Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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die Klinge vorwärtsschleuderte im Handumdrehen, zuckte Volkis Gelenk, sogleich sein Trizeps hinterher. Er dirigierte. Um das voll einsehen zu können, krabbelte ich die anscheinend schalldichte Wand entlang, nur ab der Nase über dem Fensterbrett. Friedl schien eher ein eleganter Fechter zu sein, bewegte im Einklang mit den Armen die Beine. Um seinen Oberkörper zu decken, wirbelte er das Rapier nur über das Handgelenk herum vor sich in die Vertikale, begleitet von flinken Standbeinwechseln. Durch kleine Sprünge und federnde Schritte, einem Abwinkeln der Kniekehle bloß, schnellte er Fredl immer wieder in völlig überraschenden Momenten die Klinge entgegen, der er nur schwer auswich, viel zu statisch im Oberkörper, immer mit Ausfallschritten, die seine Position nicht gerade verbesserten. Er kam seltener zum Schlag und drosch dann los, von oben herab wie mit einem Schnitzelklopfer auf ein Stück Schweinefleisch. Die Rapiere kreuzten sich, glitten aneinander nach unten und Friedl vollendete die Bewegung, tat einen kleinen Rückfallschritt, schwang seinen Arm nach hinten, die Klinge das gestreckte Bein entlang, die Spitze bis zum Fuß, stand ohne Deckung da, aber nur eine Sekunde, während auch Volki seine Hand armstreckend an seinen Gürtel abschwang, der lange Zigarettenhalter fast bis an seine Kniekehle kam. Dann flog die Hand wieder, halb diagonal Volkis rechte Körperhälfte hinauf an den eigenen linken Mundwinkel in einem Ruck, während Friedl schlug, von unten das Rapier hoch dem Gegner entgegen, der in derselben Zeit gerade mal die Klinge wieder unter Kontrolle und vor den Oberkörper brachte, erneut ins Parieren, in den Rückwärtsschritt geriet. Hintertreffen wäre schon übertrieben gewesen, immerhin kamen von Fredls Seite keine Schläge mehr, die treffen hätten können. Langsam setzten sich die beiden einander umtanzenden Duellanten fest in der Mitte meines Gesichtsfelds, was wohl auch an Fredl lag, der aus dem letzten Loch pfiff, das sein Mund war, seine Brust ging auf und ab wie ein Motorkolben. Nichts hatte das mit auf Hochtouren laufen, ausschließlich mit Hyperventilation zu tun. Friedl ließ ihn nach seinem Rapier tanzen und viel Fläche einnehmende Choreographien waren nicht mehr im Programm. Er trieb die Hiebe auf ein schnelles Ende hin. Er kam immer gewisser zum Punkt, nagelte Fredl fest. Der Schweiß tropfte schon zum Wirtenboden, Fredls Gesicht verzog sich immer grässlicher, verunstaltet waren seine Züge ja längst von Schmissen, die sich jetzt bogen, groteske Formen annahmen, während der Sieg in Friedls Augen loderte. Auch Volkis Blicke blitzten und dasselbe Lächeln schlich sich in seines und Friedls Gesicht.

      Plötzlich war mein eigenes da, gespiegelt auf dem dunklen Hintergrund eines Rückens. Ich streckte mich etwas, um über die Schulter des Mannes vor mir zu linsen, getrennt von ihm nur durch eine Glasscheibe. Um den Dunstkreis der wirbelnden Rapiere bildete nun die herantretende Meute Sauproleten einen zweiten Kreis, allesamt nackten Leibs, nur mit Schürzen gegürtet. Ketten behängten ihre Nacken runenförmig, durch grobe Holzperlen liefen ihre Pferdeschwänze, bizarr leuchteten die Schmisse in Gesichtern, Staccati grölten sie sicherlich, es drang nicht durch die festgefügten Wirtenmauern, aber das ständige Hochreißen der rechten Hände unterschied sich metrisch zu stark vom Kreuzen der Rapiere. Es war nicht der Rhythmus des Duells, den sie da bewahrten, zu starr, zu genau, ohne jede Variation, zu einfallslos, um nicht auf Anfeuerungsrufe zu spekulieren, die ehern verlangten, dass sich der Duellablauf ihren Schlägen anverwandelte. Und tatsächlich hob und senkte Volki nun seinen Sektpokal sowie den Zigarettenhalter im Viervierteltakt althergebrachter Aves, anhebender Lieder, gepfiffener Melodien oder gestampfter Märsche, was auch immer. Ihre Füße verdeckte noch das Fensterbrett, doch sie stapften schon hinein, immer enger schnürten sie den Kreis, rotteten sich zusammen, weswegen ich dann auch einen Rücken im Blick hatte, als der entscheidende Schlag fiel, ein Bauernschuh versteckte, was am Boden geschah. Bald löste sich der Kreis wieder auf und zwischen Fredls Fingern sickerten die ersten Blutstropfen durch. Er stand über sein darniederliegendes Rapier gebeugt, presste sich aufs Gesicht die Glieder. Dann ließ er seine Handflächen von seinen Wangen wegschweben. Nicht elegant und gewollt bewegt, wie ein Besiegter dann einverstanden seine Schande preisgibt, eher wie ein Ausgeknockter schwindlig torkelt, ein besoffener, Arme ausbreitender Prophet. Ungläubig, als wüsste er nicht um die Situation, besah er sich einige Momente die Sauerei aus etwas Abstand, runzelte die Stirn, ich tippte eh schon auf Wundstarrkrampf spastischer Art, dann verstand Fredl. Wie aus seiner Stirn Blut, so sickerte es in sein Hirn, dass er nur die gripverschaffenden Lappen anstarrte, seine Hände von sattgesaugten Tüchern umwunden waren. Er begriff die wirkliche Wunde an seiner Stirn und was sich dann demgemäß in seinem Gesicht tat. Er schaute sich nicht mehr die Spur, sondern die Ursache an auf der Fensterscheibe, in der Pupille seines siegreichen Gegners jetzt, bald auf einem Foto, das von irgendwoher im Wirten schon herüberblitzte. Ob Fredl das Blutrot überhaupt wahrnehmen konnte, liefen ihm doch längst vom Haaransatz herab Rinnsale über die Augen, überlegte ich noch kurz, da reichte ihm bereits jemand ein weißes Handtuch, rot weiß rot, dachte ich, wischte er sich ab, und schon trocknete der Streifen zuoberst schwarz.

      Eine Runde Schnaps wurde vom Wirten an alle Anwesenden verteilt. Einige wandten mir den Rücken zu, andere standen wohl in uneinsehbaren Bereichen der Stube hinter anderen Fenstern, insgesamt verschwanden an die zwei Dutzend Stamperl vom Tablett. Rudl, der Fischereiaufseher, Wolferl, der Förstereimeister und Tierpräparator, der Exreinankennetzseejäger, jetzige Zuchtteichfallensteller und heutige Semmelverdiener Friedl, sowie der Großbäckereimeister Ferdl verharrten beieinander, unterhielten sich, ein Wacholderbeer ging auch an den besiegten Gendarmen Fredl, obwohl Alkohol die Blutgefäße weitet. Vielleicht saß ihm der venenverschließende Schock noch in den Beinen. Vorsichtshalber wand er sich schon mal das Handtuch um den Kopf. Das Frottee saugte auf, was die wieder zu suppen anfangende Wunde auswarf. Ein im Rhythmus von Fredls Pulsschlag seinen Durchmesser weitender Punkt entstand außen auf dem Handtuch, dunkel, nachtfarben. Sobald sich Eiter dazumischte, würde er ins Dämmerartige hinübergehen. Noch aber sah Fredl aus wie ein Hindu, der nicht wusste, wo der Bindi hingehörte. Lediert war er ja allemal, und die Schulterklopfer, die Kinngriffe, die Hinternkläpse und die an den Mundwinkeln ablesbar freundschaftlich gemeinten Worte folgten nun zögerlich, aber doch. Zum gandhiesken Handschlag zwischen den beiden Kontrahenten kam es zuletzt sogar.

      Beruhigte mich in keiner Weise, löschte nicht, was eben noch gesehen. Wenn die lieben Kollegen miteinander schon so umsprangen. Wenn sie mich hier fanden. Durch die Scheiben linsend. In der Dunkelheit um den Wirten schleichend. Das Instrument samt nasser Seite noch in der Hand. Im Kofferraum die nachts gefangene Forelle. Noch zappelnd in traumatischen Reflexen, wie einmal angeschriene Kinder lebenslang beim kleinsten Klimpern zittern. Drinnen schmiss das Licht den Schatten eines jovialen Handschwenkens an die Wand. Ihm folgte eine Woge lospreschender Bauernschädel in die gewiesene Richtung. Durch den Schankraum ging die Masse, immer noch nackt die Oberkörper. In dieser Dichte, mit dieser Geschwindigkeit verschwammen sie beinahe ineinander. Brutal sprang die Tür aus dem Schloss wenige Meter von mir entfernt, lange bevor der Letzte unter ihnen überhaupt aus meinem Sichtfeld verschwunden war. Ungeachtet der lichten Scheiben, gebückt zwar, aber doch eher auf Schnelligkeit bedacht, hastete ich die Mauer entlang. Die drinnen Verbliebenen, hoffte ich, schauten nur ihr Ziel an und sonst nicht rechts oder links beim Fenster hinaus. Im Vorübereilen taxierte ich Volki einen flüchtigen Augenblick, erhaschte seine ruhig gegen die rückwärtige Stubenwand gelehnte, in seiner Burschenschaftsuniform mit der albernen Mütze und der blauen Kornblume am Revers steckende Gestalt. Mit einem einzigen Schwenken seiner sektfickrigen Hand waren für einen Abend alle Vereinsgesetze aufgehoben. Die Rotte rannte blindlings an dem Mauereckgebüsch vorbei, hinter dem ich kauerte. Zwischen ihren Fingern waren Fliegenstangen wie in meiner. Manu in Manu, nachts ruhten die Fische nicht, bissen sogar noch besser als tags.

      Die nackerten Überkörper verteilten sich in der Finsternis flussabwärts, wo mein Auto in einigen Kilometern Entfernung stand. Ich sah sie schon auf den Wagen zuschleichen, das Nummernschild erheischen, durch die Heckscheibe eifern, keine Stangen ausmachen, Schlösser knacken. Wenn ich mich beeilte, standen die Chancen nicht schlecht, hier wegzukommen, bevor sie es fanden, eine untermaßige Bachforelle fingen, in den Kofferraum schmissen, sich pseudoempört auf die Suche machten nach mir. Volkis Rapier knallte wenig später Knauf voran wie ein Richterhammer auf den Tisch, Verhandlung geschlossen, Schwarzfischer, na sicher. Ein paar von ihnen stromerten flussaufwärts weiter, wo die vom Verein gepachtete Strecke dann irgendwann endete. Nur zwei blieben an der Kreuzung zurück, vor ihnen der sprudelnde Fluss, hinter ihnen der Wirt und ich, links und rechts ihre Kollegen. Natürlich warfen sie gleich an Ort und Stelle aus, der Länge nach die Straße herauf, ein Lot auf den Fluss, parallel zu meinem Versteck. Ich kauerte


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