Liebe, Eis und Schnee. Annabelle Costa
beleidigt. Die Ehre dieses Autos würde er wohl auch eher verteidigen als meine. Niemand, wirklich niemand, darf abfällig über seinen Porsche reden.
»Da blockiert bestimmt nur irgendwas eins der Räder«, beharrt er. »Könntest du aussteigen und nachsehen?«
Ich starre ihn an. »Warum gehst du nicht raus und schaust nach?«
»Deine Jacke ist wärmer als meine.«
Da hat er nicht unrecht. Chase trägt eine Lederjacke, die er aus einem Londoner Laden namens Belstaff importieren lassen hat, weil er ein Foto gesehen hat, auf dem David Beckham so eine anhatte. Das Leder ist unglaublich weich, aber absolut unpraktisch für Ausflüge in den Schnee. Aber wehe, wenn ich ihm das sage. Und statt Stiefeln oder irgendetwas Stiefelähnlichem hat er natürlich seine Everlane-Lederslipper an.
Ich bin leider auch nicht viel passender angezogen. Aber wenigstens habe ich Stiefel an – meine rot besohlten Metograf-Stiefelchen von Christian Louboutin sind nicht wasserdicht, immerhin hatte ich nicht vor, im Schnee herumzustapfen. Doch die Verkäuferin hat mir versichert, dass sie einen gewissen Schutz bieten. Sieht so aus, als ob die Schuhe vor ihrem ersten Praxistest stehen.
»Meinetwegen«, murre ich.
Schon allein das Öffnen der Autotür ist ein ziemlicher Kampf, weil so viel Schnee auf dem Boden liegt. Und dazu kommt noch der heftige Wind, der mir Schneeflocken ins Gesicht peitscht, sobald ich die Tür aufbekommen habe. Verdammt, ist das kalt draußen – viel kälter als vorhin, als die Sonne noch da war. Mein Telefon kann mir die aktuelle Temperatur nicht anzeigen, aber sie liegt sicher deutlich unter dem Gefrierpunkt. Das muss sie doch, wenn es schneit, oder? Ich bin keine Wetterexpertin, aber ich weiß, dass es echt kalt sein muss, damit es schneit.
Ich trete in den frischen, weißen Pulverschnee, und mein rechter Stiefel sinkt sofort ein. Und, oh mein Gott, diese Stiefel sind kein bisschen wasserdicht. Die Verkäuferin bei Christian Louboutin hat mich angeschwindelt.
»Siehst du was?«, fragt mich Chase, obwohl ich noch nicht einmal meinen Hintern aus dem Auto befördert habe.
»Nein«, fauche ich ihn an.
Gottverdammter Chase! Ich hasse ihn und seine nicht-klatschnassen Füße. Ich wollte von Anfang an nicht in diese Hütte fahren – warum nur musste er mich zu diesem blöden Ausflug überreden? Stattdessen könnte ich jetzt zufrieden zu Hause warm eingekuschelt auf meinem Ledersofa liegen und vom Fenster aus den Schneeflocken beim Tanzen zusehen, statt meine Socken einzuweichen. Ich hätte mich nie zu diesem Unsinn breitschlagen lassen sollen.
Endlich schaffe ich es, mich aus dem Auto zu hieven, und kämpfe mich zur Motorhaube vor. Vorn rechts an der Haube ist ein Kratzer, der garantiert noch nicht da war, als wir losgefahren sind – wahrscheinlich stammt er von einem Ast. Chase wird durchdrehen, wenn er das sieht. Und dieser Gedanke verschafft mir einen vielleicht etwas unangebrachten Glücksmoment. Chase hat sein Auto nicht mal bezahlt – seine Eltern haben es ihm gekauft. Wenn ich wegen dieser Affenkälte krank werde, muss ich mich am Montag trotzdem durch den Catering-Auftrag für Mandy Duvalls Babyparty quälen, während Chase in seinem Büro kommt und geht, wie es ihm in den Kram passt. Seine Aufgabe besteht nämlich darin, in einem Eckbüro zu sitzen und gut auszusehen. Er könnte eine Woche lang nicht auftauchen, und niemand würde es merken oder ihn vermissen.
Okay, das ist gemein. Stimmt aber. Trotzdem gemein.
Die Kälte lässt meine Laune noch weiter sinken. Und hungrig bin ich auch – warum hat er mich nichts bei KFC essen lassen, wie ich es wollte?
Ich fege mit bloßen Händen Schnee von der Motorhaube, da ich natürlich keine Handschuhe mitgenommen habe. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Wer vergisst denn bitte seine Handschuhe, wenn er im Februar nach Vermont fährt? Ich verbringe zwar nicht viel Zeit in der freien Natur, aber das hätte ich dann doch besser wissen sollen. Aber nun kann ich es nicht mehr ändern.
Ich schaue mir die Vorderseite des Autos so genau wie möglich an. Im Dunkeln und bei dem ganzen Schnee erkenne ich kaum etwas, aber ich kann nichts entdecken, das das Auto vom Vorwärtsfahren abhält. Es gibt keine Hindernisse. Nur Schnee. Schnee, Schnee und nochmals Schnee.
Plötzlich trifft mich eine Windböe und wirft mich fast um. Gott, was für ein Wetter. Ich kämpfe mich langsam zur Tür zurück und muss mich dabei die ganze Zeit am Auto festhalten, um nicht weggeweht zu werden. Als ich endlich wieder auf meinen Sitz falle und die Tür hinter mir zuknalle, bin ich zutiefst erleichtert.
»Da ist nichts«, keuche ich. »Nur Schnee.«
»Na, und hast du den Schnee weggeräumt?«, fragt Chase ungehalten.
Ich schaue ihn fassungslos an. »Nein.«
»Wieso denn nicht?«
»Weil ich keine Schaufel habe.« Ich reibe mir die Hände in dem Versuch, sie aufzuwärmen. Dann halte ich meine geröteten Finger vor die Lüftungsschlitze der Heizung, aus denen heiße Luft strömt. Meine Zehen fühlen sich taub an. »Nur so könnte man den Schnee vielleicht wegräumen.«
»Scheiße.« Mehr scheint Chase auch diesmal nicht dazu einzufallen.
Ich starre durch die Windschutzscheibe nach draußen, und mir wird langsam angst und bange. Das Auto steckt fest. Wir fahren so schnell nirgendwo mehr hin – selbst wenn es zu schneien aufhört, wird der Schnee nicht sofort verschwinden. Der Weg, den wir entlanggekommen sind, ist inzwischen zugeschneit.
Und dann schaue ich auf die Tankanzeige. Der Tank ist nicht einmal mehr zu einem Viertel voll.
Das bedeutet, dass wir in wenigen Stunden kein Benzin mehr haben werden. Was wiederum bedeutet, dass dann die Heizung wegfällt.
»Was machen wir denn jetzt?«, flüstere ich, als mir zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Lage aufgeht, in der wir uns befinden.
Chase klammert sich so fest ans Lenkrad, dass seine Knöchel weiß hervortreten. »Ich hab keine Ahnung. Vielleicht kommt jemand vorbei.«
»Jemand kommt vorbei? Wer ist denn sonst noch so blöd und fährt hier in einem Schneesturm herum?«
Vor ein paar Tagen hätte ich diese Worte wahrscheinlich nur gedacht und nicht ausgesprochen. Aber zum Teufel damit. Wegen Chase sitze ich jetzt irgendwo im Nirgendwo in einem Auto fest, das kaum noch Benzin im Tank hat. Dann kann ich auch sagen, was ich denke.
»Es wird jemand vorbeikommen«, sagt er. Ah, da ist er wieder: der Unerschütterliche Chase – beruhigend, aber letzten Endes vollkommen nutzlos. »Es gibt hier draußen Hütten. Wir sind hier nicht in der Wildnis.«
»Hütten? Ich seh keine Hütten.«
»Entspann dich einfach, Natalie.«
»Ich soll mich entspannen?« Am liebsten würde ich ihn kräftig schütteln. »Dir ist klar, dass uns das Benzin ausgeht, oder? Wir werden wahrscheinlich erfrieren, bevor uns hier jemand findet.«
»Wir werden nicht erfrieren.«
»Ganz zu schweigen davon, dass wir nichts zu essen haben.«
Darauf erwidert er nichts. Wenn es ihm so geht wie mir, dann ist er wahrscheinlich auch am Verhungern.
»Ich bin mir sicher, dass irgendwann jemand vorbeikommen wird. Lass uns einfach abwarten«, meint er schließlich.
Mir gefällt das alles hier so was von gar nicht, aber was soll ich machen? Außer zu beten, dass er recht hat.
Kapitel 3
Die nächste Stunde verbringen wir in angespannter Stille.
Nun ja, in relativer Stille. Billy Joel dröhnt immer noch aus den Lautsprechern, nur dass ich es jetzt nicht mehr besonders witzig finde, wenn er darüber singt, dass nur die Guten jung sterben. Da wäre mir echte Stille deutlich lieber, aber Chase lässt mich die Musik nicht ausschalten.
Mein Blick bleibt die ganze Zeit auf die Tankanzeige gerichtet, die immer weiter nach unten geht. Bald ist der Tank leer, und dann haben wir ein noch viel größeres Problem. Wir haben nicht mal