Speedy – Skizzen. Florian Havemann

Speedy – Skizzen - Florian Havemann


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muß ich doch wirklich die Finger zu Hilfe nehmen beim Nachrechnen: acht. Die eigentliche Initiative, sie lag bei Speedy, das war ihr Tag. Das war ein Speedy-Tag. Daß ich mitmachte, sicher nicht so erstaunlich, aber die Voraussetzung für alles Weitere – wirklich erstaunlich war, daß sich da diese Personen, diese zufällig eigentlich zusammenkommenden Personen von Speedys Verrücktheit anstecken ließen, daß sie mitmachten, alle, bereitwillig, und würde mir das jemand so erzählen, was da geschehen ist, an diesem Tag, diesem Speedy-Tag, dem 28. Februar 33, ich würde es wohl gar nicht glauben, nicht für möglich halten. Viel zu extrem. Außerhalb dessen sich bewegend, was man so für möglich hält. Außerhalb dieses Rahmens von Normalität, und wenn ich nach dem Grund dafür suche, warum es dann doch wohl zu diesen extremen Szenen kommen konnte, was sie möglich gemacht, verursacht hat, dann, ja, dann … dann komme ich auf den Nazi, komme ich auf den Reichstagsbrand, den einsetzenden Terror, komme ich konkret: auf diesen SA-Trupp, der in dieser Einkaufsstraße durchmarschiert ist, Juden raus, und auch die drei gutdeutschen Ladenmädel wußten doch, daß sie das mit betrifft, das Juden-raus-Gegröle, ihren Laden, ihr jüdisch schickes Miederwarengeschäft – deshalb ja dann ihre konzertierte Aktion als eingespieltes Team: wie sie die Jalousien runtergelassen, den Laden abgeschlossen haben. Und ab dem Moment erst, würde ich sagen, ging es richtig los mit dem Irrsinn, und alle beteiligten sich dran. Das ist der Hintergrund, vor dem all dies geschah: der Nazi, der Reichstagsbrand, das Gegröle, der Schlag gegen die heruntergelassene Jalousie, das laute Lachen der SA, das ist der Hintergrund, der Hintergrund, vor dem das alles auch nur zu begreifen ist. In seiner Extremität, seiner Verrücktheit. Der Tanz am Rande des Abgrunds. Durchgedreht und aufgedreht, aufgedreht und aufgekratzt, und das galt für alle Beteiligten. Deshalb ließen sich alle von Speedy anstecken. Von ihrer Verrücktheit. Natürlich ist das eine Geschichte wie aus dem Tollhaus, total verrückt und deshalb würde mir ja auch kein Biedermann diese verrückte Geschichte glauben in ihrer ganzen Verrücktheit – stimmt nicht, stimmt so nicht mehr, die Zeiten haben sich geändert, man höre doch nur mal den Gerüchten zu und was die Leute so munkeln: das weiß doch auch der biederste Biedermann, daß der Nazi sein einstmals so biederes Deutschland in ein solches Tollhaus verwandelt hat, wo alles, aber auch alles möglich ist, für möglich gehalten werden muß. Und also auch das, daß da ein paar reinste zufällig zusammenkommende Privatleute zusammen durchdrehen.

      Totale Antriebslosigkeit heute, keine Lust zu schreiben – da wird doch nicht etwa der Neger dran schuld sein, wegen seiner Virilität. Seiner Potenz. Weib ist Weib – egal wie. Wie alt, wie häßlich. Ich komme mir so verzärtelt vor. Ein kleines Flämmchen, das jederzeit zu erlöschen droht. Ich brauche die Anregung von außen. Daß alles aus mir selber herausholen zu müssen, das raubt mir auf Dauer alle Kraft. Die Schaffenskraft, die Lust auch, etwas zu tun. Und hier nun die: zu schreiben.

      Kapitel 62: Continuare

      Ist das lateinisch korrekt, als Infinitiv auch richtig? Egal – Hauptsache, es klingt so gelehrt. Ist schon zu lange her mit dem Latein in der Schule, und so sehr aufgepaßt habe ich im Unterricht damals auch nicht, wußte ich doch nicht, wozu ich diese tote Sprache dereinst einmal brauchen würde: um mein Leben dahinter zu verstecken. To continue aber das stimmt, und wo ich doch schon einmal beim Englischen bin, eines to measure und eines cocks, den es zu messen gilt, was hier jedoch nicht einen Hahn meint und auch einen Piephahn nicht, denn der wäre ja viel zu klein und zu niedlich, sondern ein richtig stolzes Tier, einen Groß-, weil Negerschwanz, reicht mir das dann wegen seiner Ähnlichkeit auch aus. Also, wie gesagt und zumindest in Aussicht gestellt: sie maßen, sie nahmen das Zentimeterband und maßen und sie hatten ja auch etwas zu messen, bei diesem cock hatten sie es, und dieser schwarzafrikanische, dieser negroide Frauenbeglückungsapparat, er hatte ein paar entscheidende Zentimeter mehr als der von Speedys Masseck aufzubieten, und wenigstens das mußte mir gefallen und gefiel mir natürlich auch. Das mit Geld bewehrte Gespenst sollte mehr in ihrem, wenn ich das mal so ordinär und mitleidslos ausdrücken darf bei aller dabei empfundenen Scham, klaffenden Loch zu spüren haben als meine schöne Speedy bei ihrem Masseck, sie sollte nicht immer allen anderen Frauenzimmern überlegen sein können. Aber des schwarzen Riesen 20 cm, sie waren ja erstmal nur im hängenden Zustand gemessene Zentimeter, und nicht nur mich allein in dieser merkwürdigen Runde dürfte es interessiert haben, was das geistige Riesenbaby mit nur dem Einen im Kopf an erigierter Mannesgröße vorzuweisen hat – das wäre sicher Speedys nächste Frage gewesen, ob denn bei ihm auch die eigentlich interessante Messung vorzunehmen wäre, aber das häßliche Gespenst kam ihr zuvor, wohl mächtig stolz darauf, what money can buy, was ihr Geld sich in der Welt alles kaufen kann: ob sie denn nicht das Ding auch in seiner vollen Größe messen wollten, fragte sie die fleißigen Messerinnen, und natürlich wollten sie nur zu gerne, und auch Speedy wollte, die Spielleiterin, und so sagte sie, auch damit ihr nicht die Initiative des Ganzen entgleite, zu dem Ladenfräulein, das vor dem schwarzen Mann mit dem Maßband in der Hand auf den Knien hockte: »Leck ihn steif!« Na ja, auch dies sehr deutlich formuliert und jenseits der sexualkundlichen Fachausdrücke, deren Latein diese ungebildete Berliner Göre sicher auch nicht mächtig gewesen wäre, und also bleiben wir dabei, wenn nun zu berichten ist, daß sie dann, ganz folgsam und brav und wohl gewohnt, klar ausgesprochenen Anordnungen Folge zu leisten, leckte, ihn leckte, the black big cock, und, um noch ein Stückweit weiter in die rassenvermischenden anatomischen Details des Fellatio zu gehen: sie nahm ihn also in ihren kleinen, blassen Mund, und er wuchs und wuchs und wurde ein richtig big cock und erregte in seiner Erregung das Staunen aller um ihn versammelten, meines inklusive. Doch der schöne Spaß, er währte nicht ewiglich, er wurde brutal unterbrochen, unterbrochen von einer wie aus der Versenkung plötzlich auftauchenden Furie, der Inhaberin dieses Miederwarengeschäfts. »Die Chefin … « Ich weiß nicht, welche der drei Verkäuferinnen es war, die uns und in der Hauptsache wohl die ihrer Kolleginnen alarmierte, die so hingebungsvoll mit der Vorbereitung der eigentlichen Messung beschäftigt war und so schnell gar nicht das enorme Gerät aus ihrem Mund herausbekam, wie es ihr wohl nun doch lieb gewesen wäre – der gestrengen Chefin war das gar nicht recht, was sie da zu sehen bekam, sie schrie: »Was ist denn hier los?«, und hatte doch sicher genug davon gesehen, was denn da nun los war. »Habe ich denn euch nicht jeden intimen Kontakt mit unserer Kundschaft verboten?« So ging das Geschrei weiter, und ehe Speedy als die Hauptverantwortliche für diesen Zwischenfall überhaupt eingreifen und sich schützend vor das eben noch begierig schwanzleckende Ladenmädel stellen konnte, was sie doch wohl sicher getan hätte, hätte sie dazu die Zeit, die Möglichkeit gehabt, war das arme Mädchen entlassen, fristlos gekündigt und rausgeschmissen, und da half dann auch gar nicht mehr, daß Speedy im nachhinein die Schuld auf sich nahm, was sie jedenfalls tat, zumindest probierte. »Ich habe da meine Prinzipien«, sagte die Frau Chefin, sichtlich um einen konzilianteren Ton gegenüber Speedy bemüht. Interessant war, daß sich das häßliche Gespenst mit der vielen Knete aus allem heraushielt, nur hämisch grinste, mehr nicht. Sie verschwand in ihrer Kabine, als ob sie der ganze Vorfall nichts weiter anginge. Wir waren also mit der aufgebrachten Frau und ihren verbleibenden beiden Angestellten allein, die Dritte hatte sofort heulend das Weite gesucht, und sie bat uns, mit einem verwunderten Seitenblick auf mich, doch bitte den Laden zu verlassen, der für heute geschlossen sei. Speedy, sichtlich konsterniert, beharrte aber darauf, die Wäschestücke, die sie für ihren Mann haben wolle, auch kaufen zu können. Wieder folgte ein noch mal mehr erstaunter Seitenblick dieser Chefin und Ladenbesitzerin in meine Richtung, und dann sagte sie: »Bitte, tun Sie das, aber beeilen Sie sich, Sie haben doch gesehen, was da draußen los ist.« Die gute Frau war offensichtlich in Panik. Und sie hatte wahrscheinlich auch ihre guten Gründe dafür, Gründe, die wirklich nur mittelbar mit der Szene zu tun hatten, in die sie hereingeplatzt war, sehr viel aber mit dem Nazi da draußen, dessen Wiederkehr sie offenbar fürchtete und zu fürchten hatte – was das aber für Gründe waren, ich ahnte es in diesem Moment noch nicht.

      Als Speedy dann bezahlte, den Unterrock, das Nachthemd, das Negligé für mich, flüsterten uns die beiden verbliebenen Verkäuferinnen aufgeregt, sich gegenseitig unterbrechend, ergänzend zu, daß ihre Chefin lesbisch sei, daß sie ihr alle abwechselnd zu Willen sein müßten, und daß es gerade ihre gegenwärtige Schmusi gewesen sei, die sie mit dem Negerschwanz im Mund überrascht habe – das gab schon mal eine Erklärung für den abrupten Rausschmiß dieser einen Verkäuferin und warf ein bezeichnendes Licht auch auf die Prinzipien dieser Dame, die als Chefin


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