Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5). Ina Krabbe

Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5) - Ina Krabbe


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redeten, die Malu alle nicht verstand. Sie hielt sich eng an Vincent und Lea, auf keinen Fall wollte sie plötzlich alleine in der Halle stehen. Trotzdem musste sie jetzt als Erstes ganz dringend auf Toilette. Die würde hier ja wohl irgendwo zu finden sein.

      Endlich kamen sie an einem Schild vorbei, auf dem zwei Strichmännchen und ein Rollstuhl abgebildet waren. Wie gut, dass die Toilettenzeichen überall ähnlich aussahen.

      »Ich geh mal eben aufs Klo«, sagte sie zu Lea und Vin­cent.

      »Beeil dich, Gabriella und Lenka warten bestimmt schon auf uns.« Vincent parkte den Gepäckwagen nah an der Wand, damit er nicht im Weg stand.

      Malu lief den kahlen Gang entlang bis zur Frauentoilette. Gerade wollte sie in der Tür verschwinden, da packte sie plötzlich eine Hand und zog sie zurück. Sie wirbelte herum und starrte in die kleinen Augen eines sehr alten Mannes. Sein ganzes Gesicht war unglaublich verschrumpelt und in der Mitte prangte eine große Hakennase. Trotz des Alters steckte noch eine Menge Kraft in ihm, mit seinen krallenartigen Händen umklammerte er Malus Oberarme. Malu war ganz starr vor Schreck, nur ihre Augen jagten hektisch hin und her, ob von irgendwoher Hilfe zu erwarten war.

      Dann plapperte der Mann mit rauer Stimme auf sie ein. Worte zischten auf sie nieder und Spucketröpfchen landeten in ihrem Gesicht. Sie verstand kein Wort, Panik stieg in ihr hoch.

      Endlich konnte Malu wieder reagieren. »Lassen Sie mich los!«, schrie sie und versuchte sich aus dem Klammergriff zu winden. »Verdammt, was soll das?! Was wollen Sie von mir?«

      Erneut ergoss sich ein Schwall spanischer Worte über Malu. Fauliger Atem quoll dabei aus dem fast zahnlosen Mund. Ein heftiger Würgreiz erfasste Malu. Ihre Oberarme schmerzten.

      »He, lassen Sie das Mädchen los!« Erleichtert vernahm Malu Vincents Stimme, Turnschuhe quietschten auf dem polierten Boden.

      Endlich lockerte der Alte seinen Griff und blickte sich verwirrt um. Den Moment nutzte Malu und riss sich los. Plötzlich wimmelte es von Leuten um sie herum, die den Tumult bemerkt hatten. Auch zwei uniformierte Männer erschienen und alle redeten wild durcheinander. Da Malu sowieso kein Wort von dem verstand, was da gesprochen wurde, konnte sie sich darauf konzentrieren sich wieder zu beruhigen. Ihre Knie waren ganz wackelig, am liebsten hätte sie sich in eine Ecke gesetzt und geheult. Zum Glück konnte Vincent ein bisschen Spanisch, sodass er das Reden übernahm. Einer der Polizisten erklärte ihm gerade etwas und wedelte dabei wild mit der Hand vor dem Gesicht.

      »Sie fragen, ob du den Mann anzeigen willst«, übersetzte Vincent. »Der Alte ist hier wohl schon bekannt, er ist ein bisschen verrückt, aber harmlos. Sagt der Wachmann jedenfalls.«

      Malu schüttelte den Kopf. »Nein, lass uns lieber schnell verschwinden. Lenkas Mutter steht doch bestimmt schon vorm Flughafen.« Sie wollte nur weg von hier!

      Vincent nickte und erklärte das den uniformierten Männern, die daraufhin beide ganz erleichtert aussahen.

      Malu musterte den Alten, der jetzt, wo er zwischen den beiden Wachleuten stand, wirklich harmlos wirkte. Doch als ihre Blicke sich trafen, verdunkelten sich seine Augen und er spuckte ihr erneut drohend klingende Worte entgegen. Die Uniformierten konnten den Mann gerade noch festhalten, sonst hätte er sich erneut auf Malu gestürzt. Entsetzt drehte sie sich um und rannte mit zitternden Beinen zurück in die Flughafenhalle.

      Lea saß ganz oben auf dem Kofferwagen und ließ die Beine baumeln, dabei wischte sie gelangweilt auf ihrem Smart­phone herum. Als sie Malu und Vincent kommen sah, stöhnte sie theatralisch. »Wo bleibt ihr denn? Das hat ja Stunden gedauert.« Doch als sie Malus bleiches Gesicht sah, stutzte sie. »Ist was passiert?«

      »Erzähl ich dir gleich«, sagte Malu. »Lass uns erst mal von hier abhauen.«

      Sie schoben den schweren Wagen durch die Menge und erreichten endlich den Ausgang. Die große Glastür schob sich in der Mitte auseinander und heiße, trockene Luft schlug ihnen entgegen.

      »Hola, Spanien, wir kommen!«, rief Vincent und breitete die Arme aus.

      Malu lächelte. In Anbetracht von Sonne und blauem Him­­­mel verschwand ihre düstere Stimmung allmählich wieder. Das war eben nur ein verrückter alter Mann gewesen und sie hatte einfach Pech gehabt, dass sie ihm vor die Füße gelaufen war. Das war’s. Kein Grund sich die Ur­­laubs­laune verderben zu lassen.

      Sie zockelten mit dem Gepäckwagen an den verabredeten Treffpunkt und machten es sich auf Koffern und Taschen gemütlich.

      »So, jetzt raus mit der Sprache«, verlangte Lea. »Was war da vorhin auf der Toilette los?«

      Das Wort Toilette erinnerte Malu daran, dass sie da gar nicht gewesen war und eigentlich dringend mal musste. Aber in das Flughafengebäude würde sie auf keinen Fall zurückgehen, da würde sie lieber hinter einen Busch pinkeln! Sie erzählte Lea von dem alten Mann und Vincent von seinem Gespräch mit den Wachleuten.

      »Hast du eigentlich verstanden, was der Alte gesagt hat?«, fragte Malu.

      »Ein bisschen. Wirres Zeug, von einem Zeichen irgendeiner Bestie und dass sie dich holen wird. Und irgendwas von einem Tal und von verlorenen Seelen oder Pferden und dass du ein Opfer bringen musst.« Er blickte Malu schräg von der Seite an, dann riss er die Augen auf. »Oh Gott, ja, jetzt seh ich es auch. Du bist gezeichnet«, rief er und hielt schützend die Hände vor sich. »Weiche von mir!«

      Malu versetzte ihm einen so heftigen Schubs, dass er vom Wagen rutschte. »Nicht witzig!«, grummelte sie, muss­­te aber trotzdem grinsen.

      »Verlorene Seelen.« Lea schüttelte sich. »Da kann der Urlaub ja nur noch besser werden.«

      Malu legte sich rücklings auf den Koffer und schloss die Augen. »Da hast du wohl recht.«

      Dann warteten sie. Als nach einer Stunde weder Lenka noch Gabriella aufgetaucht war, wurden sie langsam unruhig. Die würden sie ja wohl nicht vergessen haben? Wohl kaum, Arno hatte schließlich selbst die Tickets besorgt.

      Und wenn das doch alles eine Art Racheplan von Lenka war? Ein ungutes Gefühl machte sich in Malu breit. Viel­leicht wurde der Urlaub doch nicht zwangsläufig besser, sondern die Verwünschungen des Alten waren nur der An­­fang gewesen.

      4. Kapitel

      Vincent stöhnte und verscheuchte eine Fliege, die hartnäckig versuchte sich auf sein Gesicht zu setzen.

      »Du scheinst ja lecker zu riechen«, bemerkte Lea und schnüffelte in seine Richtung. »Jedenfalls für eine Fliege.«

      Vincent steckte seine Nase unter die Achseln und sog die Luft ein. »Mm, riecht doch köstlich und das nach zwei Stunden in diesem Backofen.« Er grinste Lea an, die angewidert das Gesicht verzog.

      »Bäh, das ist so ekelig, Vincent!«

      »Ihr habt wohl schon einen Sonnenstich«, meinte Malu müde und drehte sich auf ihrem Koffer zur Seite. Die Sonne war ein ganzes Stück weitergewandert und ihr Warte­platz im Schatten hatte sich in eine Gluthölle verwan­delt. Die schwarze Kappe erwies sich jetzt wirklich als ein Segen.

      Lea blickte auf ihr Handy. »Fast drei Stunden Verspä­­tung in­­zwischen. Ich glaub nicht mehr, dass da noch einer kommt.«

      Vincent trat gegen ein Steinchen. »So ein Mist! Was machen wir jetzt?«

      Malu setzte sich auf. »Ich versuch noch mal, ob ich je­­man­­den erreiche und wenn nicht – dann fahren wir eben zu diesem Gestüt hin. Wir haben ja die Adresse.«

      Lea nickte. »Guter Plan. Wenn wir hier noch länger schmo­ren, finden sie morgen nur noch ein paar verschrumpelte Mumien.«

      Während Malu ans Ende des Flughafengebäudes lief, wo der Empfang am besten war (was sie hinter einem einsamen Busch festgestellt hatte), machte sich Vincent auf die Suche nach einer Mitfahrgelegenheit.

      Lenka und ihre Mutter waren weiterhin nicht erreichbar. Malu hatte auch nicht mehr wirklich damit gerech­net. Sie


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