Die Forelle. Leander Fischer
Linie, die Arme seitlich angelegt, Ellenbogen durchgestreckt, neben die Füße zu Fäusten geballte Finger auf den Waldboden gestützt, Knöchel voran. Keine Miene verzog er, streng im Takt zitternd, sogar die Zigarette noch auf der Achse symmetrisch im Mund, den Rauch rhythmisch ausatmend, die Glut langsam heranziehend, starr die Augen darüber auf mich gerichtet, der ich zählte, ob auch sein Aschen, ohne einmal Hand anzulegen, nur mit Bewegen der Lippen, einem Metrum gemäß ablief. Immer wieder fiel ich heraus. Meine Zähne klapperten aufeinander, hielten sich dabei an keine stete Frequenz und verquirlten mir das Zählen im Hirn, erzeugten einen schrecklich skelettierten Ton: »Meiße, kalt ist schir.« – »Der Wald hat die Frische gepachtet.«
Hirschfaschiertes frisch aus dem Fleischwolf, tiefgefrorenes Fichtenkreuzschnabelfrikassee, feuersturmfordernde Schweineschwanzstücke für den Grill, filigrane Froschschenkel in Frischhaltefolie, frittierfettspritzende Forstschwerarbeiterschnitzel, feinfaserige Filets, schwarze Schulterschinkenwälder, verpackt von fachkundigen, fliegenden, richtigen Fingern in Fettpapier, Ćevapčići und Schaschlik, hinter Kurtis Ladentheke, all diese Schätze lagen allenthalben auf fröhlichen Zungen und wurden in freudigen Mündern geführt, wann auch immer das Thema im Gespräch auf die Fleischhauerei des Meisters kam, wohin es mich immer zog, gscheit finsteres Fleisch, was ich stets ersehnte, wenn ich den Einkaufswagen unter Halogenlampen schob, durch die steril ausgeleuchteten Reihen griffbereit liegender, in Plastik eingeschweißter Ware, über verlässlich alle paar Meter das Vorderrad fangende Fliesen, die nach ätzendem Citrusreiniger stanken und den ganzen Einkaufswagen erbeben ließen, in diesem rhythmischen Ruckeln und Scheppern das Ticken der Verfallsdatumsuhr und das Vorwärtsmucken der Kühlkettenunterbrechungssekundenzeiger nur verdoppelten. Kurti jedoch machte alle paar Wochen seine Kesselheiße, will heißen, kam in welches Haus auch immer sich das leistete mit seinem riesigen Topf, brachte das Wasser darin zum Kochen mit dem feuerspuckenden Mund eines Flammenwerfers, einem Schweißgerät, einer Gaskartusche, einer Fackel, einem Campingkocher, einem Bunsenbrenner, einem Sturmfeuerzeug, einem Streichholz, womit man auch wollte, die Show gehörte ebenfalls dazu. Dann drehte er den mitgebrachten Fleischwolf, faschierte die unlängst geschlachteten Jungtiere live, packte den Brei ins Gedärm, schnürte die Wurst ab, knotete sie zu und prackte sie hinein ins kochende Wasser, heizte ordentlich ein, fischte sie wieder heraus den frischest möglichen Gaumenschmaus. An alle Anwesenden verteilte er eine Zigarette, nickte, wies auf ein serviertes Weckglas, in das er schon die ganze Zeit kettenaschte, und sagte, »am besten vorher, ist eh noch zu heiß.« Gegen Aufschlag schlachtete er sogar unmittelbar, in der Badewanne, wechselweise auch auf folienausgelegtem Boden, brachte Haken mit, hängte das Tier an die Decke und schnitt die verwurstbaren Stücke im Beisein der baldigen Tafelgemeinschaft heraus. Berichten zufolge brachte er sogar manchmal die schwangere Mutter und begann die Prozedur mit einem Kaiserschnitt, »frischer gehts nicht, noch nicht mal Kalb«, sagte er dann, angeblich nannte er das immer den Kaiberlschnitt. Aber man soll ja nicht alles glauben, was die Gerüchteküche verzapft. Habe man genug Geld in der Tasche und Zeit zu warten, Kurti beginne das Abendmahl mit der Befruchtung bei den Kunden zu Hause, hieß es. Niemand hätte Kurti eine ganze Trachtzeit lang ausgehalten.
»So sieht man sich wieder«, unter dem Eichenstamm. Er zündete sich eine neue Zigarette an der alten an, drückte den Stummel aus und ließ ihn in einen unter dem Poncho hervorgeholten Plastikbeutel fallen. Er schenkte mir brühheißen Kaffee nach und hielt mir nochmal die Schachtel hin. »Jetzt sitzen wir hier.« Ich nahm eine Zigarette heraus, ließ sie mir von Kurti entzünden. Die züngelnde Flamme wärmte meine Finger an und schon beim ersten Zug wusste ich, Marlboro, vielleicht das Päckchen umdesignt, sicher nicht die Rezeptur. Ich pustete den Rauch Richtung Blättervorhang und Rohrdickicht, blähte dabei die Backen, achtete darauf, leise auszuatmen. Eichelgesiebt verließ die Schwade das Versteck, tiefsitzende Nebelfetzen, Morgentau, Bodenfrost, Frische und Kälte, brodelnde Kochtöpfe. »Wir zwei Glühwürmchen.« Kurti nickte. Ich trank von dem Kaffee. Er brannte im Mund. Eine taube Stelle fühlte ich dann mit der Zunge am Gaumen. Schweigend rauchten wir weiter. Kurti immer noch hingesetzt wie ein Moslem kurz vor dem Beugen, ich hingefläzt wie ein armer Poet im finsteren Wald. Ich inhalierte tief ein letztes Mal und schickte eine Atemwolke hinüber zu ihm. Sie waberte vor Kurtis Gesicht herum und tunkte die schwarze Schminke in einen grauen Ton, dass das Weiß seiner Augen und die Wangenfarbe sich näher kamen. Hinter dem Blättervorhang lag das Sternenlicht auf dem Wildwechsel, materialisiert auf Pilzen, wilden Gewächsen, Lianen und Zwergtannen, auf Krüppelkiefern und findlingsmäßig aus dem Boden stehenden Schieferschichten, über die Moos kroch. Wie ein nächtlicher Zuckerguss und grüngraue Streusel stritten und fochten die Pionierpflanzen und das vom Himmel kommende Licht um die freien Steinflächen, bis das Moos etwas schneller zur Stelle war, sogleich aber selbst erhellt, silberspitzig, was etwas wahnsinnig Trauriges hatte, wie Menschen, die als allererste ihren Fuß auf Festland setzen, sogleich zermalmt werden unter den nachrückenden Sohlen.
Ein Rascheln kam auf, von fern erst und bald von nah, als eine gewaltige Hirschsilhouette jenseits des Wildwechsels zwischen zwei umfangreichen, in ihren Wurzeln und Kronen zusammengewachsenen, von dickwindigen Misteln verzweigten, eine Pforte formenden Baumstämmen erschien, als die paarhufigen Beine, keine Körperteile, sondern eher fallholzige Verästelungen des Forstes selbst, schrittweise das Tier Brust voran, kapital und majestätisch langsam aus der Dickung zur Mitte der länglichen Lichtung brachten, als hätte es keine Wahl, eben jetzt in die Welt zu treten. Sein Haupt neigte und Kiefer entzweiten sich, Zunge und Zähne, Moos äsend, das zwölfendige Geweih, es schwebte da, gleichgestaltet der moosfelligen Schieferplatte, die das Tier nährte, das Schaufeln formende, abwurfbereite, moosig bastbesaitete Stück am Wildtierkopf, voll von Blutgefäßen die testosterongeschwängerte Trophäe, als ob sie am Opferaltar darniederläge. Kurtis stierende Augen, die oder wir, schweiften weg, der Wald war immer schon der Forst, sahen ab von der Lichtung, geh spazieren, taxierten das Beil, auf der wilden Seite, fixierten wieder mich. Seine Finger juckten nicht. Er wirkte müde und lasch. Dann haschte er doch. Fasste eine Zigarette aus der Packung. Das Klicken des Feuerzeugs hallte wider wie eine Flinte in leerem Wald. Aber bloß in mir, denn das Wildtier war nicht voll, weder Blei noch Moos, schon gar nicht sonst was, stand da, aß. Es sei wohl der Platzhirsch und fehle zu sehr, fehle zusehend, falle auf, wenn er ausfalle, nicht mehr auftauche. Kurti nickte, stockte, zitterte, rauchte.
»Warum kommst du nicht mehr zu mir?«
»Die Schlange ist zu lang.«
9 Menschen, die in malerischen
Gegenden herumstehen und
gegenständliche Malerei bereden
Gerade vor Wochenenden, samstags und feiertags versammelte sich nahezu das ganze Kaff vor Kurtis Fleischerei. Nach einer guten Stunde Autofahrt parkte ich dann meinen Mercedes am Straßenrand hinter der Ortstafel, um mich als Letzter einzureihen in die mehrere hundert Meter lange Menschenmauer, an deren Ende Kurtis kleiner Laden zu sehen war, zumindest bei gutem Wetter, bei Föhn, der die Luft zu Glas machte und scheinbar sogar noch diese Schicht zum Klirren brachte, als wäre einfach nichts, jede Verunklarung weggenommen, zwischen mir und den feingezeichneten, zum Greifen nahen Fichtennadeln, die einzeln abzählbar vor den Kalkalpenhängen schwebten. Provinzler in Lodenmänteln und Jack-Wolfskin-Jacken hingegen drängten sich mir in den Blick, wenn es Schnee stöberte, und die langen weißen Wehen verhängten in ihrem Vorübergehen von rechts nach links, in russlandhohen Nordostwindböen tallängs die Sicht auf das Ziel. Zu Ostern noch jagte oft der Raureif seine Kristalle über die umliegenden Felder und Vorgärten. Die anstehenden Kunden ließen Fäustlinge, Zipfelmützen, Skimasken und Schals zu Hause, um mit aufgesprungenen Lippen und ekzemgebeutelten Händen die gereichten Plastiksäcke über der Theke entgegenzunehmen. Stand ich endlich vor Kurti, sagte er nur:
»Siegi.«
»Kurti.«
»Wie gehts der Familie?«
»Noch alle vollzählig.«
Dann breitete er das saisonale Angebot vor mir aus, wobei er manche Waren, für vier gar nicht zu schaffende Bratenstücke oder riesige Schwarzfußkeulen außerhalb meiner Preisklasse beiseiteräumte. Er entfernte sich durch eine hinterwandige Tür und holte noch andere Schlachtstücke, in Fettpapier eingeschlagen, das er vor mir hinter der Thekenscheibe