Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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weiteren Geschäfte gab, und das Ladenschild war klein, gar nicht weiter auffällig, und auf Laufkundschaft konnte so ein Geschäft doch gar nicht setzen, nicht in dieser Gegend, nicht bei dieser Korsett-Spezialität, auf die es sich spezialisiert hatte – die Damenwelt, die dort in diesem Laden Kundin war, sie kam gezielt dorthin und allein nur wegen diesem Laden in diese eher tote Gegend. Stammkundschaft und auf Empfehlung oder wegen diesen Annoncen, die sie immer wieder regelmäßig schaltete, die Inhaberin dieses Ladens, kleine Annoncen in gutbürgerlichen Zeitungen, wie sie uns später erzählte – also für mich war das klar, sofort klar, schlagartig klar, daß das nur der Nazi gewesen sein konnte, der diesen Stein geworfen hatte – deshalb ja dann auch diese Panikattacke bei mir, die sich ja nicht einfach nur durch den Schreck erklären ließ und auch dadurch nicht, daß meine Nerven sicher ganz runter waren nach dieser so unruhig verbrachten Nacht und diesem Morgen voller Angst: der Reichstagsbrand, das verzweifelte Warten auf Speedy im Wald und dann die Fahrt nach Berlin, die Furcht in eine Razzia zu geraten und dann all das Hochnotpeinliche, das ich schon in diesen beiden Miederwarengeschäften erlebt hatte, der Neger, die 3 Zentimeter, meine 3 Zentimeter. Das brach sicher alles mit durch, und die Assoziation, sie war sofort da und für mich unabweislich, die mit dem SA-Trupp und seinem Gegröle, vor dem sie schnell die Jalousien runtergelassen hatten im Chris – der Trupp war noch vorbeigezogen, hatte sich damit begnügt und daran vergnügt, Furcht und Schrecken zu verbreiten, nun hatte er zugeschlagen, der Nazi. Deshalb diese Panik bei mir, der Nervenzusammenbruch, das Herzrasen, das Zittern, das Schluchzen, das nicht aufhören wollte, und ich hatte doch das Korsett schon an, das Speedy für mich ausgesucht hatte, und nicht mehr, als nur dieses Korsett.

      »Das waren doch sicher nur ein paar Jungs aus der Nachbarschaft, ein Kleiner-Jungs-Streich, mehr nicht«, sagte Speedy, um mich zu beruhigen, nachdem ich in meiner wahnsinnigen Angst den Nazis schon hatte ins Geschäft zu uns eindringen gesehen. »Du siehst Gespenster«, sagte Speedy, während sie mich zusammen mit der Inhaberin des Ladens in einen Hinterraum brachte, der halb Lager war, halb eine kleine Werkstatt mit einer Nähmaschine, einer Schneiderpuppe und wo es für mich dann einen Stuhl gab, auf den ich mich setzen konnte. »Nein, Ihr Mann hat schon recht, das war ein Nazi«, sagte die Inhaberin des Ladens ganz sicher und bestimmt, »ein Nazi hier aus der Gegend, ein Fanatiker, den ich schon kenne.« »Nun lassen Sie mal gut sein, und meinen Mann sich erst einmal beruhigen«, erwiderte Speedy scharf, um der Frau erstmal das Maul zu stopfen, die sich das auch ohne Widerspruch gefallen ließ und wirklich verstummte. Speedy stellte sich schützend vor mich, ich vergrub meinen Kopf zwischen ihren Schenkeln, mein Atem ging schwer, ich japste richtig nach Luft und fast wäre ich vom Stuhl gefallen, wenn mich Speedy nicht gehalten hätte, in so einer Berg-und-Talfahrt ging es mit meinem Kreislauf rauf und runter. Dann kniete sie sich vor mich hin, nahm mich am Kinn und zwang mich, ihr in die Augen zu gucken, in ihre Augen, die weit geöffnet waren, die mich geradezu aufsogen. »Ich bin doch da«, sagte sie, »deine Frau ist bei dir. Es wird alles wieder gut, ich verspreche es dir.« Sie redete mit mir wie mit einem Kind, so wie meine Mutter mit mir hätte sprechen sollen, wenn ich meine Attacken hatte von Wut und Verzweiflung – wie sie es aber nie getan hat, meine Mutter schimpfte stattdessen auf mich ein, machte alles nur noch schlimmer dadurch. Wunderbare Speedy – auch wenn sie natürlich eigentlich an allem schuld war, mich in diese Situation gebracht hatte mit ihrer idiotischen Idee, grad dieser Tag, dieser Nazi-Tag wäre der richtige für uns, mich mit schönen Dessous auszustatten. Ich glaube, das erst war der Moment, wo ich das wirklich für mich realisierte: die Nazis haben nicht nur die Regierung, sie haben wirklich die Macht übernommen – deshalb auch dieser Zusammenbruch. Die ganzen Illusionen waren weg, vollkommen weg, die ich mir natürlich, wie wahrscheinlich viele andere auch, gemacht hatte: daß das wie ein Spuk vorüber gehen würde, das mit den Nazis. Reichskanzler Adolf Hitler, das war es noch nicht, auch der Reichstagsbrand nicht, dieser Stein war es, der mir das klarmachte.

      Unterbrechung durchs Mittagessen – was für ein Fraß, da war ja die Bockwurst, die Speedy und ich an dem Tag, in den ich mich zurückflüchte, bei einem Imbiß-Stand in Steglitz verdrückt haben, nahrhafter. Ich falle vom Fleische, ich werde immer dünner, das Gefängnis bekommt mir also gut: wie eine Schlankheitskur.

      Man stelle sich mich rülpsend vor – wie ein Schwein, das grad vom Trog kommt. Ein Schwein – von mir aus, aber kein Nazischwein. Wo war ich grad stehen geblieben, an welcher Stelle meiner Flucht unterbrochen worden? Wo’s um den Nazi geht, von dem eben ich Hysteriker nicht nur alleine annahm, daß nur er allein diesen Stein geworfen haben könne, sondern auch sie, die Korsagiere, die Korsagefrau – für mich war das der Nazi, abstrakt, allgemein, die ganze Bande zusammengenommen, die nationalsozialistische Bewegung, die Partei. Für sie war das anders, sie meinte einen ganz bestimmten Nazi, einen Nazi, den sie kannte, einen Nazi aus ihrer Umgebung, aus der Straße, der ein paar Häuser weiter wohnte, den Nachbar-Nazi, den Nazi-Nachbarn. Und sie erzählte uns dann von dem, was für ein verrückter Zeitgenosse das sei, was für ein Fanatiker. Sozial natürlich Abschaum, unfähig, einer geregelten Arbeit nachzugehen – als sie das sagte, zuckte ich doch zusammen: das hatte die gleiche Verachtung wie in der Nazi-Sprache. Das war die Frau, die es geschafft hatte, die kleine Ladenbesitzerin, und in dem Moment war mir der zu einer geregelten Arbeit Unfähige, der Nazi mit dem Stein und sicher der großen Wut im Bauch, der Fanatiker, der Abschaum, der Asoziale dann doch näher als diese Kleingewerbetreibende. Der Mann käme immer wieder in ihren Laden und würde sie vollquatschen, mit seinen obskuren Ideen behelligen, mit völlig wirrem Zeugs, das aber überhaupt nichts mit dem zu tun habe, was man so im Völkischen Beobachter lesen könne oder im Stürmer – solche Zeitungen las sie also, und für einen Moment, angewidert noch von ihrem Abschaum, wollte ich ihr auch das ungünstig auslegen: die Nazi-, von wegen Arbeiterpartei, in Wahrheit eine von aufgescheuchten Kleinbürgern, die fürchten, zu Proleten herabzusinken, die Partei der Kleingewerbetreibenden, die nicht wissen, wie sie sich der großen Industrie erwehren sollen und plötzlich meinen, der mittelalterliche Ständestaat, wo die Welt, ihre Welt der Zünfte noch in Ordnung war, ließe sich wiederbeleben, die Partei der kleinen Ladenbesitzer, die sich am liebsten gegen das große, neue Karstadt-Kaufhaus am Hermannplatz zusammenrotten würden. Aber das war falsch vermutet und auch ungerecht, diese Korsettistin mit dem Souterrainladen, so ergab sich das aus dem, was sie weiter erzählte, sie hatte diese Schmutz- und Dreckschleudern und besonders dieses Scheißhausblatt des Stürmers nur gelesen, weil ihr Privat-Nazi immer mal wieder Exemplare davon dagelassen hatte, damit auch sie sich von der wunderbaren Nazisache überzeugen könne, und sie, politisch eigentlich desinteressiert, hatte diese ganze Scheiße nur deshalb gelesen, weil dieses durchgedrehte Typchen sie beunruhigte und mit ihm, durch ihn und wegen ihm dann die ganze Nazi-Bewegung und was unserm Deutschland womöglich durch sie drohe. Der Mann habe sie eigentlich aber für die NSDAP gewinnen wollen, auch wenn er jedesmal bei ihr ausgerastet sei und sie beschimpft hätte, sowie er gemerkt habe, daß daraus wohl nichts werden könne – ein echter Fanatiker, der Anhänger gewinnen will, die Menschen auf den richtigen Weg bringen, sie erlösen aus der Wirrnis ihres Lebens, ihrer geistigen Verwirrung, und bei ihr habe sich die geistige Verwirrung für ihn an der Korsage festgemacht. Da wäre er völlig dagegen, gegen Korsetts, gegen alles, was einschnürt, das deutsche Weib beenge und ihm dadurch die Fruchtbarkeit raube. Sein eigentliches Thema, das, worauf er immer wieder zurückkomme, das sei aber die moderne Ernährung. Wir wären alle chemisch verseucht, davon sei er vollkommen überzeugt, wir würden uns nicht mehr natürlich ernähren, und daran kranke Deutschland. Natürliche Ernährung und natürliche Kleidung, das würde ganz eng zusammengehören. Die Deutschen müßten sich radikal und konsequent vom Französeln frei machen – radikal und konsequent, das seien seine Lieblingswörter, die benutze er ständig, ohne radikal und konsequent komme bei ihm keine Aussage aus. Und auf sein Französeln, das er so vehement ablehnt, scheint er ganz besonders stolz zu sein, und in diesem Stil ginge es ohne Unterlass, und wenn sie ihn dann durch Widerworte provoziere, dann fange er an zu schreien und steigere sich zu einem Quatsch wie diesem, daß er sage, ob sie denn das nicht wisse, daß das Korsett eine jüdische Erfindung wäre, worauf sie dann immer erwidere, das sei aber eine sehr gute jüdische Erfindung, und wenn es sich dann so gesteigert habe, dann ziehe er mit Flüchen von dannen und der Prophezeiung, sie würde noch ihr blaues Wunder erleben, wenn die echten Deutschen erst die Macht hätten – nun haben sie die Macht, sagte sie und, dann wollen wir doch mal sehen, was aus diesem wirren Fanatiker wird, wenn er sich erstmal hat austoben können. Sie wundere dies nicht, daß eine solche Bewegung,


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