10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4. divers
Namen streichen. Mister Singleton bewarb sich um die freie Stelle des Butlers, aber er schien zu sehr mit der Vergangenheit verhaftet zu sein.«
»Hab gehört, die weiße Dame ist Ihnen erschienen!«, rief Singleton. »Haben Sie schon mit ihr gesprochen?« Er kicherte.
»Was wissen Sie von der weißen Dame?«, fragte Moore scharf.
»Das würden Sie gerne wissen, hm?« Singleton genoss es offenbar, Moore zu reizen. »Hab so meine Quellen, Moore. Hab gehört, dass Sie die weiße Dame gesehen haben. Kein gutes Zeichen, Moore. Wenn das geschieht, sterben Menschen!«
»Ist das so?«, fragte Moore verärgert. »Das haben Sie sich aber fein ausgedacht!«
Singleton kam zu unserem Tisch und stützte sich mit beiden Händen ab. »Ich habe es erlebt, Moore. Ich erwarte nicht, dass es jemand wie Sie glaubt. Aber ich habe es erlebt! Ich sah die weiße Dame mehrmals und jedes Mal starben Menschen. Zuletzt der Baron!«
»Wieso haben Sie nie zuvor davon gesprochen?«, fragte Moore. Er schien gegen seinen Willen beeindruckt.
»Weil ich nicht will, dass man mich für verrückt hält. Aber nun, da ich weiß, dass sie Ihrer Frau erschienen ist … Menschen sterben, Sie werden es sehen!«
Damit verließ er das Lokal.
Ich schaute ihm nach, nicht wissend, was ich von dieser Sache halten sollte. Hatte sich Singleton die Sache ausgedacht, weil er Moore nicht leiden konnte? Oder stimmte es?
*
»Das ist überaus interessant!«, sagte Holmes, als ich ihm am Nachmittag von der Sache erzählte. »Was haben Sie unternommen?«
»Nichts«, gab ich zu.
»Watson!«, rief er aus und rang mit den Händen. »Haben Sie denn in all den Jahren nichts gelernt, alter Junge? Sie hätten mit anderen Angestellten des Barons sprechen müssen! Wenn stimmt, was Singleton sagt, haben wir es mit einem viel tiefer gehenden Problem zu tun!«
»Nun ja, ich … kam nicht auf diese Idee«, gab ich zu, ein wenig eingeschnappt von seinem harschen Ton. »Hat sich hier etwas ergeben?«
Holmes schüttelte den Kopf. »Ich war einmal auf dem Boden, um das Mehl zu kontrollieren. Noch zeigen sich keine Spuren darin.«
Wir schwiegen sekundenlang und schauten zu Mrs Moore, die im Garten stand und sich um die Rosenhecken kümmerte. Hin und wieder schaute sie hinauf zu dem Dachfenster, schüttelte aber stets den Kopf und wandte sich wieder den Rosen zu.
Wir glaubten schon, dass es ein ruhiger Nachmittag werden würde, als wir plötzlich lautes Geschrei von den Stallungen her hörten.
Wir eilten ebenso dorthin wie Mrs Moore und ihr Gemahl.
Schon auf halbem Weg kam uns der Kutscher entgegen. Er war kalkweiß im Gesicht, schiere Panik blickte uns aus geweiteten Augen entgegen. »Die weiße Dame! Ich habe sie gesehen! Sie stand auf der Scheune. Und der Bursche … Peter … er ist tot!«
»My goodness!«, entfuhr es mir. Mir fiel ein, was Singleton gesagt hatte. Sieht man die weiße Dame, sterben Menschen.
Wir eilten zu den Stallungen und dort, vor einem Gebäude, sahen wir den Toten.
Peter, ein junger Bursche von vielleicht sechzehn Jahren, lag auf dem Boden, die Kehle aufgeschlitzt. Blut bildete eine große Lache um den Körper herum, unter seinem Hals lag ein großes Messer.
Ich beugte mich sofort zu ihm hinab, sah aber, dass dem armen Kerl nicht mehr zu helfen war. Die Klinge hatte seinen Hals von Ader zu Ader aufgetrennt. Er musste rasch das Bewusstsein verloren haben, denn es gab kaum Spuren eines Todeskampfs.
»Ich führte Grey Pride an der Longe, als ich sie auf dem Dach sah«, wisperte der Kutscher, während er kraftlos zu Boden sank und den Blick von der Leiche abwandte. »Ihr Kleid war seltsam grünlich, ihre Haut weiß wie Schnee. Sie stand einfach da! Dann schrie Peter auf, ich schaute hinüber zum Futterdepot, und als ich wieder zu ihr schaute, war sie weg. Ich lief los und fand Peter in seinem Blut.«
»Sonst sahen Sie niemanden?«, versicherte sich Holmes.
»Nein!« Der Kutscher schluckte. »Er muss gestolpert und in das Messer gefallen sein«, wisperte er. »Welch seltsames Schicksal!«
»In der Tat!«, sagte Moore. Er hielt seine schluchzende Frau im Arm. Seinem Blick war zu entnehmen, dass auch er an Singletons Worte dachte.
Holmes wandte sich ab. »Sie sollten die Polizei informieren!«, sagte er zu Moore. »Der Fall nimmt überaus ernste Züge an.«
Wir begleiteten Mrs Moore zum Haus. Sie brauchte Ruhe und die sollte sie auch bekommen. Ich verabreichte ihr etwas zur Beruhigung und versprach, hin und wieder nach ihr zu sehen, ehe sie sich in ihr Zimmer zurückzog.
»Und nun?«, fragte ich meinen Freund, nachdem wir unter uns waren.
»Der Fall ist verworren«, gab Holmes zu. »Ich denke, ich werde heute auswärts essen. Mal sehen, ob ich Ihr Versäumnis nachholen kann. Mister Moore wird sicherlich noch jemanden haben, der eine Kutsche steuern kann!«
*
An jenem Abend sah ich Holmes nicht mehr. Er kam, wie er mir am nächsten Morgen berichtete, erst spät zurück.
Bei dieser Gelegenheit konnte ich ihm auch von den Ereignissen nach seiner Abfahrt berichten.
Die Polizei hatte sich der Leiche des unglücklichen Burschen angenommen und sich auch die Umstände unserer Verwicklungen in diesen Fall haarklein darlegen lassen. Natürlich glaubte auch der ermittelnde Inspector nicht an Geister, ging jedoch davon aus, dass Peter einem Unfall erlegen sei; die Indizien sprächen dafür. Da ich als Arzt nichts anderes hatte sagen können, sah er die Sache vorerst als erledigt an, würde aber ein wachsames Auge auf die Entwicklungen halten.
Holmes zeigte sich mit dem Ergebnis recht zufrieden, ehe er seinerseits berichtete, einige sehr interessante Informationen erhalten zu haben. Er glaube nun zu wissen, woher der Spuk rühre. Nun müsse man ihn nur noch beenden!
Nach dem Frühstück teilten wir uns auf. Während ich zu den Stallungen ging, blieb Holmes in der Nähe des Hauses.
Doch wir mussten bis zum Nachmittag warten, ehe die weiße Dame letztlich in Erscheinung trat. Holmes und ich unternahmen einen Verdauungsspaziergang im Garten, als Mrs Moore plötzlich auf das besagte Fenster deutete. Sie war bleich, ihre Hände zitterten und es war, als würde sich ein Schrei in ihrer Kehle sammeln, ohne aber über ihre Lippen zu entweichen.
Sofort schauten wir empor und sahen eine hell leuchtende Frau, die jedoch nicht aus dem Fenster blickte, sondern sich erstaunt umsah.
»Jetzt haben wir sie!«, rief Holmes und lief los.
Ich folgte ihm, ebenso Mrs Moore.
»Sie haben sie auch gesehen, ja?«, rief die Hausherrin. »Ich bilde es mir nicht ein?«
»Oh nein, wir haben sie gesehen«, bestätigte Holmes. »Und sie sah etwas, das sie verwirrte. Ich denke, das Spiel ist aus!«
Wir erreichten den Dachboden. Holmes stieß die Tür auf, und da – an einer offenen Klappe stand eine uns unbekannte Frau in grün fluoreszierendem Kleid, Gesicht, Arme und Hände mit Theaterschminke geweißt. Sie starrte uns an, einen Ausdruck unergründlichen Zorns und Verzweiflung in den Zügen.
»Mrs Singleton, wohin des Weges?«, rief Holmes zu meinem Erstaunen. »Kommen Sie, kommen Sie nur her. Ihr Mann ist noch dort drinnen?«
Unter Fluchen hörten wir einen Mann zur Klappe kommen und hervortreten. Er starrte uns finster an, die Lippen zu einem boshaften Grinsen verzogen. »So, haben Sie uns doch erwischt!« Er blickte auf den Boden und sah das Mehl. »Clever. Sehr clever!«
»Was in aller Welt …«, rief Moore aus, der hinzugekommen war. »Singleton, Sie? Was hat das zu bedeuten?«
»Oh, ich denke, ich weiß es«, sagte Holmes. »Aber ich möchte der weißen Dame die Chance geben,