Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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und auch verschieden farbigen Wäschestücken immer nur welche in Hautfarbe anziehen und anprobieren ließ – einfach, weil dieses erste Hemdchen, von dem sie glaubte, es würde mir passen müssen, ein hautfarbenes war und ein bißchen später dann ebenso auch diese Seidenstrümpfe, die sie unbenutzt aus dem Schrank holte. Aber sie behielt dies dann bei, und alles, was ich an weiblicher Wäsche von ihr bekam, ausgeborgt bekam, hatte dann diese gleiche Farbe, diese Hautfarbe, als wollte sie ihrem Mann als Frau eine wäschemäßig einheitliche Linie vorgeben, einen ganz bestimmten Look, wie die Engländer sagen. Und es könnte das auch so gewesen sein, daß aus ihrer Wahl der Hautfarbe für meine weibliche Unterwäsche eine bewußte erst in diesem Miederwarenladen wurde, in dem Moment, wo die Verkäuferin dort Speedy darauf aufmerksam machte, daß sie den gleichen Hüfthalter auch in Weiß dahabe, daß mir das von ihr dann sofort so vehement abgelehnte Weiß vielleicht sogar gut stehen würde – ihre Begründung war natürlich absurd, ihre erste Begründung dafür, ihre erste, weil sie ja noch, wohl weil Speedy das selber auffiel, wie absurd das gewesen war, was sie als Begründung angegeben hatte, eine zweite nachschob, eine die ihr mehr einsichtig erscheinen konnte, eine, die ich auch dann für mich gelten ließ, und diese Begründung war diese: ihr Mann sei ein Mann, und seine Haut sei eine männlich grobe, und sie wolle ihn also mittels der Wäsche mit einer glatten, einer weiblichen straffen Haut versehen, sie wolle das Gefühl haben, wenn sie ihn anfasse, so berühre sie eine wunderbar weiblich glatte Haut – dieser Mann war ich, von dem sie sprach, und ein bißchen war das ungerecht, denn meine Haut ist ja, im Vergleich jedenfalls zu der anderer, der meisten Männer wohl, eher zart und weich und gar nicht so grob, denn schließlich arbeite ich doch nicht körperlich, und ich lege mich auch nicht wie ein Freikörperkultur-Idiot in die pralle Sonne, da kriege ich ja Kopfschmerzen, ich bevorzuge den Schatten und, gepriesen sei die Firma Nivea, ich creme mir meine Haut ja auch ein, besonders natürlich die meiner Hände nach dem Malen, damit sie schön weich und zart bleibe, und ein bißchen gab mir das auch einen Stich, denn immerhin hatte mir Speedy das immer wieder so gesagt, was für eine erstaunlich glatte Haut ich hätte. Aber erstaunlich glatt für einen Mann, und nun sollte ich Frau sein, für sie eine Frau sein und mußte das also verstehen und akzeptieren, daß da ihre Ansprüche noch einmal andere waren, gesteigerte. Und es gab da noch etwas an dieser zu verstehenden, zu akzeptierenden Begründung, das mir doch schmerzlich aufstieß: etwas an meinen Beinen nämlich, an meinen Männerbeinen, die so gern Frauenbeine gewesen wären, diese so unpassend männliche Behaarung meiner Beine, die mir ein Greuel ist – zwar haben auch manche Frauen Haare an den Beinen und nicht nur wie Speedy auf den Zähnen, die das große Glück hat, auf nahezu unbehaarten Beinen durchs Leben zu gehen, sich mit dann immer wieder von ihr restlos enthaarten Beinen zu ihren diversen Liebhabern ins Bett zu legen, aber Haare an den Beinen, das ist männlich für mich, ein männlicher Makel, und diesen Makel, ich verspürte ihn schmerzlich, und am liebsten hätte ich sie mir längst abrasiert, wo sie mich doch unter den weiblichen Seidenstrümpfen noch mehr störten, obwohl sie durch diese Strümpfe sehr viel weniger zu sehen waren. Aber irgendwie dachte ich doch, die Aufforderung dazu, die Anweisung, der Befehl müsse von Speedy kommen, meiner Führerin auf dem Wege in meine Verweiblichung. Und zum Glück kam er dann ja auch, dieser Befehl, und er kam noch an diesem besagten Tage. Dem 28. Februar, nicht zu vergessen.

      Kapitel 58: Kurzes Intermezzo

      Die Fanfare ruft. Eine Sondermeldung im Radio, vielleicht spricht der Führer. Oder sein Adlatus, sein Sprachrohr G. – ich höre es von fern und undeutlich in meine Zelle herüberschallen. Zeit für mich also, des Nazis zu gedenken, den ich hier in meinem Bericht vom weiteren Verlauf dieses Tages mit dem still immer noch vor sich hin kokelnden Reichstag so ganz vergessen zu haben scheine – ich hatte ihn wirklich vergessen, den Nazi, in diesen Stunden, den Reichstagsbrand und seine eventuellen Brandstifter, die ganze Nazi-Bande, und also war mir das alles gut, die Schmach, die Scham, der Exzeß an erlebten Peinlichkeiten, und wenn ich ehrlich mit mir bin und hier mit der altgewohnten Leier doch einmal aufhören will, mich immer nur als das Opfer meiner Frau darzustellen, mir auch so vorkommen zu wollen, als wäre ich’s, ihr Opfer, dann muß ich bekennen, daß ich es untergründig doch genossen habe, die Schmach, die Scham, den ganzen Exzeß an peinlichen Momenten, genossen, weil Exzeß, genossen, weil mir nichts anderes blieb, als die Schamgefühle zu überwinden, und sich da dann ein Reich der Freiheit für mich auftat im Grad vom Nazi unterjochten Deutschen Reich. Frei von Scham zu sein, schamlos zu sein, ich genoß es und ich genoß auch die Schmach, die es bedeutete, vor einer anderen Frau und dann anderen Frauen noch, weiteren Verkäuferinnen, so sehr unter der Fuchtel meiner Frau zu stehen, der meiner geliebten Speedy, und wenn ich weiterhin ehrlich bin, mit mir ehrlich bin und wenigstens mir allein gegenüber zur Wahrheit verpflichtet, dann muß ich mir auch das eingestehen, daß ich allein, ohne Speedys Zwang und also Hilfe dabei, niemals dazu fähig gewesen wäre, einen solchen Schritt zu wagen, mir diesen Wunsch zu erfüllen, denn es war ja genauso mein Wunsch, wie es ihr Wunsch war, und es war wohl mehr noch mein Wunsch und für Speedy mehr ein Mittel mich abzulenken, vom Nazi abzulenken, daß ich mit weiblicher Unterwäsche ausgestattet werde, mich ausstatte – ohne Speedy wäre es nicht dazu gekommen, ich hätte den Mut nicht aufgebracht, den Mut, als Mann in ein Miederwarengeschäft zu gehen, um dort etwas für mich in meiner zwar rudimentären, aber nach außen hin immer doch noch intakten Männlichkeit an schöner Weiblichkeit zu kaufen und das dann auch noch im Laden anzuprobieren, so stark war mein Exhibitionismus nicht. Nicht mehr und noch nicht. Nicht mehr, weil das ja mal anders gewesen war, früher, als ich sehr viel jünger war und ein Provokateur während meiner Studienzeit, wo ich mit rotgeschminkten Lippen durch das provinzielle Karlsruhe stolzierte, und noch nicht, weil das mit dem Exhibitionismus erst richtig danach begann, das ganze, ansonsten so schreckliche Jahr 33 hindurch, ausgelöst durch Speedy, durch diesen Nazi-Tag nach dem Reichstagsbrand, der für sie und mich so ein ganz anderer Tag wurde, ein Wäsche-Tag – Dank Speedy, muß ich hier wieder mal sagen, und ich sollte das auch mal ihr sagen, wie sehr ich ihr danke, wie viel ich ihr verdanke, ich tue es nicht genug. Ich habe es vernachlässigt, ich bin ein gar doch schlechter Ehemann.

      Hätte ich nicht gedacht, nicht vermutet, was für einen Sog das entwickelt: daß ich, habe ich einmal damit angefangen und mich nicht mit ein paar Andeutungen begnügt, mit allgemeinen Betrachtungen zufriedengegeben, die ja wohl immer auch Verschleierungen sind des allzu Konkreten, das alles in allen Details zu Ende erzählen muß – erstaunlich für einen wie mich, der vorher noch nicht wirklich geschrieben hat, der als Schriftsteller ein Anfänger ist, ein Neuling. Jetzt versteh ich’s besser, warum sie schreiben und auch beschreiben, Dinge, Vorgänge in aller Ausführlichkeit beschreiben, meine Kollegen Schriftsteller. Das ist ja wie eine Droge, und wenn nicht hier vor kurzem schon das Wort Trance gefallen wäre, würde ich es glattweg noch einmal benutzen wollen – aber eigentlich doch egal, was mein früherer Deutschlehrer dazu gesagt hätte, der mir in seinem Gymnasialverstand der deutschen Literatur jedesmal unerbittlich jede Wiederholung als Ausdrucksfehler anstrich. Gerade das mit den Wortwiederholungen, den Wortvariationen trägt doch mit zu dieser Trance-Wirkung bei, dieser Wirkung, die ich eine transzendentale Wirkung zu nennen mich frohgemut nun auch noch anschicke, und sei es, um auch hier das Wort von der Trance noch einmal variieren zu können – beim Schreiben jedenfalls ist das so, wie es gelesen wirken würde, mir doch egal, wo ich doch nur für mich schreibe, zu meinem Plaisir und, um mich vom Nazi abzulenken, der mich, ganz zu recht, wie ich zugeben muß, einer unnationalsozialistischen Lebensweise beschuldigt und anklagt. Beim Schreiben ist das Trance, das mit den Wortwiederholungen Trance, das mit dem Variieren der Wörter – als ob sich damit ein sprachlicher Schleier über die Wirklichkeit legte, die ich so wortreich zu beschreiben suche, als ob sie dadurch weniger real würde, wirklich, diese Wirklichkeit, die ja immer auch ihre lediglich allein nur erbärmlichen Aspekte aufweist. Schreibe ich über sie, lasse ich diese erbärmlichen Aspekte dabei nicht aus, und schreibe ich in Trance, wie in Trance geraten und mit den Worten, die mir in diesem Delirium einfallen, dann veredeln sich selbst diese Seiten der Wirklichkeit, dann erbarmt sich das Schreiben ihrer – als ob das Magie wäre, Wortmagie, und man könnte auch, um es anders zu sagen, von einem Wortfetischismus sprechen, und Fetischismus, das ist nicht nur ein Wort, das für mich als Fetischisten einen Fetisch darstellt, Fetischismus, das ist auch gleichbedeutend mit dem zwanghaften Wiederholungszwang, das eine und gleiche immer wieder wiederholen zu müssen. Und insofern paßt das nicht nur alles wunderbar zusammen,


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