Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5). Ina Krabbe

Funkelsee – Im Tal der verlorenen Pferde (Band 5) - Ina Krabbe


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dass sie gerade ziem­­­­lich böse verarscht wurden. Sie seufzte. Auf keinen Fall wollte sie noch mal ihre Mutter anrufen, die würde ja ver­­­­rückt werden vor Sorge. (Auch wenn es gestern nicht ge­­rade den Anschein gemacht hatte.) Wie gut, dass Vincent ein bisschen spanisch sprach, so konnte er wenigstens he­r­aus­finden, wie sie zu dem Gestüt kommen konnten.

      Malu war als Erste wieder bei ihrem Gepäckwagen. Auf Leas fragenden Blick hin schüttelte sie den Kopf. »Nichts.«

      Vincent dagegen strahlte, als er nach einer Weile zurückkam, und wedelte mit drei Tickets. »So, Mädels, los geht’s. Der Urlaub kann beginnen.« Er löste die Bremse vom Wagen und schob ihn ruckartig an, sodass Malu von ihrem Koffer­­turm rutschte. »Wir müssen uns beeilen, der Bus fährt in fünf Minuten.«

      Sie eilten den Gehweg entlang, an großen modernen Rei­­se­­bussen und Taxen vorbei, bis sie völlig außer Atem vor einem klapprigen gelben Gefährt standen, das aussah, als ob es noch aus dem letzten Jahrhundert stammte. Die Tü­­ren waren geöffnet und der Bus scheinbar schon bis auf den letzten Platz besetzt. Der Busfahrer, ein kleiner dicker Mann (ob der mit dem Bauch überhaupt hinter das Lenkrad passte?), stand in der Tür und trieb sie an. »Rápido, rápido!«

      Malu hatte keine Zeit mehr sich zu fragen, wie sie denn mit ihrem ganzen Gepäck noch in das überfüllte Fahrzeug passen sollten. Sie kletterte mit Lea die Stufen hoch und zerrte Koffer und Taschen in den Gang, die Vincent ihnen anreichte. Dann sprang er selber hinein.

      »No, acabo de beber. Vamos.« Der dicke Fahrer nickte zufrieden, er hatte sich in der Zwischenzeit hinter das Lenk­­rad geschoben und brüllte jetzt seinen Fahrgästen etwas zu.

      Eine junge Frau winkte Malu, sich zu ihr zu setzen. Sie hob den riesigen Korb hoch, der neben ihr gestanden hatte, und nahm ihn auf dem Schoß. Dankbar kletterte Malu über die Taschen und ließ sich auf den Sitz fallen.

      Lea fand einen Platz auf der anderen Seite des Ganges neben einer älteren, dunkelhäutigen Frau in einem knallpinken Kleid. Zum Glück war Lea so schmal, denn die Frau selber nahm schon eineinhalb Plätze ein. Nur Vincent musste sich zu den Koffern auf den Gang hocken, aber niemand hier schien das irgendwie ungewöhnlich zu finden.

      »Hoffentlich kommen wir mit diesem Ding jemals an«, meinte Malu skeptisch, als sich die Türen quietschend schlos­­sen.

      »Als du gesagt hast, du guckst nach einer Mitfahr­ge­le­genheit, hatte ich eigentlich eher an ein Taxi gedacht«, maulte Lea und fächelte sich mit einer alten Zeitung, die auf dem Sitz gelegen hatte, Luft zu. »Mit Klimaanlage.«

      Vincent schob seine dunklen Haare nach hinten und grinste. »He, wir haben Urlaub. Ist doch voll das Aben­teuer.«

      Der Blick, den Lea ihm zuwarf, machte überdeutlich, dass sie sich unter Urlaub nun wirklich etwas anderes vorstellte.

      Malu lehnte sich zurück, in ungefähr drei Stunden würden sie in Portocento sein und von dort wollten sie sich ein Taxi nehmen, das sie zum Gestüt bringen würde. Und hoffentlich lösten sich dann all ihre Bedenken in Luft auf. Es konnte schließlich tausend Gründe geben, warum sie niemand abgeholt hatte. Vielleicht hatte Gabriella eine Panne gehabt oder sich im Datum geirrt. Irgend so eine dumme Kleinigkeit würde es sein. Malu gähnte. Die Hitze im Bus und das Stimmengewirr um sie herum machten sie müde. Während sie weiter ihren Gedanken nachhing, ließ sie sich von dem Geschaukel des Busses in den Schlaf wiegen.

      Irgendetwas störte. Sie lag gerade gemütlich an Papilo­pulus’ warmen Köper gelehnt im Pferdestall und wollte vor sich hin dösen, aber Lea plapperte ihr unablässig ins Ohr.

      »Lass das, Lea«, murmelte sie und versuchte ihre Freun­din beiseite zu schieben. »Au!« Malu fuhr ruckartig hoch, etwas hatte ihr in die Hand gezwickt! Sie starrte direkt in die Augen einer empört schnatternden Gans. Die Frau neben ihr versuchte das Tier zu beruhigen und drückte es sanft in den Korb zurück. Dabei lächelte sie entschuldigend und erklärte Malu etwas in einer fremden Sprache. Spanisch. Na klar, sie saß nicht mit Papi im Pferdestall, sondern in einem überfüllten Bus, der irgendwo in den Bergen Zentralspaniens unterwegs war, wie ihr ein Blick aus dem Fenster klarmachte.

      »Interessant, dass du mich mit einer Gans verwechselst«, ertönte Leas Stimme aus der Sitzreihe neben ihr etwas beleidigt.

      Malu grinste. »Das kommt nur, weil ich dich gans doll mag!«

      »Na hoffentlich«, sagte ihre Freundin hoheitsvoll, musste aber doch lachen.

      »Wo ist Vince?« Der Platz auf den Koffern im Gang war leer.

      Lea zeigte in den hinteren Teil des Busses und Malu ent­­­deckte Vincents schwarzhaarigen Schopf in einer Gruppe von jungen Männern, die auf einem provisorischen Tisch­chen Karten spielten. Die Jungs lachten und klopften ihm auf den Rücken, als würde er schon ewig dazugehören. Es hatte absolut Vorteile, wenn man die Landessprache beherrschte. Malu nahm sich fest vor Spanisch zu lernen, wenn sie wieder zu Hause war.

      Der Bus schnaufte und stöhnte, während er sich eine steile Bergstraße hochquälte. Malu wurde schlagartig übel, als sie durch das Fenster in den tiefen Abgrund neben der Straße blickte. Das konnten sie unmöglich überleben! Sie krallte sich in ihr Sitzpolster (da war sie bestimmt nicht die Erste, so zerschlissen, wie das war) und betete, dass der Fahrer jetzt nicht abgelenkt wurde und der Bus keine Panne haben würde. Die junge Frau neben ihr sagte ein paar Worte, die beruhigend klangen, und Malu lächelte sie verkrampft an. Dann kam endlich der Pass und mit letzter Kraft (so kam es ihr wenigstens vor) schob sich das klapprige Gefährt darüber. Aber die Erleichterung währte nur kurz, denn die Fahrt ging immer weiter über schmale Serpentinen (was, wenn einem hier jemand entgegenkam?), vorbei an tiefen Schluchten und steilen Berghängen.

      Malu zwang sich, nicht weiter aus dem Fenster zu gu­cken, sondern stattdessen ihrer Freundin zuzuhören, die von ihrem zukünftigen Modeimperium erzählte.

      Endlich wurde die Landschaft etwas flacher, die Berge wichen staubigen, spärlich bewachsenen Hügeln, auf denen Rinder mit ausladenden Hörnern grasten. Hier und da gab es kleine Häuser und Höfe, die wie hingewürfelt in der Landschaft lagen. Als Malu die ersten Pferde entdeckte, machte ihr Herz einen kleinen Sprung. Wie majestätisch sie aussahen, mit ihren gebogenen Hälsen und den wehenden Mähnen. Die Tiere machten einen wilden, freien Eindruck, obwohl das vermutlich Quatsch war und sie zu einem der Höfe gehörten. Oder ob es hier in der Gegend noch echte Wildpferde gab?

      Endlich fuhr der Bus in Portocento ein. Das Dorf be­­stand scheinbar nur aus einer einzigen schnurgeraden Straße, an der sich ein paar Häuser aufgereiht hatten, zwischen denen einige kümmerliche Bäume wuchsen. An einer heruntergekommenen Bushaltestelle kam das alte Fahrzeug keuchend zum Stehen und mit einem letzten Seufzer öffneten sich die Türen. Malu atmete erleichtert auf, es grenzte für sie an ein Wunder, dass sie tatsächlich heil angekommen waren. Nur hatte sie sich Portocento etwas größer vorgestellt. Wo sollten sie hier ein Taxi herbekommen? Egal, erst mal raus aus diesem stickigen Monstrum!

      Einige ihrer Mitfahrer erhoben sich ächzend und quatschend, suchten ihr Gepäck aus Ablagen und unter den Sitzen zusammen und ergossen sich dann auf die staubige Straße.

      Vincent verabschiedete sich lärmend von seinen Mit­spie­­lern und half dann den Mädchen Koffer und Taschen nach draußen zu schaffen. Der dicke Busfahrer stand mit verschränkten Armen in der Tür und betrachtete sie kopfschüttelnd. Wahrscheinlich fragte er sich gerade, was drei Jugendliche ausgerechnet in diesem verlassenen Nest zu suchen hatten. Und genau das fragte sich Malu auch. Als Letztes stieg eine ältere Frau aus dem Bus, sie hatte eine große Umhängetasche geschultert und zog ein Bein leicht nach. Als sie Malu anblickte, stutzte sie und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Sie zischte ihr ein paar Worte zu und spuckte vor ihr in den Staub. Dann humpelte sie vor sich hin zeternd weiter.

      Malu sah ihr sprachlos nach.

      »Du scheinst in Spanien nicht besonders beliebt zu sein«, sagte Vincent trocken.

      »Das Gefühl hab ich allerdings auch.« Malu rieb sich über die Arme, auf denen sich trotz der Hitze eine Gänse­haut gebildet hatte. Erst der Alte am Flughafen und jetzt die Frau –


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