Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


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dann, »extra fett, nicht so trocken wie das Gesochs im Supermarkt«, und direkt daneben lag dann »Beiried, kein Gramm zu viel, pures Fleisch, ohne Flachsen, keine Faxen bei mir«, und Kurti zwinkerte mir dann zu, weil er wusste, dass er mir gegenüber aufwarten konnte mit diesem hochdeutschen Vokabular, hatte ich doch in Salzburg studiert. So richtete sich das Sortiment hier, nicht wie überall anders umgekehrt, nach den Kunden und ihren Wünschen, die Kurti feinster Nase erriet, witterte, was wiederum bloß bedeutete, es richtete sich nach ihm, was er für gut befand, was er gerade vorrätig hatte, was er empfahl, er nahm einem sowohl die quälende Auswahl als auch die ausschusshafte Qualität der Supermarktprodukte ab. Keinesfalls hat jemals jemand wirklich geordert und gekauft, was hinter der Ladentheke zu den angeschriebenen Preisen feilgeboten war. Allen wusste Kurti spezielle Angebote zu unterbreiten, die er aus den schier endlosen Weiten seines Lagers im hinteren Ladenteil zusammenstellte. Zum Teil dieser Überraschung wegen schon zogen die Leute Kurtis Fleischhauerei den wie Meilensteinen allenthalben in die Landschaft gepflanzten Supermärkten vor, die, wo sie auch waren, die gleichen Waren führten, jedweder Abwechslung bar.

      Anlass zur Unterhaltung boten mir die endlos variierbaren Visionen von Kurtis Lager, das angeblich nie ein Mensch gesehen, geschweige denn betreten hatte und die ich mir demgemäß mal als riesige Bibliothek voller Abertausender Leitern und Regalfächer beschrieb, Kurti parallel als blinden Bibliothekar mit geschwärzter Nickelbrille und Zettelkasten voller gestanzter Karteikarten, die er erst gelehrt und verständig abtastete, bevor er bombensicher argentinisches Rind von den Brettern fasste; mal als schlichter Raum voller zu erklimmender, schlimmer als der K2 ansteigender Filethaufen und vereister Schnitzelgipfel vorgestellt, Kurt in Steigeisenschuhen, mit Fleischpickel in der Hand, Adrenalinschweiß unter der Haube und Sauerstoffflasche auf dem Rücken; mal als labyrinthischer Keller imaginiert, in dessen Mitte der Staub von den letzten Sandalenkampfschritten noch in der Luft schwebte und ein monströses Mischwesen aus Rind, Schwein, Wild und Geflügel mit den Hufen scharrte, halb wahnsinnig, aus dessen Flanken Kurti mit antiquarischem Schwert frische Scheiben hieb; mal als Bastelatorium bezeichnet, wo Kurt mit Nadel und Faden die Einzelteile seiner Schlachtopfer verband, festgeschnallt auf einem Narrenhausbett à la du-entwischst-mir-nicht-mehr-in-den-Wald den wieder synthetisierten Körper dem Odem einhauchenden Blitzschlag überließ, um sie defibrilliert, panisch schwanzwedelnd, blutdurchpulster Gefäße, zu Tellern geweiteter Pupillen im dunklen Turmzimmer, vor Schreien fast schon aufspringender Halsschlagadern, nochmals frischer auseinanderzunehmen; und mal im warmen, flackernden Licht einer eiskalten Pathologie gezeichnet, voller Viehschubsärge und Kurtis Rauchausstoß, seinem eigenbrötlerischen Gebrabbel auf Diktiergerät, das die chirurgischen Eingriffe seines einzigen Kollegen und Lehrlings, Mister Kurt, kommentierte, inspiziert unter Elektronenmikroskopen, durch die er das Gewebe, die Abwesenheit von Karzinomen und Genmutationen kontrollierte; mal als karibischer Strand, auf dem in Liegestühlen und an Beistellklapptischen voller Limonadencocktails die Tiere in der Sonne brieten und Kurti sie nur sabbernd anzugaffen brauchte von einem benachbarten Barhocker aus, wo er noch einen Bahama Mama bestellt und abwartet, bis sie herzkasperlmäßig für immer die Augen zutäten.

      Fließbandmedikation, Antibiotikaabfertigung, Hormonterror, Psychobeschallung, Mozarttierhaltung, Massenprogramme und Masttherapie jedoch kamen nie vor in diesen einfallslosen Visionen. Sie waren angeschottert mit durchaus saisonabhängigen und zeitungsmeldungsäquivoken Variationen, wie viele organische Eisberge Kurti nicht bestieg in dem Jahr, da dieser österreichische Achttausendsasser seinen letzten Himalayagipfel erklommen hatte. Ich behielt diese verfilzten und vielzitierten Bilder für mich, sinnierte vor mich hin, in die Schlange eingegliedert und ausgeklammert. Wenn ein Gerücht die Linie machte, sich mein Vorderjemand voller auf Lodenmänteln besonders klettenhaft haftender Schneeflocken geheimnistuerisch zu mir umdrehte, den Schal herunternahm vom schlecht rasierten Gesicht, auf Zehenspitzen gehend die Sohlen der Bauernschnürschuhe knickte, die Fersen in die Höhe hievte, die Lippen fast an mein Gesicht, da spitzte schon mein Hinterjemand das von einer extra hochgeschobenen Steirerhutkrempe bewindschattete Ohr über meine Schulter, um dem Gerüchteerzähler seine Geschichte abzunehmen und weiterzuspinnen den Provinzfaden entlang. Abgefahren sei der schwule Friseur, der eines Tages aus Wien hier eingeritten sei, von hinten an seinen Lover geschmiegt und geklammert auf einer pastellgelben Kawasaki Ninja. Nicht mal lenken könne der selbst und nehme demgemäß diesmal, nachdem es ihm ein für alle Mal gezeigt gewesen sei nach letzter Samstagnacht und er erledigt geworden sei, wie es Kölnischwasserbadern wie ihm gebühre, den Zug zurück. Denn selig sind die, wie ein österreichischer Kabarettist unlängst wissen ließ, die verzichten könnten auf den Nahverkehr, sie wären gefeit vor schreienden Kindern und jüdischen Düften, verbannt im umgekehrten Sinn der schwule Friseur, dorthin, wo er hingehöre und herkomme, sagte mein Vorderjemand mit methanolbetäubten und kältegemarterten Wangen voller Pusteln. Der schwule Friseur hätte ihn gewiss nach dem Rasieren balsamiert mit einer alkoholfreien Lotion. Vergib ihnen, Vater, aber überlass sie Satans Gulaschsuppe, denn Dummheit schützt vor Höllenqualen nicht und für den Eintopf wird stets minderwertiges Fleisch gesucht. Im Anschluss des eben erst geendeten Schneefalls war alles besonders gut vernehmbar, jedes Geräusch, sämtliche Klänge, alle Vokabeln. So kam die Geschichte auch schon hinter meinem Hinterjemand bei einer steinalten Frau an, die ebenfalls gut riechbar war, der greise, nasenbeißende Schweiß gelöscht vom Schneien. Geöffneter Mäulchen samt vierundvierzigfachen Insektenfresserzähnen noch darin, weiß wie Eis, hingen die Nerze von ihrem Mantel, verströmten noch das Zyklon B, mit dem sie erstickt worden waren auf irgendwelchen Pelztierfarmen in der Tschechischen Republik, vermutlich über die Grenze geschmuggelt, verpackt in vollen Mottenkugelkisten, penetrant strahlte die Frau auch deren Geruch aus in die olfaktorisch geleerte Landschaft.

      Wie schön es gewesen sei, replizierte die Dame die Geschichte um ein weiteres Detail bereichert, auf das ich hätte verzichten können, dann Sonntagmorgen nach dem Gottesdienst einen Pfiff trinken und die Marktgasse hinunterpromenieren, oh, sie schüttelte ihre Zotteln, schwenkte die Nerze. Als kleiner Gschrapp sei sie schon so gerne in die vereisten Pfützen gesprungen, dass sie brachen und weit um die jetzige Dame herum gleißende Spleiße warfen. Ein Zniachtl sei sie gewesen, eine Frostblumenballerina, schnell und schalkhaft wie der Eisvogel, der den Fischen im Bach den Schnabel durch die Flanke rammt und wie ein Kolibri in der Luft steht. Klar waren dem flatterhaften Mädchen im blauen Wintergewand wie dem Vöglein im Federtand manche Forellen zu groß, wie die vielschichtig vereisten, tieferen Pfützen. Für die war es nicht schwer genug und doch hinterließ es schon als Gschrapp glücklich unzählige Latschenoberflächen als hochkomplexe Rosenblütenblättergeflechte tausendfach kristallhaft ineinanderfrakturiert leichten Schritts auf seinem Waldspaziergang in den Sonnenuntergang. Aber am liebsten, so lieb war ihm das Knacken, unter dem die Eisoberflächen auseinanderschnalzten. Schlafend Stunden später habe es ihm am Trommelfell gelegen im warmen Bett, dass es die Decke am nächsten Morgen zurückschlug, den einen Gedanken im Schädel, auf seinem Schulweg es all diesen festen Pfützen zu zeigen. Und trat dann wieder kein Knacken an sein Trommelfell bei der nächsten robusten Frustfläche, wünschte es sich einen stahlkappenversehenen Fußtritt an seinen steigeisigen Hörapparat. Ein paar Jährchen hochschwanger später auf einer Mutterschaftsausfahrt nach Wien habe sie dann gesehen und gehört, wovon es all die Jahre geträumt hatte als kleines, phantasiebegabtes, übergangenes, aus der Provinz, aber auch aus diesem Volk kommendes Mädchen, das schon gesunden Instinkt entwickelt hatte dafür, was ihm einmal gehören, wessen Erbe es sein, wie es es erwerben sollte, durch das Einschmeißen von Fensterscheiben, das Plündern von Geschäften, das Vertreiben von raffgierigen Fremden, das Bestehen auf einem Leben, das ihm niemand rauben durfte, worauf es von Rechts wegen Anspruch hatte, und sei es nur Wohnraum, bestünde es bloß in einem unleistbaren Ballographen, einem besonderen Ölmalkasten, einem schönen Stück Fleisch.

      Und Jahrzehnte später nun, herrje, letzten Sonntag so schön, als käme erneut eine österreifraue Macht auf, im Novembermorgen noch so ein Wetter, da habe im letzten Föhn dieses Jahres alles kristallklar widergehallt, als während ihres Marktgassenspaziergangs auf dem Trottoir unter ihren Holzschuhen die sonnenreflexverzierten Splitter knisterten, nur die kräuselige Miniatur des Klirrens der Scheibe beim Aufprall des Steins, der jener echtlebensgroß aufstellbaren Haarwerbepuppe zwischen die Beine geschleudert worden war, gleichsam den schwulen Friseur zum Straucheln brachte, der verdattert aus seinem Laden gestolpert war, wie der nächste Hinterjemand wissen wollte in tausendtropfenfachem Ausspucken, denn es fehlten viele


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