussknoten, »ja, eben«, sagte er und ich schnitt unter solchem Zug ab, dass es den Faden zurück auf die Spule fetzte. Ich legte die Goldkopfnymphe auf den Tisch. »Schau sie dir an, diese Vollkommenheit!«, sagte Ernstl, während er ein Achterlglas aus der Anrichte angelte, es auf den Tisch stellte und randvoll schenkte aus einer eben gefischten, frischen Doppelliterflasche, »der blaue, dralle Körper, der grazile Hechelkranz, der braune Hals, der goldene Schopf, der rehfarbene Schwanz, die blonde Flügelscheide«, Ernstl hob den Wein an seine Lippen, schielte aber während des Trinkens über den Pokalrand hinaus Richtung Küchenfenster, das die Zugluft halb zu sich, hinaus in den Garten, gezogen hatte, wo Ninas Latzhose die Schenkel hinauf schon mit Humus besudelt war. Im Sonnenlicht stach Nina einen messerscharf blitzenden Spaten ins Wurzelwerk einer mannshohen Brennnessel. Ernstl schluckte, »wie diese Pflanze«, sagte er, »Ernstl, die landet mit vor Sicherheit glänzender Wahrscheinlichkeit auf dem Komposthaufen«, während Nina das Schaufelblatt trat derart abgehackt, dass es ihre Haare kopfüber die Schultern nach vorne schleuderte. Der Schopf schwebte voll im Umschwung eine Sekunde, bis die Strähnen rieselten, Ninas Dekolleté entgegensegelten, wie Federn auf dem Stoff landeten, sich formveredelnd niederlegten, an die Brüste schmiegten bis in die Spitzen, dazwischen derbes Leinen. Ernstl starrte Ninas nun nacktes, sonnenbrandvernarbtes Genick über dem weißen Schlafittchen an, stellte das Glas ab auf dem Tisch und neben die Nymphe, die sich auf der Scheibe spiegelte zwischen Ernstl und mir. »Denn sei sie dein«, sagte er, wandte sich mir zu, während Nina draußen die Brennnessel ausriss samt Wurzeln und allen daran hängenden, vor sich in ihren Kokons hin metamorphisierenden Schmetterlingslarven. Und plötzlich wurde mir Vieles zuwider, der geile Blick des Alten auf Nina oder auf die Dutzenden gebundenen Nymphen, hinausgeschwommen und verquer oder hingekrault zum Beckenrand des Küchenfensters und umgekehrt, aus glasigen Augen, auf deren Netzhaut sich die Herbergsgeberin und die Fliegen womöglich schon doppelt und dreifach abzeichneten. Draußen streckte sich Nina Nase voran an die ersten Blüten des Flieders, erfreute sich an dem Duft oder kontrollierte, ob sich schon Bienen darin tummelten. Ich fädelte den Kopf, spannte den nächsten Haken ein, band einen Körper aus weißem Katzenfell. Auf der Glasscheibe fasste Ernstl spiegelverkehrt in die Zimmerecke, hinter den Terrakotta-Topf, aus dem winkeltotmachend ein Rosmarinstrauch spross. Ernstl grinste im Glauben mich zu überraschen, als er mir wie bei einem Ritterschlag auf die Schulter tippte mit der Fliegenfischstange. Ich erhob mich und zu Boden hingen Latzhosenträger. Nina stand in der Zimmertür, in ihrer Bluse Knopfloch Stängel voran gesteckt eine violette Fliederblüte.

      4 Eine pubertierende Teenagerin

      befindet sich am Flussufer

      Pappeln, Birken, Trauerweiden, Schlüsselblumen, die offensichtlich in den schmalen Grasstreifen zwischen den geschotterten Wegen gepflanzt wurden und den Wunsch der Ausflügler nach Schönheit ausdrückten wie Teenagerfinger Pickel in sonst ebenmäßigen Gesichtern. Wie die verkrusteten Wunden wirkten die aus dem Boden hervorbrechenden Blumen. Ich folgte dem Flussverlauf der Äschenstrecke, stets neben mir die schwimmende, neongrüne Schnur, die schlaufenförmige Spitze, leicht absinkend, wo sie ins Vorfach überging. So würde ich zumindest den Bissruck bemerken, dachte ich, und dann den Fisch, zwei imaginierte Ernstlarmspannweiten in Verlängerung des Schnurendes. Unbemerkt war die Nymphe aus meinem Blick gesunken, ihre genaue Position längst ungewiss, obwohl das Wasser sonnenklar war. Die Lage von vor einigen Tagen ließ sich daran ablesen. Es hatte weder geregnet noch geschneit die letzten Wochen, überhaupt hatte dieser Winter wenig Schnee gebracht. Dreckiges Schmelzwasser gab es also keines. Außerdem verriet die Sonne, wie sie stand, wie sie ihre Strahlen auf die flachsblaue Flussoberfläche aquarellierte, dass ich niemanden beim Fischen antreffen würde. Weil es schon auf zwölf zuging, brauchte es schon einen Zampano der extra kleinen Goldkopfnymphe. Stattdessen begegnete ich auf meinem Spaziergang durch dieses landschaftsarchitektonische, kurortangemessene Erholungsgebiet Senioren, Greisen und Greisinnen, Gassigängern samt sabbernden Labradoren, die ihre Schlappohren im Lauf wie Entenflügel aufflattern ließen. Früher wurden diese Viecher als Apportierhunde bei der Jagd eingesetzt. Da ballerte man mit voller Schrotflinte die Wasservögel vom Himmel herunter, ja, braver Hund. Aber dazu waren diese Menschen nicht hier. Ihre Enten hatten sich in leblose Gummiapportel verwandelt und der früher kultivierte Jagdinstinkt ihrer inzwischen verstreicheltrottelten Vierbeiner war völlig verkommen. Wenigstens einmal im Jahr kam es vor, dass ein Kind hinfiel im eigenen Haus, und dann gab es einen Vorfall, weil sich der Hund schlagartig durch das Stürzen der Beute erinnerte an den Vorfahr. Ich linste ins Wasser, hatte die versunkene Schnurspitze verloren und vermochte mich bissiger Gedanken kaum zu erwehren. Die Rolle des Hundes war es, sobald der Herr es für richtig hielt, zu sterben, eingeschläfert zu werden, wer wollte es ihm verdenken, da wenigstens noch ein Kind mitzunehmen. In seltenen Fällen wurden die treuen Begleiter auch ausgesetzt, heulten auf der Suche nach einem imaginären Rudel, mutierten zu Streunern, verunsicherten die Wälder und landstricherten Flussuferwiesen hinunter.

      Ein paar Fahrradfahrer radelten an mir vorbei. Sie trugen Helme, Knieschoner und hatten Wasserflaschen dabei. Vom Boden, der inzwischen von Schotter zu Sand und Staub übergegangen war, hob sich eine Wolke. Die Partikel nahmen mir die Sicht, verklebten meine verschwitzten Schläfen, kitzelten meine Nasenhaare, vertrockneten meine Zunge, strömten in meine Lunge, und als ich nieste, stieß ich entweder noch ein paar Sandkörner aus oder blies den eh schon hochgewirbelten Staub vor mich hin. Ich drang weiter vor in die Wolke, nahm noch ein bisschen Dreck auf Geheimratsecken, Lidern und Flanellhemd mit, der aufgewirbelte Staub legte sich. Die Fahrradfahrer waren weg, gepflanzte Blumen gab es hier auch keine mehr, die Bäume waren höher und die Rentner alle überholt, so weit hinter mir, die nächsten Rentner noch nicht in Sicht, die Hundebesitzer wohl irgendwo hängengeblieben, an Leinen, Apportierartikeln, ich wusste es nicht, es war mir auch egal, dass ich völlig allein stand. Ich hörte das Wasser plätschern, sah Gestrüpp sich vom Ufer in einer Halbparabel schwungvoll ins Wasser stürzen. Zwischen den Zweigen, die eintauchten in die Äschenstrecke, und den Wurzeln, die im Trockenen weilten, entstanden hervorragende Stehplätze für Fische. Ich hob meinen Kopf, dachte an Ernstl und Trockenfliegen, Insekten, die den Strauch bevölkerten, versehentlich zur Beute wurden, indem sie ins Wasser fielen, von Fischen statt Vögeln vernascht wurden, und sah einem Flugzeug im Landekurs auf Linz zu, wie es lautlos einen Kondensstreifen ins Himmelblau schlitzte. Linker Hand wucherte der Wald. Hinter den paar Gewächsen, die den Weg auf der gegenüberliegenden Flussseite säumten, lagen weite Felder. Bis zu den Kalkalpen hinter der flachdachigen Eigentumswohnungssiedlung, aus der ich kam, reichte mein Blick. Es roch verdorben, woraus ich schlussfolgerte, dass hier irgendwo ein Kadaver vor sich hin moderte, möglicherweise sogar irgendwo am Ufer, oder eine Blutspur sickerte in den Fluss, was womöglich die Wasserqualität und den Appetit der Äschen verdarb, was zum Misserfolg und Fernbleiben der Fischer beitrug, die sich heute Morgen schon vergebens versucht hatten.

      Oder es war das ranzige Mädchen, das an der nächsten Kurve in Sicht kam, auf seinem Stein hockte, seinen eigenen Geruch mit Zigarettenqualm zu übertünchen probierte, in einer schmutzigen Strickjacke steckte, sein Gesicht mit verfilzten Haaren verdeckte, die bei dieser Kopfhaltung keineswegs verbargen, dass es idiotisch auf die Wasseroberfläche glotzte. Ein kniegroßes Loch in der schwarzen Jeans, ein halbwegs verkrusteter roter Schlitz am Arm, ein an irgendeinem Kaugummikondomautomaten gezogener Totenkopfring an jedem Finger,


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