Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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dann sei sie gerechtfertigt, denn dazu hatte ich nun wirklich keine Zeit mehr, keinen Teil mehr frei in meinem Gehirn, an das zu denken, was da draußen in der Welt und in diesem Fleckchen Deutschlands Berlin sonst noch vorgehen mochte, ich war ja vollkommen von dem absorbiert, was in diesem Laden geschah, was mir in diesem Laden geschah. Nicht, daß diese jungen Dinger etwa meinten, es müsse sich da mal eine von ihnen dazu bequemen, sich zu ihrer Kundin Speedy zu bemühen und ihr bei ihrer Wahl helfen – nein, bloß nicht, wir waren ja schließlich in einem modernen Geschäft, und so was, das ist doch der Stil der alten, der längst vergangenen Zeit. Aber ich will den drei Grazien nicht unnötig Unrecht tun, denn vielleicht wäre ja eine von ihnen dann doch zu Speedy gegangen und hätte höflich gefragt, ob sie helfen, ob sie behilflich sein könne, und es kam nur nicht dazu, weil Speedy in diesem Laden in ihrer Wahl dessen, was sie für mich interessierte, sehr viel schneller war als in dem ersten, wo sie doch eine ganze Zeit dafür gebraucht hatte. Vielleicht aber war Speedy extra auch deshalb so schnell, damit sie es nicht mit einer von den drei Fräuleins zu tun bekam, sondern mit ihnen allen zusammen. Um sie dann alle mit in das folgende Geschehen einzubeziehen, in den Akt meiner peinlichen Erniedrigung – wenn sie’s darauf genau angelegt hatte, dann war es jedenfalls ein Erfolg. Speedy trat mit einem Nachthemd in der einen Hand, mit einem Unterrock in der anderen dazu, den sie mir vorher nicht angekündigt hatte, an den Verkaufstresen heran, wo die drei gelangweilt zusammenstanden, als wäre es nicht ihr Laden, als hätten sie da gar nichts weiter groß zu tun. Und es machte auch den Eindruck, als löste sich dann eine von ihnen, die große, in die Höhe geschossene Brünette, nur widerwillig aus ihrem Pulk heraus, um Speedy dann doch, wenn’s denn unbedingt sein muß, zu bedienen. Aber mit dieser einen kam auch Bewegung in die anderen beiden, eine undefinierbar Blonde trat einen Schritt in Richtung Kasse, schickte sich gleich auch an, die beiden Sachen, die Speedy ausgesucht hatte, einzupacken, nur die Dritte hielt sich weiterhin im Hintergrund und begann sich ihre Fingernägel daraufhin anzusehen, ob sie denn auch noch ordentlich manikürt wären – was für ein Bild! Moderne Zeiten. Berliner Pflanzen. Junges Gemüse, und das in der klassischen Dreizahl der drei Grazien. Die, die sich zuerst bereit gefunden hatte, doch noch ihren Job zu machen, um das mal englisch modern auszudrücken, sie fragte Speedy, die ihr das Nachthemd, den Unterrock entgegenhielt, ob es das wäre, was sie haben wolle, und im nächsten Moment schon, ohne Speedys Antwort abzuwarten, war sie bei den Preisschildern und gab sie der undefinierbar Blonden an der Kasse weiter. Höchste Zeit also für Speedy einzuschreiten, und sie tat es, indem sie sagte: »Nicht so hastig, die jungen Damen«, und sie sagte es ein bißchen süffisant und ironisch im Unterton und damit passend also zu diesen drei trägen, gelangweilten Gestalten, die nun gar nicht erstmal wußten, was das solle, was der Grund für Speedys Intervention in ihren Geschäftsgang sein könne. Alle drei schauten auf, erstaunt auf, und Speedy sagte zu ihnen: »Ich glaube nicht, daß sie schon passen dürften«, was dann ihr Erstaunen noch einmal steigerte, aber auch Widerspruch bei den drei angeödeten Grazien hervorrief, die nahezu unisono meinten, auch sagen zu können meinten, ohne daß sie sich dieses Nachthemd, diesen Unterrock näher angeschaut hatten, das würde beides Speedy garantiert passen. Speedy lächelte die drei an, ich sah es von der Seite, lächelte sie mit dem gewinnendsten Lächeln an und sagte: »Ich will doch dieses Nachthemd, diesen Unterrock nicht für mich … «, und dann folgte eine kleine Pause, um die Spannung zu erhöhen, »sondern für meinen Mann hier«, und als sie das gesagt hatte, drehten sich die drei Köpfe der drei Verkäuferinnen, die ich hier nun doch Verkäuferinnen genannt habe, in ihrer offiziellen Funktion, zu mir um, und es schauten mich drei mal zwei Augen mit weit geweiteten Blicken an, und der Mund stand ihnen offen. Die schön rot geschminkten Mäuler und Mündchen. Tja, damit hätten sie wohl niemals gerechnet. Das war ihnen in ihren wenigen Berufsjahren wohl noch nie vorgekommen. Aber Speedy ließ ihnen in ihrer Verblüffung keine Zeit, Speedy sagte, sie wolle da auf Nummer sicher gehen, ihr Mann, also ich, müsse das beides anprobieren können, das Nachthemd und diesen Unterrock, von denen sie nicht annehme, daß sie mir passen dürften, und da dann nickten die drei, soviel Berufserfahrung besaßen sie dann doch schon. »Wir«, sagte Speedy und dieses Wir, so würde ich meinen, dieses Wir, durch das sie sich mit den drei Verkäuferinnen zusammentat, auch gegen mich zusammentat, sollte dann noch von entscheidender Bedeutung sein für den Fortgang des ganzen weiteren Geschehens, »wir sollten da wohl erstmal bei ihm den Brustumfang messen, ich weiß nämlich seine Wäschegröße nicht, jedenfalls nicht die, die wir hier brauchen.« Meinen Brustumfang – welchen meinte sie? Den mit dem männlich leeren BH oder den verzweifelt weiblich ausgestopften? Ich führte meine Hände links und rechts an meine Hosentaschen, wo ich ihre alten Strümpfe zu stecken hatte – als wolle ich sie fragen: soll ich oder soll ich nicht? Und natürlich sollte ich, und also stopfte ich, als wir dann zum zweiten Mal an diesem Tag in dieser Kabine angekommen waren, der zum Anprobieren. Erstmal aber Messen, und die blutjunge Verkäuferin starrte mich dabei an, als hätte sie’s mit einem komplett Verrückten zu tun – hatte sie ja auch, und dieser Verrückte, der sich da so von seiner Frau herumkommandieren ließ und bloßstellen, das war ich, niemand anderer als ich. Der dann Vermessene. Von fachkundiger Hand Vermessene. Und so stand ich da: im BH, dem ausgestopften, mit dem Hemdchen drüber und unten den breiten Hüftgürtel, den ich netterweise gleich hatte anbehalten dürfen, die Strümpfe, die Weiberstrümpfe – ein Bild des Jammers, eine Witzfigur, die Lächerlichkeit selber, zum Gotterbarmen. Aber es erbarmte sich keiner, Speedy, die grausame, trieb es nur noch einmal schlimmer mit mir: nachdem ich oben rum vermessen und die Verkäuferin sich auf die Suche nach dem passenden Nachthemd für mich und einem Unterrock gemacht hatte, zog sie mir die Unterhosen runter – es gab noch etwas anderes zu messen, verdammt noch mal.

      Kapitel 60 mit dem Titel: Kleiner Dialog über eine Kleinigkeit

      Speedy: »Du bist aber extra klein heute.«

      Ich: »Wie viele Zentimeter sind es denn?«

      Speedy: »Nur drei Zentimeterchen, mehr nicht, mein lieber Mann.«

      Ich: »Dann paßt das ja, wo ich doch heute eine Frau bin.«

      Speedy: »Eine Frau mit einem dann aber etwas zu groß geratenen Kitzler.«

      Ich: »An dem du hoffentlich mich jetzt nicht kitzeln wirst.«

      Speedy: »Wir wollen ja hier nicht unnötig einen Skandal verursachen.«

      Ich: »Das will ich auch nicht hoffen.«

      Humor ist ja bekanntlich, wenn man trotzdem lacht.

      Kapitel 61: Steigerungen sind immer möglich

      Und Ernst ist, wenn einem dieser Humor doch noch vergeht, und er verging mir, als Speedy ihre Messungen meiner Kleinigkeit dann wiederum extra so lange in die Länge zog, bis die Verkäuferin mit den beiden gewünschten Wäschestücken, die sich dort in der für mich richtigen Größe hatten finden lassen, aus dem Lager zurückkehrte, die dies wohl ganz genau mitbekommen sollte, womit Speedy sich inzwischen die Zeit vertrieben hatte, damit sie davon dann auch ja ihren Kolleginnen berichten könne und die dann noch mal mehr etwas über mich zu lachen haben. Und Speedy ließ es auch nicht etwa dabei bewenden, daß sie mich von meinen wenigen drei Zentimeterchen in Kenntnis gesetzt hatte, auch die Verkäuferin sollte dies natürlich unbedingt wissen und mit ihr komplett die ganze weibliche Schar – während mir die Verkäuferin in den Unterrock half, sagte Speedy wie beiläufig: »Deine drei Zentimeter, das ist die einzige Zahl, die du dir merken mußt, ich möchte, daß wir das zu Hause noch mal nachmessen, auch im erigierten Zustand.« Das war aber lieb von ihr, daß ich mir die Bekleidungsgrößen nicht merken mußte, wirklich lieb. Speedy kann ja so nett sein. Ein paar klitzekleine drei Zentimeterchen, die werde sogar ich mir ja wohl merken können. Wenn’s weiter nichts ist, und sehr viel mehr werden das bei mir doch im erigierten Zustand nicht, und auch das war natürlich etwas, das die Verkäuferin unbedingt wissen mußte, und wenn’s nach Speedy gegangen wäre, dann hätte Masseck darüber auch noch auf der Lokalseite der BZ am Mittag geschrieben, unter dem Titel: Rekordverdächtig – der kleinste Männerschwanz Berlins. Gesegnet die Zeiten, die da sicher irgendwann kommen werden, wo so was in der Zeitung steht, in der Boulevard-Zeitung natürlich, nicht im Völkischen Beobachter, der sich mehr den gravierenderen Dingen zuwendet, der großen Politik, nicht einem


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