Blick ins Kaleidoskop. Wolfgang Mebs

Blick ins Kaleidoskop - Wolfgang Mebs


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und eine noch umfangreichere Bibliothek besitzt, und der darüber hinaus nach wie vor großzügige Joints dreht – und aus demselben Grunde stets über einen gutgefüllten Kühlschrank verfügt.

      Doch dafür ist es noch zu früh. Frank steht selten vor zwölf auf. Frank ist Nachtmensch.

      Und der einzige Kritiker, den Karl erträgt.

      Karl hatte ihm den Verriss seiner Ausstellung in der Lokalzeitung vorgelesen.

      »Na ja, Karl, das eine oder andere kann ich ja mittlerweile durchaus nachvollziehen. Zum Beispiel Frösche. Aber wieso Frösche? Kannst du nicht einfachere Symbole wählen?«

      Karl sah ihn erbost an.

      »Halt, warte, warte! Einfach nicht im Sinne von simpel, sondern einfacher zu verstehen. Ohne dich persönlich jahrelang zu kennen.«

      »Haha, sehr feinsinnig … Joyce hat über Finnegan’s Wake gesagt: Ich habe ein Leben lang gebraucht, diesen Roman zu schreiben, und ich erwarte von meinen Lesern, dass sie sich ein Leben lang mit diesem Werk beschäftigen, um es zu verstehen. Welch ein mutiges Statement!

      Aber so weit will ich ja gar nicht gehen. Ich bin weder so mutig noch so vermessen. Aber, verdammt noch mal, wem denken zu anstrengend ist, der soll RTL gucken.«

      »Gut, akzeptiert, aber, meine Güte, Karl, was glaubst du denn, wie viele Leute die mystische Bedeutung von Fröschen kennen oder gar deine persönliche Interpretation derselben?«

      »Joyce hat eben nicht für den Pöbel geschrieben, und ich male nicht für ihn.«

      »Hältst du mich auch für Pöbel, weil ich nichts wusste über Frösche als mythische Verkörperung der persönlichen Wandlungsfähigkeit? Dass Frösche sexuell zweideutig sind oder was der Frosch bei den Ägyptern bedeutete? Und vor allem, dass du sie als letzten Hoffnungsschimmer der Menschheit betrachtest? Nur weil man Symbole verwendet, die Allgemeingut geworden sind, ist man doch nicht oberflächlich und banal.«

      »Aber mit diesen Symbolen kannst du doch nicht Neues sagen, Frank. Du kannst dich nur wiederholen, du bist gefangen in der Bezugswelt dieser Metaphern. Du erzeugst keinen neuen Gedanken, keine neuen Zusammenhänge, nur endlose Wiederholungen. Klar, dann gucken die Leute hin, sehen, was sie kennen, glauben zu verstehen und Schluss, oder? Reflexion? Fehlanzeige.«

      Frank deutete auf ein Bild, das er Karl zuliebe noch nicht abgehangen hatte.

      »Weißt du, Karl, mit deinen Bildern habe ich dasselbe Problem wie mit deiner ganzen Philosophie. Ich weiß immer noch nicht, an was du wirklich glaubst. Gibt es irgendeinen Philosophen, irgendeinen Denker, irgendeine Theorie, der du mal zustimmen würdest? Du sagst zwar immer: Seht euch meine Werke an, und ihr seht, was ich denke, aber du packst in deine Theorie genauso wie in deine Bilder ständig alles, aber auch wirklich alles rein, und es tut mir leid, es geht mir so oft genau wie meinen Besuchern, die ratlos vor diesem Bild stehen, die mit den dahingekritzelten, zerstückelten Kantzitaten nichts anfangen können. Dass die Schnitzereien der Maori durchaus was mit unserer westlichen Erkenntnistheorie zu tun haben, kann ich mir ja vielleicht noch intuitiv denken, aber was genau? Keine Ahnung, bin eben kein Experte für indigene Kunst, und was das Ganze mit dem brennenden World Trade Center zu tun hat, weiß ich auch nicht so recht.«

      »Meine Bilder sind eben komplex.«

      Bleibt eigentlich nur Walter, ein früherer Nachbar und Hobbymusiker, mit dem er zahllose Konzerte besucht und Nächte durchgemacht hatte, der zwar mittlerweile völlig verspießert ist, ihm aber aus alter Verbundenheit die Treue hält. Zwar betrachtet er Karl, wie ihm durchaus bewusst ist, als eine Art moralisches Fossil, nimmt ihn auch nicht mehr sonderlich ernst, wirft ihm aber nicht ständig seine Lebensweise vor, sondern hilft ihm gelegentlich aus finanziellen Notlagen.

      Die anderen haben ihn längst abgeschrieben, besser gesagt, er hat alles dafür getan, dass sie ihm aus dem Weg gehen und seine Gesellschaft als eher unangenehm empfinden. Smalltalk ist mit Karl unmöglich, weil er jedwede Bemerkung, so banal und alltäglich sie sein mag, zu einem weltbewegenden Beispiel für was auch immer macht. Eine harmlose Bemerkung über die herrlich wärmende Frühlingssonne regt ihn an zu Reflexionen über Klimaerwärmung und Hautkrebs, ein dahingesagtes Kompliment über den Kaffee löst ernsthafte Ermahnungen aus, sich Gedanken zu machen über ausbeuterische Strukturen des Welthandels und auch fair trade einer kritischen Analyse zu unterziehen. Und die Erwähnung des Papstbesuches führt ohne weitere Umschweife zu einem für die meisten wenig erbaulichen Vortrag über Kierkegaards transzendente Existenz und die Kreuzigung des Verstandes.

      Er ist nun mal ein messerscharfer Analytiker und in einem Ausmaß gebildet, das zu seinem größten Bedauern selten seinesgleichen findet. Zudem, wenn er etwas seziert, bleibt von dem, was andere als schön, beglückend, erstrebenswert empfinden, nicht mehr übrig als geschredderte Träume, als in hässliche Einzelteile zerlegte Luftschlösser. Und, wenn er richtig in Form ist, ein Schlachtfeld dahingemetzelter Illusionen.

      Für einen Grantler halten sie ihn, dabei geht es ihm doch nur um eine bessere Version des Homo sapiens, um eine sozialere, friedlichere Welt, und so betrachtet er sich als im Grunde seines Herzens ausgemachten Menschenfreund. Es dauert jedoch eine geraume Zeit, bis es den Leuten auffällt. Die meisten halten nicht so lange durch.

      Julia liegt unschlüssig auf dem Sofa herum. Einfach so herumhängen, macht sie ohnehin schon nervös, und dann sind da noch immer die Nachwirkungen. Ihr Gehirn arbeitet in Zeitlupe. Im Sparmodus. Immer schön ein Gedanke nach dem anderen. Sie stellt sich noch einmal unter die Dusche, schließt die Augen und lässt heißes Wasser minutenlang an sich herunterlaufen.

      Es fühlt sich gut an. Sehr gut. Sie streichelt ihre Haut, ihre Brüste, ihren Schritt. Seit drei Wochen läuft ihr kein passender Mann über den Weg. Zu lange für ihren Geschmack. Sie hätte gern einen, jetzt, hier, unter der Dusche.

      Julia mag Sex. Wenn ihr danach ist, und das ist oft der Fall. Und sie liebt alle Spielarten. Sie hat nichts gegen Blümchensex, aber mit dem Richtigen darf es auch wild und heftig zugehen.

      Sie weiß, was sie will und was nicht. Ihr Problem ist eher, dass sie danach die Lust an den Typen verliert und allein sein will; dass ihr das übliche post-koitale Gesülze auf die Nerven geht.

      Julia stand auf und ging ins Bad. An der Tür drehte sie sich um. Er lag erschöpft auf dem noch erhitzten Laken. Sie betrachtete ihn und lächelte.

      »Du hast einen schönen Schwanz.« Dann schloss sie die Tür.

      Unnötig, sein Hochgefühl zu beschreiben – ebenso wenig den umso heftigeren Absturz, als sie kurz danach immer noch orgasmisch schön wieder erschien und ihm kurz und knapp beschied, er könne jetzt gehen.

      Er war sprachlos. Als sie ihm seine Hose zuwarf und wortlos in der Küche verschwand, hatte er wohl verstanden und verließ ihre Wohnung.

      So ist es ihr am liebsten. Leider glauben die meisten Männer, nur, weil sie es geschafft haben, eine Frau zum Orgasmus zu bringen, müsse sie ihnen nun verliebt zu Füßen liegen. Manche sind selbst dann noch von ihrer Unwiderstehlichkeit und Einmaligkeit überzeugt, wenn das Ganze ein verkrampfter Flop oder ein kurzes Abrubbeln, ein freudloser Kaninchenfick war.

      Am erbärmlichsten findet sie die ihrer Erfahrung nach viel zu zahlreiche Spezies Männchen, die permanent aufgebaut und gelobt werden muss, aber sie hat einfach keine Lust auf diesen verbalen Oralsex, dieses Schwanzpinseln. Sie will Sex, möglichst guten, und wenn es mal wirklich etwas Besonderes ist, dann sagt sie es auch und fertig.

      Aber dann liegen sie da und warten, während ihnen die Frage der Fragen auf der Zunge oder, besser gesagt, auf der Eichel brennt, und wenn sie dann allerdings auch noch direkt fragen, wie sie waren – wie dämlich kann Mann eigentlich sein? –, bekommen sie eine so klare Antwort, dass sie freiwillig auf ein zweites Mal freiweillig verzichten.

      »Übrigens, ich habe nachts das Bett gerne alleine.«

      »Was?«, fragte er überrascht, aber mit dem Versuch eines Lausbubengrinsens. »Soll das heißen, dass du mich


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