Die Forelle. Leander Fischer

Die Forelle - Leander Fischer


Скачать книгу
nach oben und bemerkte mich. »Ist wohl nicht möglich, eine Sekunde hier ruhig zu sitzen«, sagte sie. »Solltest du nicht in der Schule sein?«, fragte ich. »Und du?«, fragte sie. »Nur zur Information«, sagte ich, »wir wohnen da nicht.« – »Aber hier wohnst du auch nicht. Geh nach Hause!« – »Ich nehme an, wir sehen uns nächsten Mittwoch nicht.« – »Richtig geraten, du Bastard.« – »Du musst mich nicht mögen.« – »Arschgeige!« – »Vielleicht könnten dich deine Eltern mal abmelden, wenns genehm ist. Dann bekommt jemand anders deinen Platz beim Monster.« – »Das willst du doch gar nicht …« – »Unhold«, half ich ihr. »Eine Stunde rumsitzen und nichts tun und Geld dafür. Ist doch nicht schlecht. Außerdem berserkerst du doch viel lieber auf deiner Scheißgeige, als noch so einem Wannabe-Jimmy ein paar Riffs beizubringen.« Sie hatte mich bergquellkalt erwischt und ich Kinder in ihrem Alter: »Und du redest ungeheuer gern mit deinen Eltern, nicht?« – »Ja«, knurrte sie. »Und wie gefällt dir die Korsage?« – »Ey, alter Sack, ich warne dich. Hier war schon einer, der mich anbraten wollte. Ich hab ihn weggeschickt. Der sitzt jetzt sicher in irgendeinem Bahnhofsresti. Verziehst du dich auch am besten hin. Könnt ihr euch zusammen aufgeilen. Vielleicht haben sie ja sogar eine minderjährige Kellnerin.« Ich war erstaunt und wechselte in den Orchestermodus, spielte nach dem Fehler weiter, überspielte einfach alles, urösterreichischer Überzug, Zuckerguss und Höflichkeit. »Entschuldigen vielmals, Mademoiselle.« – »Spar dir das Pseudokulturmenschgehabe.« – »Ich dachte, deine Eltern hätten dich ins Ballett gesteckt.« – »Ebendeswegen ja.« – »Hey, das ist doch nichts Schlimmes. Ich habe so was zwei Jahre getragen.« Sie lachte, abgrundtief spöttisch, zog noch einmal an der Zigarette, dämpfte sie auf dem Stein aus, auf dem sie saß, und steckte sie in eine leere Bierdose, die sie aus ihrer Strickjackentasche zog. Jetzt sag einmal, dieses Blech, woraus bestand das. Und die Marke eine ehemals jüdische Firma, inzwischen fest in österreichischer Hand, unmöglich, auf die Zunge biss ich mir. »Ja wirklich. Als Jugendlicher habe ich mir den Rücken ruiniert. Vom vielen Üben. Gebeugt über die Saiten. Immer im Sitzen. Deswegen haben wir in der Stunde auch gestanden. Das kam dann bei der Stellung raus. Und statt ins Bundesheer haben sie mich in ein Korsett gesteckt. Vorrübergehend untauglich. Ärzte, Physio und andere Therapeuten, Unteroffiziere, Chargen, alles dieselbe Bagage.« – »Musikschullehrer hast du noch vergessen«, und nach einer kurzen Pause, »gehst du deshalb jetzt hier spazieren?« – »Ja, möglich wärs. Und du?« – »Ich denke nach«, ich sah ihr starr in die verkniffenen Augen. Es war nicht das Gegenlicht der Sonne. Genauso wenig wie die Lichtstrahlen aber hielt sie auch meinen Blick nicht aus. »Ja, schau mich an, Alter. Wonach siehts denn aus? Was so Problemkinder halt machen. Über den schwarzen Schwan und Ophelia denk ich nach. Selbstmordphantasien und so. Zufrieden?« Ich winkte ab. »Erst, wenn du dich von mir auf ein Eis einladen lässt.« – »Danke, das hat der letzte Penner auch schon probiert.« – »Und was hast du gesagt?« – »Pädophiles Schwein.« – »Und wirklich?« – »Dass meine Mama gesagt hat, ich darf nichts von Fremden nehmen.« – »So gesehen, kannst du mit mir auf ein Eis gehen.« – »Danke, nein, ich bin noch mit Denken beschäftigt. Könnte dir auch nicht schaden.« – »Gut Frau Ersthelferin. Was denkst du denn so?« – »Also der vorher hatte eine blaue Blume ans Revers gesteckt.« – »Eine Kornblume?« – »Ja, genau so einen Scheiß. Kannst du mir sagen, was alle diese Leute an wegsterbenden Dingen so toll finden?« – »Ja, das verstehe ich auch nicht.« – »Kannst ja bei mir zu Hause anrufen, wenn dir noch was einfällt.« – »Okay«, sagte ich kleinlaut, wandte mich ab, und dann sagte sie noch, was mich kurz innehalten ließ: »Nur, weil wir gequatscht haben, heißt das jetzt noch nicht, dass wir Friends sind. Höchstens, dass du nicht so mies bist wie der Letzte. Deine Stunde kannst du jedenfalls in Zukunft alleine verstehen. Ich hab verstanden. E-cua-dor, E-cua-dor, Chi-le. Zynischer gehts nicht, oder? Diese fucking Geigen sind aus Tropenholz«, und ich folgte den Himmel und Wolken zerschneidenden Kerosinschweifen zurück, vorbei an Ernstl, hinein in mein Auto, der gerade eine Forelle drillte, die er direkt zu seinen Füßen gefangen hatte. Es war genau zwölf Uhr und noch genug Zeit, ein herrliches Essen zu bereiten und es im Ofen warmzustellen für meine vom Gymnasium heimkehrenden Söhne, bevor ich zur Musikschule abfahren musste. Die Tanknadel zeigte schon wieder auf null statt Full. Doch als ich spätabends heimkehrte, diesmal unmittelbar nach der Musikschule, waren die gebratenen Fleischscheiben immer noch da, Lukas und Johannes bereits in ihren Zimmern und Lena abwesend. Nachdem ich früh aufzustehen hatte, wie ich in diesem Moment erwog, legte ich mich nieder. Vielleicht hatten auch meine Söhne sich in Umweltschützer, Vegetarier, Aktivisten, sonstige ungeheure Ungetüme oder wer-weiß-na-was verwandelt. Über diesen Gedanken brütend und den purpurroten Sonnenuntergang durch das Schlafzimmerfenster beobachtend dämmerte ich weg in unruhige Träume, und als ich wenig später dieser Nacht aus ihnen erwachte, fand ich mich im Eichenbett auf einer Daunenfederkernmatratze, neben meiner normalerweise nackt schlafenden Lena in weißem, gebleichtem, raupentotem Seidennachtgewand einerseits, die noch nicht ihre typische Schlaftemperatur ausstrahlte, einem eiskalt fluoreszierenden Wecker andererseits, der mittels Kupferdrahtspulen, Batteriesäure und kaltem Licht elf Uhr anzeigte. Ich stellte mich schlafend, blieb wach bis eins, sicherzugehen, vor bösen Geistern gefeit zu sein.

      5 Was die Ritz-D-Nymphe in ihrem

      Innersten zusammenhält

      »Startklar?« Ich nickte. »Erstens, den Haken in den Bindestock einspannen!«, sie bestanden beide keineswegs aus Holz, »zweitens, den Kupferdraht einbinden, so lange um den Haken winden, bis ein dichter Körper entsteht!«, immerhin konnten wir uns zugutehalten, ausgemusterte Radiogeräte zu benutzen, Abfall, der entweder auf unseren Haken und an den Mäulern von Forellen, Äschen und Saiblingen landen würde oder in einer Schrottpresse, deren Inbetriebnahme wiederum Strom verschlungen hätte, »drittens, den Kupferdraht abbinden, abschneiden, Pfauenfedersegmente aus dem Kiel reißen und einbinden, herumwinden, bis ein schwungvoller Hinterleib entsteht, jawohl!«, gut, die Schwanzfedern, die das glitzernde Abdomen der Ritz D formten, wurden natürlich toten Tieren entnommen, nachdem sie Ernstls Jägerfreunde aus den umliegenden Wäldern geballert hatten, »viertens, das Pfauengefieder ganz hinten am Hakenbogen abbinden, überstehende Fasern abschneiden und ein kleines Schwänzchen noch hinaufbinden, das simuliert die Beinchen, dafür am besten eine Fieber aus einer Rabenfeder schneiden!«, die ja massenhaft zwischen Unterholz lagen, die eben in den Humusböden steckten, umgeben von fichtengenadelten Fußabdruckprofilen, die Weidmänner hinterließen beim Durchstreifen von Lichtungen, wo ihnen die Federn vor die Stiefel fielen, sobald die Kolkvögel den Himmel schwarmweise verfinsterten, wenn sie das Geräusch verschreckten Flügelschlags durch die Baumkronen schickten als Antwort, wenn sie aufflogen in die Lüfte infolge der Flintenschüsse, die eigentlich den Fasanen galten, deren unversehrte, Apportierhundezähnen entgangene, von Blut reingebliebene, inzwischen in Vakuumdruckverpackungen eingeschweißte Halsbälge ich mir zur Brust nahm, streichelte, eine Feder herausriss, abwechselnd, anstatt der Rabenfiebern verband, so den Schwanz, das Muster, die Ritz D, das Fischergericht variierte in der Herbergsküche, »und fünftens, den Faden wieder ganz nach vorne vor die Kupferwicklung führen, und so lange herumwinden, bis wir ein schwarzes, konisches Köpfchen kriegen!«, überhaupt glaube ich nicht, dass Ernstl sich noch an die Liedtexte Arik Brauers erinnern würde, »sehr gut«, wobei das auch schwierig sein dürfte, »sechstens, Schlussknoten!«, er war ja damals schon alt. Sobald wir uns ans Binden der Ritz D machten, »Faden abschneiden!«, vergaß auch ich das Radio und seine Kunde, »nicht vergessen«, wir hatten den Apparat demütig wie eh und je zuvor noch spielen lassen, »siebtens, ein Tropfen Lack auf den Kopf!«, und der so drapierte Köder schillerte in Blau, Grün, Bronze, Silber und Schwarz unter dem Licht der zur Fliegenbindetischlampe umfunktionierten Schreibtischlampe. Ernstl knipste sie aus und in der Dunkelheit der Küche tranken wir ein Glas Pinot Grigio auf die Versöhnung. Der Wein atmete, während ich band, und der Lack trocknete, während wir tranken. Manchmal, wenn Ernstl mich anwies, die Fliege zusätzlich mit Blei zu beschweren, wusch ich mir auch die Hände mit einer Industrie-Schmirgelseife, die sonst nur Mechaniker verwendeten, während Ernstl alleine beide Gläser trank und der Lack trocknete. Zuletzt waren die Stunden vorangerückt, draußen sickerte das erste feurig rote Licht über die Kalkalpengrate, zwei Doppelliterflaschen waren leer, zehn Radios ausgenommen und dreißig Ritz-D-Nymphen gebunden. Ernstl hieß mich, die allererste, kärglichste, noch müde, unter Sekundenschlaf verquollene und schlaftrunken


Скачать книгу