Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


Скачать книгу
ich mitten unter ihnen, immer noch die personifizierte Lächerlichkeit mit meiner heruntergezogenen Unterhose und in dem Unterrock, der wenigstens ein bißchen meine Blöße bedeckte. Wenigstens der, denn dazu kam ich in der Aufregung gar nicht, mir meine Unterhose hochzuziehen. Aber irgendwas genützt hat mir auch dieser Unterrock nicht, der für Speedy doch nur dazu da war, ihn anzuheben, um mich auf diese Weise und meine beschämende Wenigkeit noch einmal zu entblößen. Vor dieser Frau, wie ich häßlich und abstoßend keine in meinem ganzen Leben bisher gesehen habe. Vor dieser geilen Sechzigjährigen, dieser unersättlichen. Vor dieser Negerbraut. Und wie beantwortete Speedy die Frage dieser Schreckensgestalt? Wie? Natürlich genauso, wie es für mich am schmachvollsten sein mußte. »Ach, wissen Sie«, sagte sie, sehr höflich, sehr verbindlich, »ich habe hier einen deutschen Mann, meinen Mann, meinen Ehemann, und der zickt mir ein bißchen zu viel rum für die wenigen drei Zentimeter, die wir grade zusammen bei ihm gemessen haben, und da dachte ich, es wäre sicher ganz gut für ihn, er würde das mal sehen können und auf den Zentimeter genau wissen, was richtige Männer so aufzuweisen haben.« Das sagte sie, meine Speedy, meine Ehefrau. Und sie redete nicht nur, gab nicht allein nur Erklärungen ab, sie trat neben mich, während sie sprach und hob also den Unterrock in die Höhe, von dem ich gehofft hatte, er würde mich schützen können, und entblößte mich und meine drei Zentimeter, und sie fasste nach ihnen und hob sie in die Höhe und ließ sie dann wieder, als wollte sie dann auch noch ihre Impotenz demonstrieren, schlaff herabfallen – alle guckten, die beiden Verkäuferinnen guckten und kicherten, prusteten drauflos, die meine Wenigkeit noch nicht gesehen, von ihr nur gehört hatten, der Neger guckte, und seine wulstigen Lippen verformten sich zu einem hochmütigen Grinsen, und das Gespenst, es ließ ein affektiertes Oh, la la hören, auf das ein lautes Gelächter folgte, und dann kam sie, kam sie zu mir und faßte mich an, berührte sie meine drei Zentimeter und sagte, zu Speedy gewandt: »Das ist ja köstlich. Im höchsten Maße amüsant. Ein Schniepelchen.« »Ja«, sagte Speedy, »ein süßes, kleines Schniepelchen, mehr hat er nicht.« Darauf die erstaunte Frage des Gespenstes: »Und Sie lassen sich von ihm begatten?« »Natürlich nicht«, antwortete Speedy, »ich schlafe nur mit richtigen Männern, aber er ist oral ganz gut … « Erneutes Gekicher der drei Verkäuferinnen. »Und«, sagte Speedy, »deshalb mache ich ihn gerade zu meiner Frau.«

      »They want to measure your cock, honey«, sagte das Gespenst zu ihrem Schwarzen, ihrem Neger, ihrem Honey, ihrem unerschöpflichen Honigtopf. Und zu Speedy sagte sie: »Ich bin ganz damit einverstanden. Bedienen Sie sich seiner.« Und Speedy winkte nach der Verkäuferin, die uns bedient hatte und sagte ihr, barsch und in einem Befehlston, der keine Widerrede erlaubte: »Zieh ihm die Hose runter.« Und die Verkäuferin gehorchte, gehorchte Speedy aufs Wort: sie ging vor dem Neger auf die Knie und holte ihn heraus, aus seiner Hose heraus, den großen Negerschwanz, und ein lautes Oh, ein allgemeines Stöhnen ging durch den Raum, und beinahe wäre es mir passiert, daß ich da mit eingestimmt hätte: dieser Negerschwanz, er war so groß, so imposant, und er strahlte so eine Kraft aus, eine solche Potenz, und er war noch nicht einmal steif. Aber steif, das sollte er noch werden dürfen.

      Würde ich das alles glauben, wenn es mir jemand erzählt? Ich weiß nicht. Ich würde wohl sagen:

      Schlechter, nu übertreiben Se aber.

      Und wenn dieser Schlechter dann doch keine Ruhe gäbe und weiter an seiner Geschichte erzählte und festhielte, und das in einem Stil mit der Behauptung inklusive: is allet wahr, dann würde mir irgendwann wahrscheinlich doch der Kragen platzen, und ich würde ihn unhöflich unterbrechen und dazwischenrufen: Schlechter, det können Se mir doch nich erzähln, det ham Se sich doch bloß allet ausjedacht.

      Eben nicht. Das hat sich dieser Tag ausgedacht, der 28. Februar des verrückten Jahres 33, der Nachfolgetag zum nächtlichen Reichstagsbrand der Nacht davor.

      Sicher übertreibe ich hie und da, und ganz schön drastisch ist das schon – wohl wahr, und würde ich’s hier nicht für mich allein nur schreiben, striche ich’s wohl weg oder ich verharmloste es besser, daß man mir da nicht dann mit Pornographie käme und mir den Vorwurf einer Obszönität machte, die nicht mehr unter dem Deckmantel der Kunst exhibitionistisch durchmarschiert. Aber ist ja alles wahr und nichts als die Wahrheit, ich schwöre und so wahr mir Gott helfe, doch natürlich schreibe ich hier auch nicht an einem sich um Sachlichkeit bemühenden Polizeibericht, sondern sehe hier alles durch meine aufgeregte, hysterische Brille, mit einem wieder klopfenden Herzen, mit verschwitzten Händen und einer gewissen Feuchte in der Unterhose. Ich motze vielleicht ein paar Dinge auch auf, zumindest sprachlich motze ich sie auf und lade sie mit einer Bedeutung auf, die ihrer sonstigen Banalität nicht entspricht. Und vielleicht auch nicht ganz immer meinem Erleben in der aktuell damals erlebten Situation – man erlebt ja soviel meist doch nicht, nicht jeden Moment in der gleichen Intensität und auch nicht den unbedingt, von dem man im nachhinein weiß, auf ihn kam es entscheidend an, mit der Intensität und Eindringlichkeit, die eigentlich angebracht gewesen wären. Die Erinnerung korrigiert dies, und erzähle ich’s, schreibe ich es auf, korrigiere ich dies noch einmal mehr. Man schneidet die langweiligen, die nichtssagenden Momente einfach raus und läßt sie weg, das ist sicher wahr, und insofern ist’s natürlich nicht ganz wahr, was hier geschrieben steht über die bemerkenswerten Ereignisse jenes 28. Februar 1933. Es fehlt zum Beispiel, daß ich fast die ganze Zeit über, immer wieder jedenfalls, kalte Füße hatte – aber nicht politisch kalte Füße, nicht sexualpolitisch kalte Füße auch, sondern ganz banal an diesem kalten Februartag kalte Füße, und daß diese kalten Füße mich immer wieder plagten, meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen, mich von dem wundersamen Geschehen ablenkten, von dem ich doch irgendwie auch wußte: das erlebst du nur einmal, so was Verrücktes. Und es mag das alles gewesen sein: furchtbar peinlich, eine Schmach, eine Schande und lächerlich auch, und wenn ich sage und schreibe, ich wäre am liebsten im Erdboden verschwunden, dann wäre mir die Erde nicht nur ein bißchen zu kalt gewesen an diesem Tag, und es hätte schon der Parkettfußboden des Ladens sein müssen, in dem ich verschwinde, aber ich hätte auch da dann immer noch mit dem Kopf herausschauen wollen, um das alles beobachten zu können und einen andern Schlechter leiden sehen wollen an meiner Statt. Immer auf einem andern Level als normal und jenseits damit also auch von diesen normalen Maßstäben dessen, was peinlich sei und Schmach und Schande – als wär’s wie aufgehoben in Faszination, ich selber geschützt auch durch die erlebte Faszination, das Erleben des Erlebten als faszinierend, als Ausnahmezustand. Und deshalb erinnerte das selber Erlebte immer auch irgendwie, und es erinnert mich auch jetzt noch und mit dem Abstand der Jahre vielleicht sogar noch mehr, in seiner Irrealität ans Kino. Ich weiß, es hat niemals einen Film mit einer solchen Szene gegeben, und einzig und allein diesem Erich von Stroheim wäre so etwas zuzutrauen, diesem verrückten Amerikaner – der hätte eine solche Szene vielleicht drehen können, wenn er denn hätte all das drehen können, was er gern gedreht hätte. Und das, was er gedreht hat, das war schon verrückt genug, daß sie ihm von den Studios immer wieder Szenen rausgeschnitten, ihm seine Filme zerstückelt haben und zusammengeschnitten. Aber auch so ein Sketch mit einem Neger fällt mir da ein, den ich mal in einem der verruchtesten Berliner Kabaretts gesehen habe, wo auch so ein Neger auftrat, ein Matrose, und das war natürlich Tingeltangel, und also mächtig übertrieben und es war darüber hinaus auch noch eine Show in einem Transvestiten-Lokal, und alle Damen wurden von Herren gespielt, und nur der Neger blieb Neger und ein Mann dabei. Und dann wäre doch wohl so ein Gespenst, diese häßliche, alte, abgelebte Schachtel sicher nicht nur bei Dix, sondern auch noch irgendwo bei George zu finden, der könnte sie mit spitzer Feder gezeichnet haben, als eine Fratze unter vielen in seinem bösartigen Portrait der herrschenden Klasse. Und auch so eine Simultandarstellung zweier gleichzeitig stattfindender Ereignisse, das ist ja etwas, das Grosz des öfteren gemacht hat: drinnen das bürgerlich-pervertierte, hier nun aber echt perverse Wohlleben und draußen die abgehärmten Proletariergestalten, hier ersetzt nun durch die beginnenden Schmerbäuche einer randalierenden Horde von SA-Idioten und Krawallmachern primitivsten geistigen Zuschnitts, angetrieben von den niedrigsten Instinkten. Beides zusammen erst ergäbe das vollständige Bild. Ohne die SA-Horde jedenfalls wir nicht, wir Verrückten im Innern des Miederwarengeschäfts.

      Trotzdem muß man sich das klarmachen, wieviel Personen daran beteiligt waren, an diesem Geschehen, und das in einer Art von Zusammenklang, wenn auch sicher schriller Art – Harmonie, das Wort wäre zu harmlos. Fünf, sechs, sieben Verrückte. Die drei Ladenmädels,


Скачать книгу