Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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kurzum alle Verrückten, die im Deutschen Reich so rumliefen, anziehen würde, sie glaube das aber nicht, daß die Oberbonzen von den Nazis auf Dauer solche Spinner dulden würden, und dies nun aber nicht etwa deshalb, weil sie vernünftiger wären, sondern nur deshalb, weil sie ihre eigenen Wahnideen hätten und doch nur die gelten ließen, sich doch von so einem kleinen Kläffer darin nicht stören lassen würden – interessanter Standpunkt, damals für mich verblüffend, und es dürfte sich ja mittlerweile als eine sehr klarsichtige Prophezeiung erwiesen haben. Das Bild der Bewegung, des nationalsozialistischen Staates, das ist ja jetzt neben dem verrückten Führer und seinem aufgepeitschten Adlatus Goebbels mehr von solchen rational kalkulierenden Machern wie diesem Speer bestimmt. Sie haben sich ihre ausführenden Organe rangezüchtet, was natürlich dann die Frage aufwirft, was aus den Tausend Jahren werden soll, die sie sich vorgenommen haben, wenn die wahnhaften, wahnsinnigen Antreiber erstmal weg sind, gestorben und aus- und weggestorben.

      Speedy sagte: »Ihr Nazi-Mann, der wird einfach unglücklich verliebt in Sie sein.«

      Darauf sie, die Korsett-Tante: »Das wird’s sein – aber das ist bei mir vollkommen vergebens.«

      Und diese Antwort, die bot ja schon mal einen interessanten Hinweis, wenn man denn hellhörig für so etwas ist und überall gerne etwas Abartiges wittern möchte – also für Leute wie Speedy und mich, und Speedy war sehr schnell mit ihrer Schlußfolgerung fertig, und sie äußerte sie dann auch sehr direkt, was ich natürlich niemals getan hätte. Nennen wir’s Feigheit, nennen wir es eine ganz grundsätzliche Feigheit von mir, die Angst vor der Wirklichkeit. Vor der Enttäuschung. Irgendwie abzuschätzen ist das ja für mich nicht, wieviel Perverse es wohl in einem Land wie Deutschland geben mag. Manchmal denke ich, ich wäre der Einzige und selbst meine Speedy nicht dazuzurechnen, manchmal denke ich, wir müßten Hunderttausende sein, wenn nicht Millionen, und manchmal denke ich sogar, alle wären irgendwie pervers und besonders die, die’s nicht sein wollen, sexuell nicht sein wollen und bei denen sich das dann auf andere Gebiete verlagert und dadurch dann wirklich abartig wird und auch gefährlich. Mal so, mal so, ich schwanke da völlig hin und her, Speedy aber, Speedy ist mutig, Speedy ist direkt, Speedy sorgt für Klarheit, und deshalb erlebt sie ja wohl auch viel mehr.

      Und dann sprudelte es aus ihr heraus – als wäre sie froh, endlich mal ihre Geschichte erzählen, sich andern Menschen anvertrauen zu können: daß sie ihren Beruf von der Pike auf gelernt habe, daß sie eine immerhin versierte Fachkraft sei, daß sie jahrelang in diesem Laden, in dem wir vorher waren, gerackert hätte, immer in Treue zum Geschäft, den Inhabern, fast ohne Fehlzeiten, eine Verkäuferin, auf die man sich verlassen konnte, daß sie es geschafft habe, sich zur Abteilungsleiterin hochzuarbeiten, sie wäre für die Korsetts zuständig gewesen, das war schon immer ihre besondere Spezialität – deshalb dann auch dieser Laden, dieses auf Korsetts spezialisierte Miederwarengeschäft. Daß sie aber immer gern einen eigenen Laden gehabt hätte, ihr größter Traum sei gewesen: die eigene Chefin zu sein, nicht mehr abhängig von Leuten, die im Büro sitzen und das Tagesgeschäft gar nicht mehr kennen, die nicht wissen, wie mit der Kundin von heute umzugehen sei. Sie habe da über die vielen Jahre hinweg sehr genaue Vorstellungen entwickelt, wie so ein Laden zu führen, wie so was zeitlos, nicht im traditionellen Stil, aber auch nicht so modisch, wie das immer mehr üblich wird, aufzuziehen sei – richtig groß, nicht das, was sie hier dann in ihrem kleinen Laden im Souterrain habe verwirklichen können. Doch natürlich habe sie als Verkäuferin, als bloße Angestellte niemals auch nur die geringste Chance gehabt, diesen Traum verwirklichen zu können und von den Banken dafür einen Kredit zu bekommen. Sie habe jahrelang Lotto gespielt, um sich selbstständig machen zu können, doch natürlich vergebens, Illusionen seien das gewesen, sie habe nur Geld verloren dabei. Ihre Eltern aber wären Hausbesitzer gewesen, dieses einen Hauses, in dem sie nun doch ihren eigenen Laden hat eröffnen können. Sie gebe es zu, sie habe auf den Tod ihrer Eltern gewartet, habe ihr Ableben herbeigesehnt, habe sie ins Grab gewünscht und darauf spekuliert, dieses Haus verkaufen zu können und dabei genug Geld in die Hand zu bekommen, daß sie ihr eigenes Geschäft aufmachen kann. Sie habe dann innerlich Luftsprünge gemacht, als sie ihre Mutter, die natürlich, die Weiber sind zäh, zäher als die Männer, länger gelebt habe als ihr Herr Vater, endlich verbuddeln konnte. Sie habe danach sofort ihre Arbeitsstelle gekündigt, da habe es für sie kein Halten mehr gegeben, aber davor, das Haus zu verkaufen, sei sie dann doch zurückgeschreckt. Sie sei einfach für den großen Wurf schon zu alt, zu verbraucht gewesen, habe sich nicht den Verkaufs-, den Vertragsverhandlungen gewachsen gefühlt und da erst gemerkt, daß sie auf diesen Teil des Geschäftlichen viel zu wenig vorbereitet gewesen sei, sie habe ja noch nicht mal die doppelte Buchführung beherrscht. Und sich einem Makler anvertrauen, das habe sie nicht wollen, das seien doch alles Gangster, und die Immobilienpreise, sie seien in dieser Zeit auch gerade im Keller gewesen. Aber sie habe das Haus in seinem Wert von einem amtlich bestellten Gutachter taxieren lassen, und da sei es für sie erst herausgekommen, daß das Haus mit Hypotheken belastet ist, mit Hypotheken, die sie noch über Jahre hinweg abstottern müsse. Sie habe also das Haus behalten, behalten müssen, das an Miete, wenn man all die Unkosten für immer mal nötige Reparaturen abziehe und auch die regelmäßig fälligen Hypothekenzahlungen, gerade soviel abwerfe, daß sie davon ganz gut leben könne – sehr viel mehr aber auch nicht. Reich werde man durch ein Mietshaus nicht. Natürlich sei sie sehr enttäuscht gewesen, als sie gemerkt habe, sie kann ihren Traum nicht verwirklichen, und Wäsche, Miederwaren, das sei doch ihre große Leidenschaft, sei es immer schon gewesen, schon als sie noch Mädchen war, habe es damit angefangen. Fast wäre sie nach dieser maßlosen Enttäuschung wieder als Verkäuferin arbeiten gegangen, aber nur fast, denn leben könne sie wegen dem Haus auch ohne das, und noch einmal Untergebene sein, nein, das habe sie sich nicht zumuten wollen, nicht mehr, das wäre die schlimmste Niederlage ihres Lebens gewesen. Zum Glück sei ihr dann die Idee gekommen, sich im leer stehenden Souterrain ihres eigenen Hauses einen kleinen Laden einzurichten – wenigstens einen kleinen, einen, der ihr gehört, wo sie schalten und walten kann, wie sie will. Natürlich, so gut habe sie sich doch in dem Metier ausgekannt, würde ein Laden, der so klein ist und sich in einer so gottverlassenen Gegend wie dieser hier befinde, nur dann Chancen haben, jemals Gewinn abzuwerfen, wenn er eine Marktnische bediene, wenn er sich als Spezialgeschäft zu etablieren suche – dies sei ihr völlig klar gewesen, und es sei dann auch ganz schnell für sie klar gewesen, welche Nische das sein müßte, in der sie nur ihren kleinen Laden ansiedeln könne, worauf sie zu setzen habe: auf die aus der Mode kommenden Korsetts, für die es natürlich auch weiterhin Bedarf gebe. Sie habe also die Korsetts aus geschäftlichem Kalkül gewählt, aber natürlich auch, weil sie sich mit Korsetts gut auskenne, und weil sie doch selber auch gerne Korsetts trage.

      Der Anfang für ihren Laden sei natürlich schwierig gewesen, und ohne das Mietshaus im Hintergrund, durch das sie regelmäßige Einnahmen habe und wegen dem sie ja schließlich auch keine Miete für ihren Laden aufbringen müsse, hätte sie diese schwere Zeit sicher nicht durchhalten können. Doch es sei ihr dann mit der Zeit gelungen, sich einen zwar kleinen, aber treuen Kundenstamm zu gewinnen, Frauen, die immer wieder bei ihr einkaufen kämen, und sie habe dies erstmal nur dadurch geschafft, daß sie immer ein bißchen von ihrem Geld in Werbung investiert habe, in kleine Annoncen, die sie regelmäßig erscheinen lasse. Da komme es auf Ausdauer an, erst denke man, das sei rausgeschmissenes Geld. Das habe sie lernen müssen, aber richtig losgegangen mit ihrem Laden sei es erst dann, als sie anfing, ihren Kundinnen auch noch einen besonderen Service anzubieten, den, die Korsetts, die sie haben wollen, dann ihrem Körper anzupassen – ein Korsett müsse ja sitzen, sonst bringe das ja nichts. Dafür habe sie dann, auf Honorarbasis, eine Schneiderin eingestellt und sich diese Werkstatt im Hinterzimmer eingerichtet. Und aus dieser Änderungsschneiderei sei dann mit der Zeit und aufgrund ihrer wachsenden Erfahrung und auch der ihrer Schneiderin, die mittlerweile richtig gut sei, fachlich wirklich kompetent, so etwas wie eine Maßschneiderei für Korsetts geworden, auch wenn der bloße Verkauf von Fertigware natürlich weiterlaufe, die ja dann auch nicht so teuer sei. Sie würde vorgegebene Modelle kopieren, an die jeweiligen Maße ihrer Kundinnen angepaßt, sei aber auch dazu übergegangen, eigene Modelle zu entwerfen – wenn auch in bescheidenem Umfang, aber das sei es nun, was ihr richtig Spaß bringe und weshalb sie dann auch gar nicht mehr darüber traurig sei, daß das mit dem richtig großen Laden nicht geklappt habe.

      Letzteres ließ Speedy aufhorchen, das mit den selbstentworfenen Korsetts,


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