Die Forelle. Leander Fischer
mit der Tschechischen Republik verstrickt, brachte ihr so in perverser Verkehrung den Nerz, wer dachte bei der Mafia schon an einen Verunstalteten, denn eine Hasenscharte samt Gaumen-Nasen-Mundwinkel-Spalte hatte er auch, kurzum einen Wolfsrachen, der Galle spie. Die Spucke flog hoch durch die Luft und ging zu Boden neben meinen Schuhen als Vorhut der Worte, die nach einem Windpfiff rein an mein Ohr stieben. Ich fühlte mit diesen aus einem warmen Ort gekommenen, frischen Schnee grau sprenkelnden Tropfen. Ihr Rand franste langsam aus, innerhalb erstarrten die Bakterien, nicht aus Furcht, das Ptyalin gefror, die Enzyme zerfielen, duplizierten die Geschmacklosigkeit dieses Schlangengeschnatters. In den neuen, hinterherkommenden und wieder versiegenden Mundwasserspritzern wuselten die Mikroorganismen, huschten dann nur noch, marodierten bald, larvierten rückwärts, zitterten nur, wurden steif, dann, weiß wie der Schnee rundum. Immer weiter verteilten sich die Spucketropfen, marmorierten den Weg zu Kurtis Fleischhauerei in unterschiedlichsten Grauabstufungen und Gefrierstadien. Als Einziger achtete ich auf diese Effekte und Folgen, alle anderen hangen an der wild auf und ab gehenden, sprechenden, lebendigen Zunge. Ich war den sterbenden Speicheltropfen in gewissem Maße näher als den geifernden, auf die Geschichte fiebernden, mich umgebenden Menschen, verstand, warum die Spucke lieber leblos am Boden verging, sich in den oberösterreichischen Winter einpflegte, sich versteckte und tarnte, als gehörte sie zur stummen, unveränderlichen Landschaft, anorganisch, taub, da, aber ahnungslos, unbeteiligt am Allzumenschlichen, anderen Ursprungs jedenfalls als die hinterherschallenden Silben, keinen Dunst vom schwulen Friseur, der jahrelang an seinen Lover geklammert auf der pastellgelben Kawasaki Ninja durch die hochsommerlichen Wälder hier gerauscht war, eine Tour nach der anderen absolviert, den Mittelstreifen strichliert vorbeiziehen, den Körper von Fliehkräften und Trägheit und Kurve und Gripp in die Schräge drücken lassen hatte, bevor er seinem Lebenspartner während einer Pause irgendwo am Straßenrand sagte, dass er absteige und aussteige, hier, und vielleicht sah er ganz verklärt in den Wald hinein, wo die Baumkronen das Licht siebten und ein Gebirgsbach die Kaskaden hinab Spektralfarben sprenkelte. In diesem Dorf eröffne er am Puls der Natur seinen neuen Salon, weit weg von den kerosinverpesteten und schwermetallverseuchten und mit Autobahnsmog vollgesogenen Köpfen in Linz. Die Leute hier brauchten mit Sicherheit auch fetzige Haarschnitte und für die nächsten Spritztouren brauchten die Liebenden nur die Ortsausfahrt nehmen, könnten sogar noch Benzin und Zeit sparen, hinein ins Schwarzenbachtal, vorbei am Nymphenfall, die Weißenauen hinauf und wie all diese Motorrad-El-Dorados hier in der Gegend hießen, und mit etwas Glück winkten ihnen die zufriedenen Kunden. Jetzt habe er sich aus ganz anderen Gründen vertschüsst, nicht zum zeitweiligen, montäglichen Vergnügen, sondern gewissermaßen, wie anzunehmen war, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für immer, nur weil irgendjemand es auch noch für lustig befunden habe, zusätzlich zu dem Hinkelsteinwurf, an der Geschäftstür eine Lippenstiftschmierage zu hinterlassen, man habe es ja eh fast nicht lesen können, Kauft nicht bei Pudeln, so eine Sauklaue.
Er vielleicht nicht, der Verunstaltete, in der Volksschule habe er ja schon zehntausend Dioptrien gehabt, vielleicht sei er es ja selber gewesen, um zum historischen Augenblick hinzuzufügen, dass er endlich schreiben gelernt, wurde der körperlich missglückte Sohn der alten Dame abgewatscht, der nächste Hinterjemand übernahm. Er trug einen Trachtenjanker in Grün und Braun mit derben, Brillantschliffen nachempfundenen, oktaederartigen Eichenholzknöpfen. Wer auch immer Hand an den Hobel gelegt hatte, litt unter schlimmstem Delirium tremens, weswegen die Arbeit eher der Kopfform eines Anencephalons ähnelte. Zumindest stellte ich mir hirnlose Schädel so vor, seit Lena von der Geburt jenes Kindes erzählt hatte, das die Mutter unbedingt am Tubus, an der Infusion, an der Blutkonserve, am Herzschrittmacher im Intensivzimmer hatte sehen wollen statt in der Patho. »Der Kopf ist ihm immer schon so auf die Seite gefallen, und die Atmung hat ausgesetzt, einschlafen lassen hätten wir es können«, und am Abend des Tages, da ich den Mann im Trachtenjanker mit dem Gamsbart am Revers die Mär vom schwulen Friseur auseinandersetzen gehört hatte, »Lena, Anencephali einschläfern, weißt eh, irgendwann brauchen wir eine Bohrmaschine, und dann sind wir froh, wenn nebenan jemand aufmacht«, beispielsweise als ich Maria dann ein Gitterbett zusammenschraubte, »du würdest sie nicht euthanasieren, selbst wenn sie gar nichts hätte«, ich ließ den Bohrer noch ein paar Umdrehungen im Leerlauf sausen, um meiner Aussage Nachdruck zu verleihen. Seine Tochter sei ja ungemein talentiert. Seit Jahren fahre sie deshalb schon allmorgendlich eine ganze Stunde mit dem Autobus ins Unterland. Damit meine der Mann im Trachtenjanker den Fluss hinunter, denn das wisse sogar ihr minderbemittelter Vater. Das Oberland sei entgegen der Fließrichtung, egal ob südlicher oder nördlicher auf der Karte. Sie werde ihm nicht zu klug, das habe er ihr schon zigmal gesagt, seit sie da im Unterland das Gymnasium besuche. Er sprach den Begriff wie etwas unfassbar Widerwärtiges aus. Ob es ihn vor Kälte oder Ekel kurz schüttelte, wusste ich nicht. Nur ihre Zeichenlehrerin erkenne das Genie seiner Tochter nicht, die irgendwann sicherlich eine berühmte Designerin werde.
»Wie beim Heidinger«, wusste hinter dem Mann im Trachtenjanker die Frau in ihrem eisblauen Blazer, ihres Zeichens kulturbeflissene Volksschuldirektorin, wie man, wenn ich mich richtig entsinne, hierzulande immer noch sagt im Gegensatz zum deutschen Nachbarland, man habe ja nie Grund gehabt, die Schulstufen umzubenennen über all die Dekaden. Dieser Tage war im Fernsehen eine stundenlange Geburtstagsretrospektive der letzten pointilistischen Malergröße ausgestrahlt worden, die zufällig in dieser Gegend aufgewachsen war. Groß geworden war er allerdings im Salzburger Umland mit ultrakitschigen, quasinaturalistischen Landschaftsstudien. Inzwischen in Wien angekommen saß der Greis für die Sendung in seinem Stammcafé am Gürtel und witzelte über die Reporterfrage, ob dieses Etablissement nach ihm benannt sei. Es müsse selbst zwischen atonalen Hupkonzerten, Gummiabrieb, Bremsscheibenquietschen und zerschrammten Karosserieschreien einen Platz für Heiden geben. Im Übrigen bestehe das Café Heidinger schon seit seiner Geburt an der Stadtautobahn in diesem Gründerzeithaus und die Namensgleichheit sei zwar zufällig, nicht aber, dass er jetzt hier sitze. Im Hintergrund stoben ein paar Queuestöße klackend blaues Pigment in die Luft. Der Rauch stieg aus der Zigarette der Malergröße und ein paar Heidelandschaften flimmerten über das Bild, bevor die Reporterin fragte, warum er dann nach dem Umzug sein Œuvre beibehalten habe, nicht beispielsweise Geschäftsmänner male, bei Nacht, wie ein Sakkorücken im Sitzen über der Theke sacke, der nächste von vorn, wie er mit einer Frau zusammen tresenstehe, in gallenbessernden Schnaps schaue statt auf ihr rotes Kleid, Großstadtausschnitte eben, da müsse der Heidinger nicht mal den Filzhut weglassen, kurz hielt die Reporterin inne, »als ob man durch straßenseitige Scheiben schiele«, und Lena lachte, dass der Fernseher flimmerte. Ich machte »Sch, sch«, »Kokos-Busserl«, sagte Lena und gab mir eines auf die Zunge. Kein Mensch drehe ihm einen Strick aus der Unabänderlichkeit seines Stils, aber diese Motive, fragte die Reporterin. Wenn er jemals auf so grausige Gretchen wie diese Reporterin und ihr Herumkritikastern gehört hätte, wäre er jedenfalls nicht hier. Schon sein Zeichenlehrer in der Volksschule habe geschworen, aus ihm würde nie etwas, und schon gar kein Maler. Dann, nach Verleihung des goldenen Lorbeer, habe er bei dem pensionierten alten Dattel um Audienz ersucht, sich tief verbeugt im Vorzimmer, ihm direkt ins Gesicht geblickt, sich umgeschaut und gesagt, oh, es sei ja doch jemand da. Nicht nur die Frau im eisblauen Blazer und mit dem frostig schimmernden Lipgloss glaubte an ihre Alleinstellung hinsichtlich kultureller Bildung in dieser Schlange. Die Leute himmelten sie unverfroren tropfwarmen Augens an, was sie wohl verlockte, erhöhte und lobpudelig verhätschelte, so sehr, dass sie sogar verstiegen davon ausging, die einzige Erheiterung in diesem heimeligen Dorf seien Schlangenschimpftiraden und sie die Einzige, die abends zum Abspannen den Fernseher andrehte, weswegen sie diese ganze Heidinger-Sache wiederkäute.
Doch offensichtlich hatte auch der Mann im Trachtenjanker die Geburtstagsretrospektive geschaut. Er schnäuzte sich extralaut in ein Stofftaschentuch, um der Frau mit den feuerrot gefärbten, zwischen Glätteisenhälften schnurgerade gebändigten, schulterlangen Haaren den Wortschwall abzuschneiden. Als wirklich Stille einkehrte, erhob er den zittrigen Zeigefinger. Langsam, einer Urgewalt gleich, für die er sich wohl hielt, im selben Tempo wie ihre der feuchten Kälte wegen wieder Schwung aufnehmenden und sich kräuselnden Haarspitzen schwebte der Finger dem Gesicht der nicht gerade widerspruchsverwöhnten Volksschuldirektorin entgegen. Als zöge die Frau im eisblauen Blazer in Zeitlupe die Haare wie einen Schild hoch, um sich vor dem auf sie zukommenden Gegenargument zu wappnen. Auch ihr Hals steckte kältegezwängt eher zwischen ihren Schulterpolstern, als dass er herauswüchse, ihre Lippen bibberten,