Liebe, Eis und Schnee. Annabelle Costa
sie. »Kommt noch was dazu?«
»Vielleicht … doch lieber zwei Biscuits.«
Sie tippt meine Bestellung in die Kasse ein, und ich zahle bar. Da der Bon meinen kleinen Fehltritt verraten könnte, winke ich ab, als sie ihn mir geben will. Leise summend tütet das Mädchen die Biscuits ein, und ich versuche, die Melodie zu erkennen. Vielleicht Meghan Trainor?
»Hey, glauben Sie, dass Billy Joel der Superstar der Achtziger war?«, frage ich sie.
Das Mädchen blinzelt sichtlich irritiert, während sie die braune Papiertüte auf der Theke abstellt. »Wer ist Billy Joel?« Ich muss sie wohl ziemlich entgeistert ansehen, denn sie fügt hinzu: »Ich bin 2000 geboren. Mit den Achtzigern kenn ich mich nicht so aus …«
»Nicht so wichtig«, murmele ich und lasse die Biscuits in meiner Hermès Birkin Bag verschwinden. Wann ich Gelegenheit bekomme, sie zu essen, steht noch in den Sternen, da im Porsche striktes Essverbot herrscht. Chase liebt dieses Auto fast so sehr wie Billy Joel. Würden wir heiraten, hätte ich aber vielleicht eine Chance auf Platz Nummer drei.
»Seien Sie vorsichtig im Schnee«, wünscht das Mädchen mir noch, als ich mich zum Gehen wende.
Ich runzele die Stirn. »Schnee?«
Schnell werfe ich einen Blick durch die Fenster des Restaurants nach draußen. Und tatsächlich schweben kleine Schneeflocken vom Himmel herunter.
»Hab gehört, dass ein Blizzard im Anmarsch ist«, erklärt die Angestellte.
Nanu? Chase hat behauptet, der Wetterbericht hätte für das Wochenende hier in der Gegend nichts angesagt.
Ich danke dem Mädchen und eile nach draußen. Ich war wohl viel länger im Restaurant als gedacht, denn die Sonne steht tiefer am Himmel, und die Temperatur ist stark gesunken. Die kalte Luft schlägt mir ins Gesicht, und der dunkle Stoff meiner Jacke ist sofort mit weißen Flocken übersät.
So schnell ich kann, haste ich zum Auto. Ich bibbere, als ich mich auf den Ledersitz fallen lasse. Chase hat zum Glück die Heizung voll aufgedreht, und die Wärme umfängt mich angenehm.
»Es schneit«, keuche ich.
Chase zuckt mit den Schultern. »Laut Wetterbericht soll es ein paar Schneeschauer geben.«
Ich schaue auf die inzwischen großen, weißen Flocken, die vom Himmel fallen. »Bist du dir sicher, dass es klug ist, mit dem Porsche weiterzufahren?«
Chase sieht mich an, als ob ich verrückt geworden wäre. »Der Schnee bleibt ja nicht mal liegen. Wenn ich bei dem bisschen nicht mehr fahren kann, sollte ich dringend wieder zurück nach Virginia ziehen.«
Etwa ein Jahr bevor wir zusammengekommen sind, ist Chase aus seinem schneearmen Heimatbundesstaat hier hochgezogen, aber er hat sich hervorragend in Neuengland integriert. Er besitzt sogar eine Red Sox-Baseballjacke. Trotzdem mache ich mir Sorgen, dass er sein Auto im Schnee nicht so sicher beherrscht wie jemand, der hier aufgewachsen ist. »Es könnte schlimmer werden«, meine ich.
»Wird es nicht.«
»Könnte es aber.«
»Wird es aber nicht.«
Wenn es eine Sache an Chase gibt, die ich sowohl liebe als auch hasse, dann ist es sein unerschütterliches Selbstvertrauen. Wenn Chase von einer Sache überzeugt ist, dann lohnt sich keine Diskussion darüber. Drew und ich haben da einen Insider-Gag für solche Momente – wir nennen ihn dann den Unerschütterlichen Chase. Wenn man Chase fragt, was er zum Abendessen möchte, und er antwortet »Chinesisch«, dann schwingt in seiner Antwort keine Frage mit. Er fragt nicht, ob ich Lust auf chinesisches Essen habe oder ob mir Indisch vielleicht lieber wäre. Nein, es bedeutet schlicht, dass ich im Laufe des Abends Ming’s Palace anrufen werde, um unsere Bestellung durchzugeben.
Selbstbewusste Männer sind sexy, das gebe ich gerne zu. Andererseits … sollte ich nicht wenigstens manchmal aussuchen dürfen, was wir essen?
»Da drüben ist eine Tankstelle. Willst du noch tanken?«
Chase schaut auf die Tankanzeige. »Nein, wir haben genug. Der Tank ist halb voll.«
»Genau. Und wir haben noch eine lange Strecke vor uns.«
»Ein halber Tank reicht locker.«
Man könnte meinen, dass er ein Optimist ist und ich eine Pessimistin bin. Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass er seinen kostbaren Porsche nicht betanken kann, solange der nicht komplett leer ist, oder ein ähnlich blöder Grund. Auf jeden Fall habe ich die Nase voll von diesen Nonsensdiskussionen. Meinetwegen – Billy Joel ist der Superstar der Achtziger, KFC verarbeitet Mutantenhühnchen, und wir brauchen kein Benzin.
Chase wirft mir einen Blick zu, und sein Gesichtsausdruck wird etwas liebevoller. Sicher, er hat ein paar Ecken und Kanten, aber er ist kein schlechter Partner. Jeder ist während einer langen Autofahrt gestresst. Ich kann ihm auch eigentlich keinen Vorwurf machen, dass er ein bisschen angefressen ist, wenn man bedenkt, wie schnippisch ich selbst gerade zu ihm war.
»Wir sind bald in der Hütte«, meint er versöhnlicher. »Dort wartet ein romantisches Abendessen auf uns. Nur wir zwei. Und dann …« Er zwinkert mir zu. »… eine romantische Nacht.«
Er greift nach meiner Hand und drückt sie. Für einen Mann hat er sehr weiche Hände – und sie sind angenehm glatt und warm. Genau wie seine Lippen.
»Ich kann’s kaum erwarten«, antworte ich. Und das meine ich auch so.
Kapitel 2
Nun schneit es schon seit einer Stunde ununterbrochen, und es ist kein Ende in Sicht.
Und es ist auch kein leichter Schauer mehr, sondern richtiger, echter Schnee – große, weiße Flocken, die nicht sofort schmelzen, wenn sie auf dem Boden landen. Ich wollte selbst nach dem Wetterbericht schauen, aber mein Smartphone hat keinen Empfang. Daher habe ich kein Gegenargument für Chase, der noch immer darauf besteht, dass es »gleich« aufhört zu schneien.
Chase geht vom Gas und aus den halsbrecherischen 140 km/h werden etwas vernünftigere 110, die mich noch nervös genug machen. Wir haben die Grenze nach Vermont inzwischen überquert, und der Verkehr hat während der letzten zwanzig Minuten stark abgenommen. Mittlerweile sind wir auch nicht mehr auf dem Highway und haben seit mindestens zehn Minuten kein anderes Fahrzeug mehr gesehen.
»Der Schnee gefällt mir nicht«, sage ich.
»Sind doch nur ein paar Flocken«, entgegnet Chase. »In spätestens einer Stunde ist das wieder vorbei.«
So ein Quatsch! Ich krame das Handy aus meiner Handtasche und öffne die Wetter-App. Immer noch nichts. Kein LTE, kein 4 G … rein gar nichts.
Ich schaue auf das Navi, das am Armaturenbrett des Porsches befestigt ist. Unten im Bildschirm steht: »Kein GPS. Signal wird gesucht …«
»Ich hab kein Internet.«
Chase zuckt mit den Schultern. »Ich hab dir doch gesagt, dass es hier oben nicht überall Netz gibt. Du hast dir was zum Lesen mitgenommen, oder?«
Ja, habe ich. Meinen Reader mit fünf E-Books und zwei Taschenbücher habe ich in meiner Reisetasche verstaut – eine Leselampe im Miniformat inklusive, nur für den Fall der Fälle. Aber ich bin eigentlich nicht davon ausgegangen, dass ich wirklich das ganze Wochenende ohne Internetverbindung verbringen werde. Länger als für die Dauer eines Flugs war ich noch nie von der Welt abgeschnitten. Zumindest nicht, seit das Internet existiert.
Drew und ich haben uns während der Fahrt immer mal wieder Nachrichten geschickt, also schreibe ich ihm: Kannst du nachschauen, was der Wetterbericht für Vermont sagt?
Drew wird mich damit aufziehen, dass ich das nicht selbst nachgesehen habe, aber damit kann ich leben. Jetzt im Moment will ich einfach nur wissen, ob ich darauf bestehen muss, dass wir umdrehen.
Allerdings ziert sich mein Handy, als ich versuche, die Nachricht zu schicken. Irgendwann wird mir dann die Meldung »Übertragungsfehler« angezeigt.
Verdammt.