Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


Скачать книгу
Neben mir lief der inzwischen mannsdicke Eichenstamm kaum auf Höhe meiner Hüfte. Bis zum Bauchnabel, gebremst und gehalten von der Gürtelschnalle, war der Fliegenfischstange Korkgriff hinabgerutscht. Vor meiner Nase streckte sich wie ein langer Stängel der Schaft gegen den Himmel, zwischen den Sternen die Spitze, der ich nachlief wie ein Esel seiner Karotte, statt mich nach dem fixen Polarstern umzusehen. Zwar schimmerte am Vorfach der Mondschein, doch in meinen Beinen schrie der Frost. Ich roch kalten Angstschweiß, den das Flusswasser an mir gelassen hatte. Meine Füße hörte ich immer öfter auftreten innerhalb derselben Zeitspannen wie eben noch.

      Kein Ziel vor Augen, keuchend mein Atem, wurden meine Zehen taub, meine Schritte immer kürzer und schwerer. Um mich zu bücken und meine Schnürsenkel zu lösen, blieb ich stehen. Ich meinte, ich bekäme keine Luft, derweil lag eine Hand auf meinem Mund. Von den Füßen schmiss es mich. Zurückgerissen wurde ich. Mit solcher Gewalt, dass keine Schleifspuren den Humus pflügten und unter dem vorhangartigen Blätterwerk an meine Fersen führten. Halb geflogen, halb gefallen, auf diesen Fleck. Brutal angefühlt, sicherlich nicht, das Gespür noch vertrieben aus meinem Gesicht. Mit bibbernden Lippen hockte ich auf dem Boden einer Art Höhle, von dem majestätischen Eichenstamm erschaffen und überdacht. Die Rückwand bildete das noch in Walderde eingefasste Wurzelwerk, die Seiten wurden von dunklem Rohrdickicht umstellt und von mannsdicken Ästen verhängt. Ein Zweig war abgeknickt und ein Blatt fiel noch die letzten Zentimeter, wo ich geschnappt worden war und in diesen Käfig hereingezerrt. Erst jetzt, als es seinen Segelflug beendet, ich es ein, zwei Sekunden verwundert angestarrt hatte, und schließlich, als es mir darniederliegend nicht weiter bemerkenswert, wie ein integraler, bald verwitternder Bestandteil des Waldbodens vorkam, nahm ich ein Gesicht wahr, das direkt vor mir schwebte.

      Das flächendeckende Gewächs rundum schirmte uns gegen jedwedes Licht, und die folglich hier drin herrschende Finsternis gab einen unsichtbar machenden Hintergrund ab für all das Schwarz, das sich diese Gestalt über ihr Antlitz geklatscht hatte. Nur das zu Schlitzen verengte Weiß der Augen enttarnte das Wesen. Es starrte mich an. Es entfernte sich langsam, wodurch ich in Kontraktionen, Dehnen, Wabern und Spannen die Halssehnen zu sehen bekam, weniger eine abgrenzbare Fläche als Morphformen in mordsdunkler Nachtluft. Das Augenpaar hob und die schwarzen Punkte darin senkten sich. Der Körper des Wesens bäumte sich auf aus kauernder Haltung. Immer noch gebückt, das Genick direkt unter dem Eichenstamm, schaute es mich weiter an. Ein Blinzeln löschte schlagartig das Weiß, ließ es gleich wieder aufscheinen, verriet, dass selbst das Lid schattig gepinselt war. Langsam schieden sich die Konturen der Gestalt vom Hintergrund. Ich erkannte Schulterblätter statt Eichenzweigen, schwarzes Haar vor schuppiger Rinde, lange Beine neben oberschenkeldicken Ästen. Herabhängende Hände verdeckten Rohrdickicht, indem sich Arme ausbreiteten wie Fledermausflügel, die sich als dunkle Wolldecke entpuppten. Die Gestalt stülpte sie mir mit einer fliegenden Bewegung über und um den Oberkörper. »Siegi?« – »Bist du deppert?« – »Bist du komplett deppert?« – »Was machst du hier?«, und er nickte mit bestätigendem Blick, der sagte, du machst den Mund zu oder ich die Gurgel auf. »Wie schaust du denn aus?«, sagte Kurti, wieder zu voller Größe aufgepflanzt vor dem Eichenstamm, die Spitze eines weitmaschigen Ponchos zwischen den Beinen, Säume als Dreiecksschenkel um beide Oberarme laufend, selbst auseinandergehend wie eine Baumkrone. In grob gespachtelten, krustenartigen Schichten lag die Schminke auf seinen Wangen, und aufgerieben schien sie zu werden, abzublättern und zu Boden zu bröckeln, wenn er die Backen beim Sprechen bewegte. Bevor es noch raschelte außerhalb der Höhle, schleifendes Huschen näher kam bis auf wenige Schritte, wandte Kurti schon seinen Kopf, schickte Blicke ins Dickicht: »Nur Kleinwild«, wieder zu mir gewandt und das Geräusch verschwamm, wie wenn ein Friseur durch Filzknubbel und anderes Zausen und Reißen am wohlfeilen Ende des Kammschwungs durch trockenes Haar ankommt. Noch enger schlang ich die Decke um meine Schultern und schmiegte mich hinein, zog die Enden fest im Schoß zusammen mit meinen darin umwundenen Händen, dass es mir die Härchen auf den Gliedern elektrisierte. Ein Schauern schlich mir, als übersetzte sich das Kribbeln direkt in mein Steißbein, das Rückgrat hinauf, ins Genick, weiter wie ein aktivierter Reizreflexbogen den Hals entlang, stimulierte Stimmbänder, zitterte Zunge wie Zäpfchen an, defibrillierte die Kiefer, worauf mein Hirn erst nach Worten hastete, ich stammelte mich verhaspelnd: »Sie hind sinter hir mer, Kurt!« Während Kurti sich setzte, seine Finger um eine schwarze Thermoskanne schloss, die Kappe abschraubte, dampfenden Kaffee eingoss und mir reichte, nickte er in einer Tour. »Bursch, sie dind on Kurtenschaften irganisiert.« Mit dem Herabrinnen zweier Tropfen über den Gefäßmantel zwischen meinen Fingern schwappte auch die Beruhigung zu mir herüber. Ich ließ mich zurück, lehnte den Rücken gegen das Wurzelwerk, die brennheiße Flüssigkeit in Händen, das Aroma atmend, und seufzte. Rascheln strich wieder durchs Rohrdickicht, begleitet von scheuem, tierischem Fiepen riffelte es weg von unserem Versteck, schrubbte im Unterholz, verschwand weniger im Stillhalten, als dass es verklang in der Ferne, und ich vernahm schon eine Flinte fauchen. »Hab ich ves erschreckt?« Ob er noch immer oder schon wieder nickte, wusste ich nicht, doch die Bewegung wurde jetzt aggressiver, eckig irgendwie, hammerartig, das kundige Schlagen eines Herings in den Humus, dass eine Schlafstelle geschützt war vor Wind und Wetter und herumirrendem Getier durch ein Zelt in wilder Gegend. »Atme mal leiser!« Ahnungslos getadelt senkte ich den Blick auf seine Schuhe, die nichts anderes als Bärentatzen waren, sah schon Jäger und Weidmänner am nächsten Morgen ebenfalls diese Stelle abtasten mit Blicken, die Bodenabdrücke lesen, allerdings im Stehen, Genickverrenkungen und große Augen machend, sich dann verwirrt die Gesichter zuwenden und einander, wie und warum da jetzt wieder Vieh weggekommen war, den klaren Fall erklären. Dann durchkämmen sie den Wald auf der Suche nach weiteren Spuren und kämen überein, viel zu gefährlich, um Hetzen oder Treibjagden zu veranstalten, das käme ja einem Gleicheinschläfern der eigenen Hunde gleich.

      Kurti nickte, plötzlich mehr Weiß im Gesicht, taxierte meine nassen Schuhe. »Ich geh jetzt lieber nicht, nicht?« Jäger mit ihren visierschielenden Blicken über Vorderlader hinweg, rundherum hockend in eichenhölzernen Hochsitzen, dass eine Umzingelung entstand, ein Fort um den Forst. Zigaretten hielt Kurti mir hin. Ohnehin ersetzte mein Atem schon die Wölkchen über der Thermoskannenkappe. Kurtis schwarz lackierte Nägel und seine finster gepinselten Finger verdeckten ein Gros der mir unbekannt gestalteten Schrift. »Danke, immer noch nicht.« – »Bitte schon wieder«, nickte Kurti und ich nippte vom Kaffee. Noch rann er warm meine Gurgel hinunter. Ich stellte die Thermoskannenkappe vor mich hin. Kurti fischte zwei Zigaretten aus dem Päckchen. »Immer noch nicht schon wieder«, sagte ich und ließ mich zurück gegen das Wurzelwerk. Meine Hände gerieten an das feuchte Moos, das rund um mich den Boden überzog. »Ich nehme mal an, Feuer können wir nicht anmachen.« Kurti nickte und der weiße Strich ging in sein schwarzes Gesicht. Ich kraulte das krause Moos, versuchte meinen Händen ein behagliches Gefühl einzujagen. Kurti griff unter seinem Poncho an sich herum. Meine Glieder ließen sich erfolglos streicheln, wich doch das Gespür immer mehr aus meinen frierenden Fingern. Nicht mal die Kaffeekappe lockte sie noch, bestand sie doch aus demselben thermoisolierten Stoff wie die Kanne, die neben Kurti stand, der jetzt zwischen Daumen und Zeigefinger ein Sturmfeuerzeug hochhob. Ich tunkte meinen Mittelfinger in den lauwarmen Kaffee. »Das sieht von draußen wie ein Glühwürmchen aus?« Kurti nickte, legte langsam alle Finger um das Sturmfeuerzeug und hielt es an seine Zigarettenspitze. Nachdem ich nicht wusste, wie voll Kurtis Thermoskanne, wie sehr er zu teilen geneigt war, tat ich noch einen Schluck, wenige Tropfen, kalter Stein. Kurti drückte den Daumen nieder, das Hochdruckgasventil öffnete sich mit Fauchen, der Funke sprang, hauchte Tabak und Papier in Flamme. Kurti packte das Sturmfeuerzeug mit der Hand neben sich, in der auch die Zigarette war. Kunststoff klackte an Metall, ein Glutwiderschein blitzte an einer Klinge, auf dem stählernen Fleischerbeil kam das Sturmfeuerzeug zu liegen.

      »Das bleibt doch unser kleines Geheimnis hier?« Kurti nickte. Ich registrierte, keineswegs Moos zu kraulen, sondern Wolle, die von meiner Kleidung inzwischen vollgesoffene Decke. »Also wenn ich nicht erfrier.« Im Rhythmus der Züge, die Kurti von der Zigarette nahm, zitterten seine Muskeln. Sie vibrierten, wenn er Rauch einsog, wenn er Rauch ausstieß, ruhten sie. Er schien seinen Atem bewusst zu steuern wie amerikanische Elitepioniere hinter der Front, die während Spezialeinsätzen ganze Nächte in ufernahem Flusswasser verharren. Er ließ seine Muskeln bewusst kontrahieren wie österreichische Gebirgsjäger in Firnfeldern, die zu Trainingszwecken rundenweise Zirkeltraining in mannshohen Neuschneemassen machen. Tage konnte Kurti


Скачать книгу