Blick ins Kaleidoskop. Wolfgang Mebs

Blick ins Kaleidoskop - Wolfgang Mebs


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– nun leicht verunsichert – »nach diesem herrlichen Abend willst du mich wirklich in meine viel zu weit von dir entfernte Wohnung, in mein kaltes, einsames Bett … «

      »Du wirst die Laken schon warm kriegen.«

      »Och. Und ich dachte, wir sollten das Ganze noch mal wiederholen, findest du nicht?«

      »Wozu?«

      Julias Beziehungen sind von kurzer Dauer. Länger als zwei Jahre hält sie es nie aus.

      Früher fragte sie sich manchmal, ob der Vorwurf ihrer Freundinnen berechtigt ist, sie sei beziehungsunfähig und laufe vor der Verantwortung für einen anderen Menschen davon. Genauso wie vor Kindern. Aber das ist es nicht. Sie verliert einfach das Interesse. »The thrill is gone«, wie Luther Alison singt. Sie verliert buchstäblich die Lust. Irgendwann kehrt die unvermeidliche Routine ein, man kennt sich zu gut. So abwechslungsreich kann kein Sex mit demselben Menschen sein, dass er ihre Sehnsüchte stillen könnte. Und am erregendsten sind für sie immer noch die ersten Male, wenn man sich nicht kennt, sondern erkundet, ihre Körper noch unbekanntes Terrain sind und jede Berührung eine neue Erfahrung ist. Wenn noch nichts selbstverständlich ist.

      Und was die Verantwortung betrifft, so soll sich jeder zunächst einmal um sich selbst kümmern, da hat er Verantwortung genug. Mit sich selbst ins Reine kommen ist für Julia schon schwer genug, ohne auch noch das Leben eines anderen Menschen zu schultern, und eines Mannes schon mal gar nicht. Sie ist bereit zu geben, viel zu geben. Wenn Freunde oder Freundinnen Hilfe brauchen, wenn es sich eben machen lässt, solange sie das selbst entscheiden kann, aber Ansprüche zu erheben auf Zuwendung, auf Kümmern, auf seelische Unterstützung, Hausarbeit, Geld, Karriere, allein weil man eine Weile einen Teil des Lebens miteinander verbringt, hält sie für die perfideste Form des Egoismus’. Und wer von seinem Partner ewige Treue verlangt, macht ihn zu seinem Eigentum. Vor allem Sätze wie »Ich brauche dich« oder »Ich kann nicht ohne dich leben« sind bei ihr absolut tödlich.

      »Tut mir leid, Christian, das wirst du aber müssen.«

      »Was? Aber … Wie meinst du das?«

      »Ja, wie wohl? Genau so, wie ich es sage. Ich bin nicht deine Hebamme, nicht deine Mama, nicht deine Krankenschwester und schon gar nicht deine Altenpflegerin.«

      »Aber das habe ich doch nicht gemeint, Julia. Ich meine, … ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals wieder so empfinden werde. So eine Beziehung, so wie wir, das ist so einmalig, so …«

      »Jede Beziehung ist einmalig. Das ist überhaupt nichts Besonderes.«

      »Und wir passen so gut zusammen, wir …«

      »Eine Zeit lang, okay. Bis gerade eben.«

      »Bitte, Julia, das kannst du doch nicht ernst meinen. Du bist einfach die Frau meiner Träume.«

      »Dann bist du gerade aufgewacht.«

      Julia springt auf. Sie muss raus, wenn der Tag beginnen soll, und in ihrem Zustand heißt das, als Erstes Bronx aufzusuchen, um endlich Magen und Hirn funktionstüchtig zu machen.

      Sie greift sich ein paar zufällig herumliegende Kleidungsstücke, wuselt vor dem Spiegel durch ihr kurzgeschnittenes Haar und schleicht die Treppe hinunter und den Bürgersteig entlang.

      Die drei Häuserblocks kommen ihr endlos vor.

      Bronx’ Diner ist meist ihre erste Anlaufstation nach einer Nacht mit zu viel Alkohol. Bronx ist Amerikaner. Am Anfang wollte sie ihm nicht glauben, dass er wirklich so heißt, hielt es für eine Masche, um sich interessant zu machen. Angeblich haben ihn seine Eltern so genannt, weil er in einem Park in der Bronx gezeugt wurde. Er war vor zwanzig Jahren kreuz und quer durch Europa gereist und hatte so ziemlich überall als Koch gearbeitet, bis er sich hier in der Stadt unsterblich verliebte, wie auch in die Stadt selbst. Als sich seine himmlische Liebe dann doch als höchst irdisch erwies und ihn verließ, hatte er eine Zeit lang bei Julia Trost gefunden. Jetzt sind sie gute Freunde, und er ist ihre Rettung, wenn der Kater einfach keine Ruhe gibt.

      Bronx sieht sie hereinkommen und lächelt. Die Ringe unter ihren Augen und ihr leicht gebeugter Gang, die Schultern zusammengezogen, die Hände tief in ihren Jeanstaschen, sagen alles. Er stellt ihr einen Teller mit selbst eingelegtem Hering hin, nach einem Rezept, das er aus Schweden mitgebracht hat, und ein Stück Baguette. Dann mixt er seinen »Tom-is-dead«, eine Mischung aus Rinderbrühe, Tomaten- und Selleriesaft, Tabasco, einem kleinen Schuss Wodka und zerstoßenem Eis.

      Julia geht es sofort besser. Sie lächelt ihn an. Gerade mal ein Meter siebzig, mit einem dreieckigen Oberkörper: breite, muskulöse Schultern und Wespentaille. Er erinnert sie an eine Comicfigur aus der Sammlung ihres Vaters, an Wastl. Sie hat ihm mal ein Bild gezeigt, das er nicht gerade schmeichelhaft fand, aber sie lachten sich beide weg, nachdem sie ihm zwischen die Schenkel gegriffen und gesagt hatte: »Hauptsache hier bist du nicht dreieckig.«

      Bronx betrachtet sie grinsend. »Cooles Outfit.«

      Julia sieht an sich herunter und fragt sich, warum sie diese blauen Pumps trägt – zu der hautengen, aber leider viel zu grünen Jeans, die sie in einem Überschwang an Farbenfreude gekauft und zu entsorgen vergessen hat, und dazu ein dunkelgraues, reichlich verwaschenes T-Shirt der University of California, das ihr um die Hüften schlottert.

      Sie sieht Bronx an, schüttelt leicht den Kopf und hebt entschuldigend die Hände. Mehr fällt ihr dazu nicht ein.

      »Und jetzt? Wie wäre es mit einer Tasse Tee?«, fragt er. »Assam oder Darjeeling?«

      »Egal.«

      »Nicht egal, Honey. Willst du auf die harte Tour wach werden oder auf die elegante?«

      »Gib’s mir«, sagt ihr Kater.

      »Lieber noch einen Tom.«

      Bronx zieht die Augenbrauen hoch. »War es so schlimm?«

      »Schlimmer.«

      10:00 Uhr. Frühstückspause. Peter schiebt die Papiere zusammen und stapelt akkurat seine Akten.

      10:03 Uhr. Peter zögert. Er geht nur ungern in die Kaffeeküche, denn er steht nur dabei und hört zu. Er hätte auch nur selten etwas beizutragen. Er kennt die Serien nicht, die Computerspiele, hat an den Wochenenden nichts Nennenswertes unternommen, und die Namen von Fußballspielern kennt er schon gar nicht. Die Gespräche in der Kaffeeküche laufen ohne ihn ab. Selbst wenn er sich mal zu Wort meldet, werden seine kurzen, knappen Sätze in aller Regel ignoriert. Seine Kollegen reagieren auf seine Versuche, sich bemerkbar zu machen wie Wasserbüffel auf einen Mückenstich.

      Wenn sich Gesprächskreise bilden, dauert es nicht lange, und er wird wie eine amorphe Masse nach außen gedrängt. Ob in der Kantine oder beim Büroausflug, immer findet sich für ihn nur ein Platz am Rand. Und wenn er sich in der Kantine zu jemandem setzt, hat er den Eindruck, die Leute essen sofort schneller.

      Heute aber lässt es sich nicht vermeiden. Herr Mottke hat Geburtstag, da muss man gratulieren. Peter bleibt noch einen Moment sitzen.

      10:05 Uhr. Er erhebt sich widerwillig. Schon auf dem Gang hört er Gelächter. Vor allem Frau Hönnig, die sich trotz ihrer vierzig Jahre immer noch anhört wie ein Schulmädchen. Heftiges Gekicher hinter vorgehaltener Hand. Und natürlich der Reuter, der sie alle übertönt. Laut und brüllend, fast aggressiv, raumgreifend, beherrschend, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Vor allem, wenn er selbst einen Witz macht, und das geschieht eigentlich am laufenden Band. Hält sich für einen begnadeten Komiker. Reuter bevorzugt sexuelle Witze und nutzt jede Gelegenheit für irgendwelche Anzüglichkeiten. Hält sich auch für einen Frauenhelden.

      10:07 Uhr. Als er eintritt, beginnen sie gerade, Happy Birthday zu singen. Dann stoßen sie an. Sekt natürlich, obwohl es so früh ist. Dann Händeschütteln. Auch Peter gratuliert.

      Plötzlich drückt ihm jemand ein Glas in die Hand und lächelt ihn an. Die neue Kollegin. Wie heißt sie doch gleich? Er bedankt sich und überlegt krampfhaft,


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