Winterthur 1937. Eva Ashinze

Winterthur 1937 - Eva Ashinze


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auxilius, quomodo, quando?»

      «Wie bitte?»

      «Dritter Abschnitt zur Tatbestandsaufnahme im Kriminalistikleitfaden: Wer, was, wo, womit, wie, wann? Es gäbe auch noch ein Warum, aber das können wir uns für den Moment wohl sparen.» Der Stapo-Kollege guckt perplex.

      Wunderlin seufzt. «Waren Sie bis jetzt zuständig, Stäubli?»

      Stäubli schüttelt eingeschüchtert den Kopf. «Ich halte hier nur die Gaffer fern. Korporal Tschopp ist mein Vorgesetzter. Er ist da drüben beim Toten.» Stäubli weist die Richtung. Der Kiesweg im unteren Teil des Parks ist angelegt wie eine liegende Acht. Die Polizisten befinden sich am oberen Ende dieser Acht, der Tote gegenüber am unteren Ende, wo besonders viele Bäume und Büsche gepflanzt sind.

      «Na dann.» Diesmal schreitet Wunderlin voran, Emil und Hess folgen. «Ich rede, du machst Notizen, Kern», erteilt Wunderlin Weisungen. «Hess, das Übliche: Fotos, Spurensicherung Tatort und Umgebung.» Jetzt ist der sonst so träge Wunderlin ganz Korporal. So hat Emil ihn noch nicht erlebt.

      «Wenn es denn einen Tatort gibt», murmelt Hess. Das sind die ersten Worte, die Emil ihn heute sagen hört. Wortkarg ist eine Untertreibung für Hess. Emil hat bislang nicht viel mit dem Kriminaltechniker zu tun gehabt, aber ihm ist zu Ohren gekommen, dass er ein brillanter Analytiker sein soll, einer, der im Messen und Auswerten aufgeht. Dafür bleibt das Zwischenmenschliche wohl auf der Strecke; Hess ist gern für sich.

      «Wunderlin, auch schon da? Wäre nicht mehr nötig gewesen, die meiste Arbeit haben wir bereits erledigt.» Stapo-Korporal Tschopp klopft Wunderlin auf die Schulter. Schräg hinter ihm, halb verdeckt von dichten Büschen, stehen zwei weitere Uniformierte.

      «Schön wär’s», meint Wunderlin. «Nur weil ihr motorisiert seid und der Notruf bei euch reinkommt, versteht ihr noch lange nichts von kriminalistischen Ermittlungen. Wäre nicht das erste Mal, dass ihr wichtige Tatbestände nicht aufnehmt.»

      «Na, na.»

      «Ich sage nur Fall Eugster.»

      «Schon gut, lassen wir die Kabbeleien», unterbricht Tschopp eilig. «Heute Morgen wurde kurz nach halb acht ein Toter hier im Park gemeldet. Wir sind ausgerückt, haben tatsächlich einen toten Mann vorgefunden, ihn untersucht und die Zeugin befragt.»

      «Ihn untersucht, na wunderbar», meint Hess zähneknirschend.

      «Untersucht ist vielleicht etwas übertrieben», krebst Tschopp zurück. «Den Puls gefühlt, Atemtest gemacht. In den Taschen nach einem Ausweis gesucht.»

      «Lasst ein nächstes Mal die Finger von allem, bis der kriminaltechnische Dienst da ist», knurrt Hess. «Das Letzte, das wir brauchen können, sind Dilettanten am Werk.» Mit diesen Worten drängt er am sprachlosen Tschopp vorbei, umrundet einen bereits in Blüte stehenden Bauernjasmin. Wunderlin und Emil folgen.

      «Mein Gott!» Emil weicht zurück.

      Wunderlin pfeift leise durch die Zähne. «Ganz schön viel Blut.»

      «Kopfverletzungen bluten nun mal stark.» Hess, nüchtern wie immer, kniet neben dem Toten nieder.

      «Verletzung ist gut. Der halbe Schädel ist weg.» Wunderlin kramt in seiner Tasche nach Zigaretten, reicht Emil das gelbe Päckchen. «Rauchen beruhigt die Nerven.»

      Emil befolgt den Rat. Wunderlin zündet sich ebenfalls eine Zigarette an. Hess fotografiert den Hinterkopf des Toten, eine einzige blutige Masse, darin helle Knochenteile und gallertartige, gräuliche Stückchen: Gehirn. Emils Hand zittert leicht, als er die Zigarette zum Mund führt und daran zieht. Hess macht derweil mehrere Ganzkörperaufnahmen, fotografiert den mit Blut getränkten Boden rund um den Kopf des Toten.

      «Puls gefühlt, Atemtest gemacht», brummt er und schüttelt ungläubig den Kopf. «Sieht doch jeder Lappi, dass der hier mausetot ist.» Er schaut in den Himmel; mittlerweile sind dunkle Wolken aufgezogen. «Ich muss mich ranhalten. Wenn es erst anfängt zu regnen, wird es schwierig mit der Sicherung allfälliger Spuren.»

      Wunderlin nickt zustimmend. «Was könnt ihr uns über den Toten sagen?», richtet er das Wort an Tschopp.

      «Männlich, siebenundvierzig Jahre alt.» Tschopp steht nun neben seinen beiden schweigsamen Uniformierten, die Hände in den Hosentaschen vergraben. «Laut seinen Papieren handelt es sich um Ottmar Ritter.»

      «Deutscher.»

      «Deutscher», bestätigt Tschopp. «Lebt seit knapp acht Jahren in der Schweiz, wenn man auf die Erstausstellung des Ausweises abstellt.»

      «Verheiratet?»

      «Zu weiteren Abklärungen sind wir noch nicht gekommen», sagt Tschopp abwehrend.

      «Er trägt einen Ehering», wirft Emil ein und deutet auf die linke Hand des Toten.

      Wunderlin beugt sich vor, betrachtet den schmalen, goldenen Ring. «Dann gibt es wohl eine Ehefrau. Vielleicht auch Kinder.» Wunderlin starrt einen Moment düster vor sich hin, zieht an seiner Zigarette.

      «Kannst du mir mal zur Hand gehen, Kern? Ich will ihn anheben. Vielleicht finden wir etwas unter ihm.» Hess hat die Kamera weggelegt, nimmt Gummihandschuhe aus dem Untersuchungskoffer und zieht sie über. «Nein, warte. Ich sichere erst das hier.» Er verstaut vorsichtig ein rotes Stückchen Stoff, das neben dem Toten gelegen hat, in einer Papiertüte.

      «Ein Nazifähnchen», meint Wunderlin. «Ob das was zu bedeuten hat?»

      «Dafür seid ihr zuständig. Ich untersuche es nur auf Fingerabdrücke oder sonstige Spuren.» Hess schaut zu Tschopp. «Ist das Spital avisiert?»

      Der nickt. «Er wird dort zur Obduktion erwartet. Sobald ihr durch seid, bieten wir die Sanität auf, die ihn hinbringt.»

      «Na, dann komm, Kern», fordert Hess Emil auf.

      Der drückt seine Zigarette aus und wickelt den Stummel sorgfältig in sein Taschentuch, schliesslich will er den Tatort nicht kontaminieren. Dann kniet er neben Hess auf den Boden.

      «Greif ihn auf der anderen Seite.»

      Emil macht, was Hess ihm aufträgt, vermeidet, so gut es geht, den Blick auf den Kopf des Mannes, der vor ihm auf dem Boden liegt.

      «Und jetzt halt ihn so.» Hess fotografiert den Boden unter dem Toten. «Er hat sich übergeben.» Hess legt die Kamera zur Seite, nimmt mit behandschuhten Händen eine Probe des gelblichen Erbrochenen, das halb eingetrocknet ist. «Kurz vor seinem Tod, nehme ich an.»

      Die Leiche ist schwer, viel schwerer als Emil gedacht hat. Seine rechte Hand rutscht ab, kommt auf die blutgetränkte Schulter zu liegen. Der Stoff der Jacke fühlt sich feucht an von Blut und anderen Flüssigkeiten. Emil schnauft schwer. Er schliesst für einen kurzen Moment die Augen, wünscht sich an einen anderen Ort. Er riecht den blumigen Bauernjasmin, den knoblauchigen Bärlauch. Frühlingsdüfte. Und den metallischen Geruch von Blut, den stechenden Gestank des Erbrochenen.

      «Halt noch einen Moment fest.» Emil öffnet die Augen. Hess tastet den Boden mit den Händen ab. «Nichts. Du kannst ihn jetzt zurücklegen. Vorsichtig!» Emil macht wie geheissen. Schweisstropfen stehen auf seiner Stirn.

      «Ist dir etwas aufgefallen?», fragt Wunderlin.

      «Die Finger sind gekrümmt, die Handflächen und Nägel voll Erde. Sieht fast so aus, als habe er sich mit den Fingern in den Boden gekrallt.» Hess deutet auf die Fingerspitzen des Toten. «Und dann das Erbrochene. Üblicherweise erbricht man sich nicht mehr, wenn man einen derartigen Schlag auf den Schädel bekommen hat. Man ist sofort tot.»

      «Bist du sicher, dass es ein Schlag auf den Schädel und kein Sturz auf einen Stein oder etwas Ähnliches war?»

      Hess zuckt mit den Schultern. «Ein Schlag mit einem stumpfen Gegenstand kann von einem Sturz mit starker Kopfverletzung kaum unterschieden werden. Aber nach einem Sturz auf den Hinterkopf läge der Tote nicht in Bauchlage. Ausserdem fehlt hier eine harte Oberfläche, auf der er hätte aufschlagen können.» Er tastet den Boden ab. «Alles weich.» Er schaut sich um. «Da


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