Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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das.« – »Aha«, sagte Ernstl, »wie gewissenhaft.« – »Ja, so nennt sich das.« – »Wir mussten abreißen deinetwegen.« – »Kannst du die Zange nicht mehr bedienen?« – »Schön, wenns so weit gekommen wär! Aber wie kriegen wir das Vieh überhaupt raus? Von der Brücke aus!? Mit einem Vierer!?!« – »Ich wusste ja nicht.« – »Unwissen schützt den Fisch vor Schaden nicht.« – »Oh mein Gott.« – »Zu schmeichelhaft.« – »Es tut mir leid.« – »Ach, Schwamm drüber.« – »Aber die Äsche?« – »War ein Saibling.« – »Stirbt der?« – »Unfug, der Haken rostet raus.« – »Leidet er?« – »Fische spüren nichts am Maul. Das ist verknorpelt. Deswegen ist es ja so wichtig, dass wir gut anschlagen. Ihnen die Fliege aus dem Maul in den Kiefer jagen.« – »Aber du hast gesagt, Lernen durch Schmerz.« – »Ja, uns tut das schon weh. Wenn wir sie fangen. Sind doch unsere Herzkratzerl. Aber der Fisch ist eiskalt. Gefühllose Gierschlunde. Sonst könnten die ja gar nicht schmerzfrei fressen. Die schnabulieren Flusskrebschen und Köcherfliegenlarven. Harte Schalen.« – »Unmöglich, ihnen wehzutun?« – »Wenn sie schlucken.« – »Weil die Fliegen zu reizend sind?«, riet ich. »Sie sterben dann langsam.« – »Weil sie so hungrig sind?«, machte ich weiter. »Innere Verletzungen, Verbluten oder Organversagen.« – »Weil sie Nimmersatte sind?«, versuchte ich es ein letztes Mal. »Es kommt eben vor. Sehr selten, aber doch. Du siehst es eh, wenn du sie aus dem Wasser hebst. Dann musst du sie gleich abschlagen. Aber auch die dürfen wir nicht behalten, okay? Den gibst du deinen Liebsten, kappisch? Selbstverständlich ohne Haken, well.«

      6

      Schuldige werden gefunden

      »Wir haben Hunger, Hunger, Hunger«, es war Sonntag und ich gerade zur Haustür herein. »Schön«, sagte Lena, während die Kinder weiter skandierten, »haben Hunger, Hunger, Hunger, haben Durst«. Aus dem brodelnden Wasser im Topf fischte Lena die letzten Erdäpfel, tischte mir auf, »teilt sich durch vier eh besser«, und öffnete das Ofenrohr. Heraus kamen eine Wolke Kräuterbutterbrutzeln, vermischt mit einem Stich Gas, »für jeden eine halbe«, und zwei Regenbogenforellen. Auf der dunkelknusprig gebackenen Haut war der typische rosa Streifen nicht mehr zu erkennen. Lena kratzte die Basilikumkruste ab, filetierte, zitronierte. Das Fleisch schmeckte wie Brittens Mittsommernachtstraum. Ich aß mit Begierde. »Sind sie gelungen?«, fragte Lena, und weil niemand wusste, an wen die Frage gerichtet war, gab sie Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hatte. »Die hat mir der Volki gebracht«, ich hustete den Bissen über die Tischplatte: »Wer?« – »Es ist voll eklig, Papa«, sagte Johannes. Lukas tippte mit dem Zeigefinger, ohne hinzusehen, einen Rosmarinstachel auf und steckte ihn in den Mund. Seine Pupillen waren stoisch auf mich gerichtet. Meine wiederum auf das an der Tischkante kleben gebliebene Stückchen Fleisch. Ich konnte meine Zahnabdrücke daran ablesen. »Ein Arbeitskollege. Ein netter Mann. Der fischt auch. Ein Wunder, dass du den nicht kennst, komisch«, mit verzückten Zügen schob Lena eine Filetspitze in ihren Mund. Ich aß kein bisschen mehr. Lena legte die Kinder nieder. Ich, am Küchentisch verblieben, nahm den Löffel, mit dem Lena geschmolzene Butter auf unsere Teller geschöpft hatte, schmiegte die Krümmung an den eingespeichelten Eiweißklumpen, nahm ihn auf, schleuderte ihn weg. Er klatschte gegen das Fenster, blieb an der Glasscheibe kleben, auf der Spiegelung des Türrahmens, an dem sich Lena rieb. Sie ging in die Hocke, streifte mit dem Rücken den Reißverschluss ihres weißen Kleides entlang das Holz hinab, verschwand auf der Fensterscheibe, richtete sich wieder auf, reckte den Kopf in den Nacken, dass ihr blondes Haar noch etwas tiefer unter ihre Schulterblätter fiel, warf mir mit halbgesenkten Lidern einen Schlafzimmerblick zu und ging wieder, während sie einen ihrer Fingernägel zwischen die Zähne nahm, in die Knie. Das Letzte, was ich davon sah, war ihr Scheitel, den ich auch als Erstes wieder erblickte, dann ihre Augen, ihre Nase, Mund. Lenas Kniebeugen ähnelten eher einem steten Auf- und Abtauchen, was mich mehr faszinierte als ihre Erscheinung. Während des Essens hatte sie kein Kleid getragen. Die Haare auch eben erst drapiert. Parfum, das über den Fischgeruch an meine Nasenflügel schwebte, Lippenstift, gut aufgelegt. Elf zwei-und-zwanzig, eins, beiß an! »Wer nicht will«, sagte Lena und ich, »du, passt schon.«

      Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich aufstand, um das Küchenfenster zu öffnen. Zuvor starrte ich völlig versunken auf mein eigenes Gesicht. Ich besah die Geheimratsecken, die gefurchte Stirn, die verunsichert zuckenden Nüstern, die lustlosen Augen, das eine daumenlange Haar, das über meinem linken Auge wuchs und von meinem Antlitz abstand wie ein Fühler, ein Bastard aus Wimper und Braue. Immer wieder musste ich mir Volki vorstellen, der weniger eine reale Person als das genaue Gegenteil von mir wurde, nett, adrett, charmant, charismatisch. Teils, weil ich meinen eigenen Anblick nicht mehr ertrug, teils, weil ich Volkis Geist aus dem Zimmer vertreiben wollte, teils, weil sich Lenas phantastische Gestalt immer wieder lasziv zwischen meinem ausgelaugten und Volkis kraftstrotzenden Körper rekelte, hauptsächlich aber, weil mich die Noten des Fisches, der Kräuter und Lenas Parfum in dem sauerstoffarmen Raum bedrängten wie eine infernalische Symphonie, richtete ich mich dann auf. Erhoben wirkte meine gespiegelte Gestalt gleich etwas wohltuender. Ich lüftete. Alles Böse entließ ich in die versöhnliche Finsternis der Nacht. Die Kühle schlug mir derart frisch um den Kopf, dass ich mich in voller Kenntnis aller Folgen sofort nochmals mit Lena, der Frau aus der Stadt, dazu entschlossen hätte, in die Provinz zu ziehen. Ich warf die Regenbogenforellenreste in den Mülleimer, spülte die Teller unter warmem Wasser vor, räumte den Geschirrspüler ein. Ich schrubbte das Tablett und die Küchenmesser. Dabei wurde mir immer wohler. Im Rumoren des Geschirrspülers und dem Abflussstrudel im Spülbecken verschwanden mit den Fettspritzern und Zitronenflecken die letzten stummen Spuren. Ich besah mein Gesicht wesentlich milder auf dem blankpolierten Tablett, auf dem Schliff des Messers und stapelte alles auf das Abtropfgestell. Etwas traurig, mich jetzt, nach Verrichtung meiner Pflichten, nicht auf der Scheibe beschauen zu können, setzte ich mich wieder auf meinen Posten und sog Luft ein. Ich schloss die Augen. Es roch nach Nadelwald, nach nasser Erde, einem Gewitter, das gleich aufziehen würde, als ob der Boden es schon nicht mehr erwarten könnte. Ich dachte daran, wie meine Geige einsam in ihrem Koffer lag, dem ich sie morgen entnehmen würde wie einen Fisch dem Fluss, um Kindern zu zeigen, wie sie die Legatobögen zu führen hatten, wie die Pizzicatostellen zu zupfen, die Marcato zu donnern. Ich überlegte, ob das Fliegenfischen langsam zum Ersatz wurde für die fahrengelassene Konzertviolinistenkarriere, ob es die Form einer unterschwelligen Rache an den Menschen annahm, für die da zu sein letztlich so viel wichtiger gewesen war, als ein wirklicher Virtuose zu werden. In Salzburg, noch Starschüler des letzten Studienjahres am Mozarteum, schon von einem Vorspielen für die großen Bühnen und Orchester zum nächsten hetzend, zwischen den beiden, auf Vormittag und Nachmittag verteilten Qualifikationsrunden, es ging um eine freie Stelle als zweite Geige der städtischen Philharmonie, in einem Gastgarten dann, wo ich gedachte, ein Mittagessen einzunehmen, da lernte ich Lena kennen. Sie saß am Tisch gegenüber, ich rief ihr zu, ein so weißes Kleid könne doch nur eine Ärztin tragen. Sie sprang auf von der Bierbank, kam an den Tisch, wo ich ganz allein vor meinem Schnitzel saß, und fragte völlig ungläubig, woher ich das wisse. Ich versuchte es mir zu verkneifen, doch das Schmunzeln sowie schließlich das Lachen schlichen sich ein und brachen aus mir aus. Obwohl sich die Komik in erster Linie aus dem Funktionieren der offensichtlichsten Schmeichelei speiste, die man sich überhaupt ausdenken konnte, stimmte Lena augenblicklich gellend ein. Zusammen klangen wir harmonischer und trillerten unsere Melodien ausgelassener als jede Komposition dieser Welt von welchem Orchester auch immer intoniert. Was wäre mir anderes übriggeblieben, als die zweite Hälfte des Vorspielens, für die ich mich qualifiziert hatte, in einem lustigen Operettenton in den Wind zu pfeifen, der im ersten Aufzug darin bestand, Lena zuzunicken, als sie fragte, ob sie sich zu mir setzen dürfte, im zweiten, als sie sagte, ich überfalle wohl eine Bank, zu antworten, nur die in diesem Gastgarten hier, und als sie den offensichtlich verwirrt mit ihrem Backhenderl herumstehenden Kellner an unseren Tisch winkte, zum grande finale schelmisch zu lamentieren, wie unverschämt groß und für einen gar nicht zu schaffen in diesem Gastgarten die Dessertportionen seien. Sie helfe mir gerne, sagte Lena. Zur Nachspeise gab es erst Kaiserschmarren und dann Sex. Ihre goldenen Haare und die blonde Süßigkeit vermengten sich zu einem köstlichen Vorschein auf unser beider gemeinsame Zukunft. Es ging auch schon gar nicht mehr anders, sehr bald war Lukas unterwegs. Nach Oberösterreich verschlug es uns dann, weil dort gerade ein neues, von skandinavischen Nationen abgekupfertes Musikschulsystem


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