Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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die Zeit vergeht, beim Schreiben – für einen Häftling ist es das.

      Kapitel 59: Erhöhte Dosis

      Diese Unterbrechung, sie hat mich zwar abgehalten, das angekündigte farbliche Bekenntnis abzulegen, wie sehr auch mir doch die hautfarbene Farbe gefiel und richtig für mich schien, die Speedy, aus welchen Gründen und wie zufällig vielleicht auch immer, für meine Wäsche gewählt hatte, aber sie kommt mir insofern doch ganz recht, diese Unterbrechung, denn dann muß ich das alles nämlich nicht weiter und bis zu Ende berichten, bis zu dem Moment, wo’s ans Bezahlen ging, das natürlich Speedy übernahm, während ich wieder wie ein mit Peinlichkeit übergossener Pudel daneben stand und stehen mußte – noch nicht mal mehr in diesem Punkte Mann und der üblichen Männerrolle gemäß. Der mit der Brieftasche. Dieser schriftstellerische Coitus interruptus hier der Fanfare, er befreit mich von dem zwanghaften Zwang zur Vollständigkeit, das alles haarklein und in allen peinlichen Details aufzuschreiben, was in diesem ersten Laden geschah, auf den ja noch ein zweiter folgen sollte, das Spezialgeschäft, in dem wir dann doch ein altertümliches, aus der Mode geratenes Korsett für mich zu finden hofften, auf den aber erst ein ganz anderer zweiter Laden folgte, Chris, ein modisches und damit eigentlich für uns und unser Anliegen von vornherein gänzlich ungeeignetes Dessousgeschäft, an dem wir auf unserem Fußmarsch nach Friedenau vorbeikamen – schon diese neumodische Angewohnheit, einem solchen Laden einen solchen Namen zu geben, Chris, sagte doch alles. Wer mochte das wohl sein, Chris? Die Inhaberin des Ladens, die wir später dann ja auch noch kennenlernten, ihr Vorname? Eine Christine, aus der Chris wurde? Man muß da heutzutage alles für möglich halten, jedwede Anbiederung an den Zeitgeschmack, und der Zeitgeschmack tendiert nun mal dahin, daß man sich selber im Leben erst noch finden muß, erfinden und deshalb immer mehr Leutchen mit ihrem Namen unzufrieden sind, den sie von ihrer Familie her haben, den ihnen ihre Eltern gegeben und in dem altertümlichen Glauben verpaßt haben, sie würden ihn fraglos annehmen und durchs Leben tragen, wie es sich gehört – aber was rege ich mich darüber auf? Wenn die alten Sitten noch gelten würden, dann hieße Speedy nicht Speedy und ich müßte sie entweder Elfriede nennen oder mit Elisabeth anreden, und ich hätte noch nicht mal darin eine Wahl, denn natürlich haben ihre dummen Schweizer Eltern meine Speedy Elfriede gerufen – was für ein unpassender Name für meine Speedy, die so wenig friedlich ist, sondern in der Hauptsache schnell und immer also speedy. Aber verrückt ist das schon, daß die Spitznamen immer mehr um sich greifen, daß sie wirklich an einem Menschen kleben bleiben, zu dem Namen werden, mit dem sie dann nicht nur von allen anderen, mit dem sie sich auch selber nennen. Ich habe Speedy den Namen Speedy gegeben, aber es ist ihr Name geworden – so was wie ein Künstlername, könnte man fast meinen, und von George die Frau, sie wurde Maud genannt und der Georg George, er umbenannte sich selber in das Englische George, und ich will nicht noch einmal mit Helmut Herzfelds Johnny Heartfield anfangen und all diesen Namen, Namen, Namen, und hätte ich nicht diesen trefflich passenden Namen Schlechter, ich hätte mir wohl auch einen anderen suchen und anschaffen müssen, und keiner nennt mich doch Rudolph. Früher war das unser Künstlerprivileg, das mit den Künstlernamen, etwas, den schöpferischen Menschen allein vorbehaltenes, den Schaffenden, die sich doch selber wirklich erst einmal selbst erschaffen müssen, nun aber will jede Tussi, jede Miederwarenladenbesitzerin ihren ureigenen Namen haben und sich selber erschaffen, sich zu einer Chris stilisieren – aber vielleicht kommt’s bei einer Chris gar nicht von uns Künstlern her, und es grenzt wieder mal an Selbstüberschätzung anzunehmen, wir Künstler hätten einen solchen Einfluß auf die Sitten und Gebräuche, eine solche Vorbildfunktion, als wären wir das Schnittmuster, nach dem sich alle anderen dann zurechtschneidern wollen. Es gibt ja eine andere Personengruppe noch, die man nur beim Vornamen nennt und meist dann wie bei Chris in einer abgekürzten Form: die Nutten, ganz genau, und bei den Nutten muß doch alles schnell gehen, da ist die Zeit nur kurz bemessen und ansonsten teuer, und also ist Chris schon mal besser als die viel zu lange Christine. Überhaupt das Milieu, und auch die Gangster kennen sich doch nur bei ihren Spitznamen, das Milieu wird das Vorbild für Chris gewesen sein, und vielleicht war sie das sogar einmal, eine Nutte, eine Nutte, die gut Geld verdient hat, denn davon träumen sie doch alle, die Nutten, eines Tages soviel an Moneten zusammengespart zu haben, daß sie ein eigenes Geschäft aufmachen können, und eine Nutte kennt sich doch auch ein bißchen mit dem Darunter der Dessous aus, das ist doch Berufskleidung bei denen – damit klärt sich alles auf.

      Das erste Geschäft, in dem Speedy und ich waren, da war das natürlich alles anders, es war ja auch ein seriöses, ein nicht so modisches, es war ein Traditionsgeschäft, und es hieß folglich auch nur so, wie traditionell Geschäfte heißen, und unter mehr als der sachlichen Angabe Miederwaren firmierte das Ding auch nicht – stimmt nicht ganz, ich erinnere mich jetzt daran, daß da draußen am Ladenschild auch der Name des Geschäftsinhabers genannt wurde: Paul Knopf, und jetzt auch fällt mir erst auf, daß Knopf schon ein merkwürdiger Name ist für so einen Laden, der nicht Knöpfe verkaufte, aber doch keine Stühle, keine Möbel oder Eisenoder Haushaltswaren aller Art, und ein Kolonialwarengeschäft war’s auch nicht, und Unterwäsche, das ist doch von Knöpfen soweit nicht entfernt, auch wenn das heute mehr Haken und Ösen sind und keine Knöpfe mehr Verwendung finden, diese Stoffteile zu verschließen, damit sie zu Bekleidungsstücken werden. Es gehört von der Branche her zusammen, und ich will deshalb mal annehmen, daß das eine sehr alte Kurzwaren-Familie und vielleicht sogar Knopf-Dynastie gewesen sein muß, die Familie Knopf, von der dann einer in das benachbarte Miederwarengeschäft gewechselt haben wird.

      Dieser zweite Miederwarenladen, er war ein ganz anderer, einer, der auch anders aussah, schon auf den ersten Blick beim Betreten einen anderen Eindruck machte. Der erste war ein alter Laden, ein altehrwürdiges, ein renommiertes Geschäft, das auch so aussah: dunkles Holz und überall pompöse Regale an den Wänden, der Rest im gleichen Holz getäfelt, nicht sehr hell, nicht vollkommen ausgeleuchtet, grün beschirmte Lampen – mit einem Wort: gediegen, sogar sehr gediegen und seriös, und es war dies wohl überhaupt kein Zufall, daß wir dort von einer so erfahrenen Fachkraft bedient wurden, das paßte genau zu diesem Laden, der etwas in eine andere Zeit zu gehören schien, noch den Geist der untergegangenen Wilhelminischen Epoche atmend. Das zweite Geschäft war sehr viel moderner, war allem Anschein nach eine Neugründung, existierte so erst seit ein paar wenigen Jahren, wie sich deutlich an der hellen Beleuchtung, an der ebenso hellen Inneneinrichtung ablesen ließ. Der Laden besaß Pariser Chic, und er war deshalb auch sehr viel weniger traditionell, war stattdessen eindeutig modischer in seinem Warenangebot und insoweit wohl schon mal von vornherein nicht so ganz das Passende für uns, für Speedy und mich, für meine Verweiblichung, die ja doch nur die in eine Dame sein konnte, nicht die in eine moderne Frau von heute – ich bin mir sicher, daß Speedy dies genauso gesehen haben wird, daß auch Speedy sofort bei unserm Eintreten in diesen zweiten Laden wußte, daß wir in ihm nicht so ganz richtig sein würden. Doch dies hielt sie nicht davon ab, auch dort für mich das Glück zu suchen, und vielleicht wollte sie ja einfach nur nicht gleich auf dem Absatz wieder umkehren müssen, wo wir nun schon mal in dem Laden drin waren. Aber ich glaube das doch eigentlich nicht, ich vermute, daß Speedys natürlich sehr spontane, sehr instinktive Entscheidung, dort in diesem Laden mit mir zu bleiben, von etwas anderem bestimmt worden sein dürfte: von dem Verkaufspersonal nämlich, von den dort dann durchgängig soviel jüngeren Verkäuferinnen – ich nehme dies jedenfalls mal so an, daß sie dort dann gleich die Chance und Möglichkeit gesehen hat, ihrem Mann, also mir, ihrem zu verweiblichenden Mann, also mir, ihrem Schüler in Sachen Weiblichkeit, devoter Weiblichkeit, eine weitere, eine etwas anders geartete, eine verschärftere Lektion zu erteilen, eine Lektion auch in Freiheit. So könnte man es doch sagen, formulieren, daß ich an diesem Tage an Freiheit gewann, an innerer Freiheit, an der Freiheit, die sich auftut, ist erst einmal die Scham, sind die exzessiv mich beherrschenden Schamgefühle überwunden – ohne daß ich dies erlebt hätte, wie aus Zwang, mir auferlegtem Zwang, aus zwanghafter Scham auch Freiheit wird, hätte ich doch all das, was auf diesen Tag in Berlin am 28. Februar 1933 folgen sollte, nie gewagt, nie mitgemacht, mit mir geschehen lassen. So peinlich das alles für mich war und so peinlich es sicher doch auch, Speedys Intentionen gemäß, für mich sein sollte, habe ich doch nur eines: Speedy zu danken, daß sie mich all dem aussetzte.

      Zu danken auch für diese Lektion: eine Lektion in Rassismus – nein, kein Antisemitismus, der ja nur eine ganz spezielle


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