Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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zischten die Köder dahin, bevor die beiden Dilettanten die Ellenbogen mitsamt der Stange wieder Richtung Wasser rissen, ein Hansschleudererpeppiwurf. Dazu wechselten sie das Auswerfen in einem versetzten Rhythmus ab. Immer nur einer von ihnen fischte und der andere warf.

      Der Moment verstrichen, in dem ich die Straße Richtung meines Wagens hätte passieren können. Ihre vor- und zurückschwingenden Widerhaken, sie würden mich erwischen an Haut oder Gewand. Wären sie doch wenigstens hängen geblieben an einem Schwemmgeäst. Es war eine Schande, da saß ich nun gekauert gegen die Wirtenwand, die zumindest schlecht gedämmt etwas Wärme abgab. Ich sah dem Auf und Ab der Schnüre an meinem Versteck vorbei zu und lauschte dem Wurfsurren sowie der Bisslosigkeit ihrer Fischversuche. Natürlich folgte dem platschenden Köderhineinwerfen kein oberflächenbrechendes Aufschnappen. Die Forellen stiegen so wenig wie ihre Schnüre. Ich kam ab von jeder Fluchtidee, flussabwärts auf meinen Wagen zuzumarschieren durch irgendein Gebüsch. In der Dunkelheit immer noch ausmachbar, Silhouetten der weniger gehenden als dahinfallenden, allenthalben stolpernden Sauproleten, überholbar zwar. Wegzufahren lange noch, bevor man von vor der Nase überhaupt sprechen konnte, dass ich in mich hineingrinste. Was mir diese Option verdarb, dies unholde, keineswegs sachgemäße, reiner verdummender Faulheit und Biertrinkerei und Bauernschädelei-à-la-so-schwer-kann-das-doch-nicht-sein entspringende Geschwinge. Es konnte einfach nur ein tumbes Auszucken im Arm sein, das debile Winken wegfahrender Verwandten, an die sie dachten, während sie ins schwarze Wasser starrten, wie es das Flussbett hinunterging. Viel Wetter machen und immer schön die Fische die eigenen Armbewegungen sehen lassen, das verschreckte sie, da bissen sie. Nein, schnell musste man sein.

      Stromaufwärts der Viererkreuzung überquerte ich die Straße, die Fahrbahn parallel zum Fluss, vorbei an den beiden Arschgeigen. Parallell zu ihren Schnüren, die mir immer noch den Weg abschnitten, schlich ich auf Zehenspitzen gen Fluss und duckte mich hinter die zum Wasser führende Querwand des Hauses, auf dessen anderer Seite die beiden standen. Die Längswände führten die Straße Richtung untere Flusspassagen, zu meinem Wagen hin, beziehungsweise das Flussufer hinab. Ich beschaute die Spiegelung meines kläglichen Gesichts auf einem der dunklen Fenster, hinter denen die Frau wohnte, die noch immer auf meine Fische wartete, und schöpfte Hoffnung aus ihrem Anblick. Was ich denn da mache, hatte sie mich gefragt, als ich in ihrem Garten zwischen Haus und Flussufer gestanden hatte, weil es eine der fängigsten, nur von dort anzufischenden Stellen war. Ja, ich sei über ihren Zaun geklettert, aber nur zum Zwecke, ihr eine Forelle zu fangen. Da lächelte sie mich an durch das Fenster hindurch, und obwohl ich ihr geradeaus ins Gesicht schaute, um meiner Lüge Glaubwürdigkeit zu verleihen, bemerkte ich doch im peripheren Gesicht, dass die Fassade in ihrem hässlichen Ultramarin direkt in den Himmel überging, die gesamte Straße verdeckte. Ich brauchte nur zu warten, dass meine beiden Widersacher das Wasser entlang stromaufwärts durch den Garten kamen, dann die straßenseitige Längswand runter, im Sichtschatten des Heims, über die Viererkreuzung, flussabwärts weiter, »das ist Hausfriedensbruch« und »mach doch, was du willst«. Der eine stakste durch Rindenmulch, die Schritte des anderen kamen die Straße entlang, elf. Ich suchte nach einem Gebüsch, zwei, das womöglich den nächsten Garten zierte, und, zwar da, aber davor ein Maschendrahtzaun, zwan, ich schaute mich nach Deckung um, zig, wusste, drei, dass er rechts um die Ecke würde, und, hier an der Querwand entlang, zwan, zum Wasser unterwegs, zig, immer lauteren Schritts, eins, es keinen Nutzen hatte, und, mich an die Wand zu schmiegen, und chancenlos hechtete ich vorwärts, die Wand Richtung Ufer hinab, steckte, noch rennend, die Stange in den Aufschlag meines Hemds, hob ab, überflog die letzten Meter, aus vollem Lauf kopfüber in den Fluss, hörte das Platschen, spürte stilles Wasser in meinem Gehörgang.

      Ob er jetzt völlig debil, sagte der eine nach meinem Auftauchen, ich watete weiter, der andere, da ist ja einer, herrje. Ich drehte mich nicht um, kam in tieferes Gewässer, schwamm vorwärts. Kunststück im Dunklen zu kraulen. Beherrschte ich nicht wirklich, doch was seitlich von mir ins Wasser schlug, war eindeutig eine Fliege. Keinen Schwimmzug wählen, der meine Fläche vergrößerte. Sie warfen mich an. Der eine aus dem Garten heraus. Der andere ein paar Meter entfernt vom Ufer, an der Querwand stehend, gebremst vom Gartenzaun. Höchste Inkompetenz, ja. Forellen anzuwerfen das eine, aber einen Menschenleib zu verfehlen. Wenigstens wussten sie nicht wen, unmöglich auszumachen in dieser Finsternis. So stieß ich beflügelt meine Handkanten unter Wasser vorwärts gen Ufer, vermutete zumindest dorthin, zog die Hände meine Seitenlinie herab, strampelte mit den Füßen, wenn der außerhalb des Gartens mich erwischte. Da ging die Schnur nieder, auf den Zaun, Stacheldraht krönte den. Ein Stechen, eine Fliege im Genick, genau zwischen Halshaaransatz und Hemd gefallen, Ruckzuck hatten sie mich beim Schlafittchen. Bombenfest holten sie ihr verschissenes, unzerstörbares Proletenvorfach ein. Ihre mit Klunkern besetzten Spulen hörte ich krächzen. Der eine Typ schimpfend über den Zaun kletternd. Den Kopf, den offenen Mund in der Strömung. Wenn doch seine Eier hängen blieben. Aber nichts, das Aufsetzen von Sohlen im Garten. Rückwärts zogen sie mich. Ich schluckte Wasser, fingerte an meinem Hemd. Flanell, wer trug das schon. Immer noch besser, als vor ihnen zu gestehen. Schon aus dem einen Ärmel geschlüpft kraulte ich vorwärts. Die Knopfreihe gespannt von den Lenden, meinen Bauch hinauf bis zur Brust. Einer riss raus. Der nächste Schwimmzug misslang, es ruckte wieder am Genick, der Kragen eine Schlinge um meinen Hals. Er geriet unter Wasser. Bevor ich mich entsann, wo meine Hand war, kam sie irgendwie an meine Brusttasche. Vielleicht ein Reflex, mir ans Herz fassen. Heureka, die Zange, gefühlt und gezogen, Finger auseinander, Wasser geschluckt jedenfalls zum Letzten. Ich fasste an meinen Kragen gespreizter Schenkel. Die Zange biss zu um die Fliege, ich riss mich los mit einer Armbewegung, nicht schlechter als ihre Fechthiebe, schwamm weiter, vielleicht ein Fitzelchen Flanell hängen geblieben, aber scheiß drauf, keine heiße Spur, ich erreichte das jenseitige Ufer und tauchte, ohne mich umzudrehen, in den Wald ab.

      8 Siegi findet den wilden Fleischhacker

      im zwielichtigen Wald

      Ich rannte um die Fliegenfischereilizenz, meine Existenz, die Stange unter meinem Flanellhemd gegen meine Brust geschmiegt wie ein sicher gehaltenes Kind. Das Kunststück gelang mir ganz gut, im Dunkeln über Wurzeln zu hüpfen und schemenhaft in Augenhöhe auftauchenden Ästen auszuweichen. Nur einen Zweigstreifschlag bekam ich ins Gesicht, stolperte bloß und fiel nicht mehr. Die Wochen und Monate, ja Jahre Training Böschungen hinabzusteigen, über Gartenzäune zu klettern und durch Stromschnellen zu waten, machten sich bezahlt. Nichtsdestotrotz verlor ich mich im Unterholz, ahnte nur noch die Bundesstraße irgendwo hinter den letzten Bäumen des Waldes. Langsam erst, je mehr ich keuchte, desto mehr schlich ich, und je langsamer ich ging, umso deutlicher begriff ich, dass ich keine Ahnung mehr hatte, wo ich mich überhaupt befand, was mir erst recht wieder den Atem nahm. Ich hielt inne an einer Stelle, wo ein Wildwechsel in ein Rohrdickicht eintrat und eine Eiche quer darübergefallen war. Zu meinen Füßen bildete der Baum einen immens weiten Winkel mit dem Waldboden wie eine sehr flache Rampe. Direkt hinter den abgeknickten Kronenzweigen begann der Stamm an meinem Schienbein. Eine gefühlte Ewigkeit weiter reichte er mir erst bis zum Knie. Jedes Fußaufsetzen war gedämpft vom Humus und begleitet vom Schmatzen meiner durchgeweichten Schuhe zu vernehmen. Das Wasser rann mir noch aus den Haaren übers Gesicht. Bei jedem weiteren Ausschreiten fielen die Tropfen von meinem vollgesogenen Hemd. Ich hätte es auswringen können, mein nasses Flanellfell, doch es fröstelte mich schon so. Außerdem ekelte mich die Ähnlichkeit meines nackten Oberkörpers mit denen der Bierdümpel. Sie waren doch Sauproleten. Wie konnten sie Burschenschaftler sein? Gab es auch schlagende, nichtstudentische Verbindungen? Schlossen sie sich zusammen zu obskuren, paramilitärischen Verbänden? Oder brachten ihre gendarmerieakademischen und bäckermeisterlichen Ausbildungen die Bauernschädel vor etlichen Jahren in irgendwelche Fuchsenstuben von Linz, die wiederum Ableger brauchten in dieser Provinz, wohin sich diese Gesellen passenderweise wieder vertschüssten mit ihren Diplomen, Zeugnissen und Urkunden und dann machten, wie sie wollten? Eine Fechtlizenz führten sie bei ihrer Wiederkehr wohl nicht mit sich. Immerhin sah Friedls und Fredls wilder Zwist keineswegs nach irgendeiner Mensur gemäß altehrwürdigem Regularium aus. Sekundanten hatte es keine gegeben und auch ihre Bewegungen waren so unterschiedlich gewesen, als wäre alles möglich, nicht von verbindlicher Norm geformt. Früher wüsste sie nicht, wie sie Ademiker schreibe, heute sei sie eine, eines von Lenas Lieblingsflügelworten. Heute ja eher, Siegi, bring doch mal den Müll raus, womit sie nur


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