Speedy – Skizzen. Florian Havemann
was diese bemerkenswerte Ehefrau zu ihrem sehr viel weniger bemerkenswerten Ehemann so zu sagen hatte: »Aber soviel nimmst du ja nicht zu, das ist ja nicht weiter der Rede wert.« Genau, und weil dem so ist, hätte sie’s ja nicht noch erwähnen müssen – was für ein Biest sie manchmal sein kann. Aber damit war doch nicht etwa schon Schluß mit meiner Erniedrigung? Nein. Warum denn auch? Wo es doch so viel Spaß machte. Ihr Spaß machte. Es fehlte ja noch der Vergleich und der Hinweis für die junge Verkäuferin darauf, daß auch eine Speedy sich nicht etwa mit einer solchen klitzekleinen Kleinigkeit zufriedengeben würde. »Masseck«, sagte Speedy und Masseck mußte ja hier genannt werden, »Masseck kommt sicher auf seine achtzehn, neunzehn Zentimeter.« Wirklich? Achtzehn, neunzehn Zentimeter – wer hätte das gedacht? Ob Speedy da auch mal nachgemessen haben wird, bei Masseck? Sie wird doch mit diesen achtzehn, neunzehn Zentimetern etwas Besseres zu tun gewußt haben. Nehme ich doch mal an. Was für eine Angeberin! Aber mit Masseck war natürlich auch gut angeben, Masseck, der Name hatte doch Klang, und er war doch diesem Ladenmädel vielleicht sogar nicht ganz unbekannt, dieser Masseck, der Lokalreporter Masseck, oder von früher her: der rasende Roland des Filmklatsches Masseck, und eine andere Zeitung lesen sie doch nicht, diese Ladenfräuleins, als so ein Drei-Käse-Blatt wie die BZ am Mittag, das ist doch genau ihr intellektuelles Niveau – obwohl natürlich das Wort Niveau hier gänzlich unangebracht sein und intellektuell bei ihnen schon ein Fremdwort sein dürfte. Nun wußte sie also in etwa Bescheid, diese Tussi, über mich und meine drei Zentimeter, über Speedy mit ihrem Masseck und dessen imposanten Acht-/Neunzehner. War ja alles bestens.
Von wegen: es war alles bestens – wenn, dann war nur bis zu diesem Moment noch alles bestens, aber im nächsten schon nicht mehr. Im nächsten Moment begann er, der Horror, der Nazi-Horror meldete sich zurück, den Speedy mich, so schön und grausam in ihren Methoden, hatte vergessen lassen, die Nazi-Realität hielt Einzug in dieses Sonderweltchen eines Schöneberger Miederwarengeschäfts, ein SA-Trupp näherte sich mit Gebrüll, und ich erstarrte, erstarrte zu Eis. Aber nicht nur ich allein, auch Speedy hielt plötzlich inne in ihren Bewegungen, und ihre Augen irrten wirr herum und blieben fragend bei der Tussi stehen, die neben uns stand und für einen Moment genauso gelähmt schien wie wir beide, wie Speedy und ich. Dann aber kam wieder Leben in sie: sie riß den Vorhang zur Kabine beiseite, ob ich da in meiner Nacktheit, Entblößung gesehen werden konnte, es war ihr offensichtlich vollkommen egal, und auch die anderen beiden, bisher so maßlos trägen Ladenmädel waren plötzlich in Bewegung geraten: sehr eifrig und gut koordiniert und, wie es den Eindruck machte, als würden sie’s nicht zum ersten Male tun, ließen sie die Jalousien an den Schaufenstern mit einem lauten Krachen herunter, und eine von ihnen schloß die Ladentüre ab. Das ging alles blitzesschnelle, und eh wir uns auch nur versahen, und auch der Neger in seinem Sessel hatte nur Zeit, sich hilflos zu ducken. Der johlende Trupp kam näher, der johlende Trupp trampelte mit schweren Stiefeln direkt da draußen vor dem Laden vorbei, und dann gab es einen lauten Schlag gegen eine der beiden großen Jalousien, dann ein unflätiges Gelächter und Juden-raus-Gebrüll, und dann entfernten sich die schweren dumpfen Stiefelschritte wieder, der Spuk schien vorbei, aber mein Herz schlug wild und wollte sich nicht beruhigen. Speedy faßt nach meiner Hand und sagte: »Es ist vorbei, sie sind weg.« Aber das half nichts, und es half auch nichts, daß die junge Verkäuferin, die zu uns in die Kabine zurückkam, verkündete, sie würden dies immer so handhaben, auf Anweisung der Chefin und zum Schutze ihrer Kundschaft. Das machte es doch nicht besser.
Aber es änderte vollkommen die Situation, und wenn jemand dies schlagartig erfaßte, daß die ganze Situation nun eine vollkommen andere war, dann Speedy, Speedy zuerst. Das ist doch genau das, was sie braucht, die Aufregung, die sie braucht, die Aufregung, die sie furchtlos und kaltblütig werden läßt, die Aufregung, in der sie auflebt, und ich bin mir in einem ganz sicher: daß sie wußte, auf demselben Level wie bisher konnte es nicht weitergehen, daß es jetzt einer Verschärfung bedurfte, einer Verschärfung der Anforderungen an mich, sollte die Droge noch wirken, die Droge Realitätsblindheit, die Droge, die es mir erlaubte, die Nazi-Wirklichkeit da draußen noch ausblenden zu können, und was mit Speedy los war, welche Entschlossenheit sich in ihr in diesem Moment durchsetzte, das einmal Begonnene weiter durchzuziehen, dabei aber die Dosis zu erhöhen, ich sah es schon daran, wie sie die Hand der Verkäuferin festhielt, um sie daran zu hindern, den Vorhang zu unserer Kabine wieder zuzuziehen. Ich stand da wie auf dem Präsentierteller, und genauso wollte sie mich, den Blicken der andern drei Ladenmädels preisgegeben, dem verwirrten Blick des Negers in seinem Sessel preisgegeben, der sich leicht aufrichtete, als wollte er besser sehen können, was sich ihm da für ein Bild präsentierte: dieser nackte, fast nackte Mann da mit einem BH, der ich war, der Mann mit dem fast Nichts eines Schwänzchens, dem forget about it. Und genau dieses Ding, mein kleines, kleinstes Ding, Speedy nahm es in die Hand, Speedy ließ es in ihrer Hand verschwinden und während sie dies tat, und mich damit zu einem Nichts machte, sagte sie, und sie sagte es laut, sehr laut, damit es ja auch alle hören können: »Wieviel Zentimeter aber wohl unser schwarzer Riese da haben wird … « Und sie wiegte den Kopf und lächelte verführerisch, während sie dies sagte, und fügte dem dann noch hinzu, so, als entschlösse sie sich in dem Moment dazu: »Wir sollten ihn mal herbitten, um das nachzumessen.«
Der Neger muß es gehört haben, aber er verstand es wohl nicht ganz, was Speedy von ihm wollte, er verstand nur, daß sie etwas von ihm wolle, und also erhob er sich von seinem Sessel, und er war wirklich ein Riese, wie er da nun dastand und einen Moment nicht weiter wußte – wie ein desorientiertes Ungetüm, das es in unbekannte Gefilde verschlagen hatte, so sah er drein, dann aber kehrte doch sein Verstand zurück, sein bißchen Negergrips sagte ihm, was zu tun sei, und er setzte sich langsam in Bewegung, und fast machte es den Eindruck, als wollte er direkt zu uns, zu Speedy kommen, aber sein Ziel war doch ein anderes, sein Ziel war die letzte Anprobierkabine am Ende der Reihe, sein Ziel war die Frau, zu deren Begleitung er hierher in dieses Dessousgeschäft gekommen war, mitgekommen war. Er öffnete den Vorhang dort ein bißchen zu dieser Kabine, und man konnte ihn sprechen hören, und daß das kein Deutsch war, das er da sprach, das war selbst auf die Entfernung hin klar, aber daß das Englisch sein sollte, sein furchtbares Pidgin, ich habe es erst später mitbekommen, später, als sie zu ihm sprach, die Frau, zu der er gehörte, der er gehörte – um das mal so drastisch auszudrücken, wie es in diesem Falle wohl angebracht war: moderne Sklaverei, Fortsetzung der Sklaverei mittels Geld. Der war doch gekauft, der Neger, eingekauft von einer Frau, die Geld hatte und wohl sehr viel Geld, von einer Frau, mit der wohl kein Mann geschlafen hätte, ohne wenigstens dafür bezahlt zu werden – auch das will ich drastisch ausdrücken, so drastisch wie es mir bei dieser Frau angebracht scheint: ich habe nie wieder, weder vorher noch nachher, ein häßlicheres Weibsbild gesehen. Wirklich nicht. Sie war vollkommen flach vorne, flach wie ein Brett, und ihre Beine, das waren Streichholzbeine, und ihr Gesicht erst: so vogelartig mit einer Hakennase, als wäre es ein Schnabel, und die Frisur aufgetürmt, pathetisch aufgetürmt, als wäre sie den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts entsprungen, offensichtlich schwer blondiert das sicher schon graue, ergraute Haar. Sie war garantiert über die Sechzig drüber weg, zumindest sah sie so aus, verlebt und abgelebt und immer noch hitzig, immer noch unersättlich. Überall an allen Fingern dicke Klunker, der spirlige Hals umhängt mit schweren Goldketten, Geld, Geld, und halbnackt und vollkommen schamlos in ihrer Häßlichkeit kam sie aus ihrer Kabine heraus, mit einem Hemdchen allein bloß bekleidet, das ihre fehlenden Titten deutlich sehen ließ und unten eine gerötete Fut, wie eine Wunde, bedeckt von ein paar wenigen, undefinierbar grauen Haaren – eine Schreckensgestalt. Ein Gespenst. Wie von Dix gemalt. Und sie grinste, sie verzog ihren stark rot geschminkten Mund zu einem schiefen Grinsen, und als hätte sie sofort erfaßt, wer hier ihr Gegenüber sein würde, ihre Verhandlungspartnerin, ging sie auf Speedy zu und fragte sie mit einer krächzenden Stimme: »Was wollen Sie denn von meinem Schwarzen?«
Genau: von ihrem Schwarzen, ihrem – von ihrem Eigentum, ihrem Sklaven, ihrem Beschäler und Beischläfer, von ihm wollte Speedy etwas: ihn messen, sein Ding ausmessen, sein von ihr als riesig angenommenes Gerät, seinen Bumskolben abmessen, und sie wollte es um meinetwillen, um mich mit meinen drei Zentimetern noch einmal mehr bloßzustellen, und ich würde sagen, daß nicht allein nur Speedy dies wollte, würde sagen, daß es da mittlerweile auch noch drei andere Weibsstücke gab, die gern den Vergleich ziehen wollten, nicht nur die Verkäuferin, die Speedy und mir in die Kabine gefolgt war, sondern auch die andern beiden, die von ihr garantiert zwischendurch