10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4. divers
auch ihre dubiosen Einnahmen verloren haben, für das Empire selbst war es jedoch deutlich besser.
Und auch die Eingeborenen in den Kolonien profitierten davon, kamen sie nun doch in den Genuss unserer Freundschaft. Ja, man kann sagen, dass wir so manche Wilden kultivierten!
Hatte sich bei der Company auch einiges verändert, so blieb manches doch noch immer, wie es einst war.
So ließen sie sich nach wie vor nicht gerne in die Bücher schauen!
Der Mitarbeiter, dem ich mein Anliegen vortrug, schaute entsprechend indigniert und machte mich darauf aufmerksam, dass dies vertrauliche Dokumente seien. Zwar konnte ich nicht sehen, warum die Heuer für Kabinenjungen der Geheimhaltung unterlagen, aber es war klar, dass der Mitarbeiter der East India Company nicht mit sich reden lassen wollte.
Fast hätte ich unverrichteter Dinge abziehen müssen, wäre mir nicht das Glück hold gewesen. Dieses betrat in Gestalt des großen, Ehrfurcht gebietenden und ebenso genialen Mycroft Holmes das große Büro, in dem ich vorstellig geworden war.
Nach einer herzlichen Begrüßung, etwas Geplauder und seiner Bemerkung, dass ich wohl mein Glück erneut gefunden habe – ich fragte nicht nach, denn wahrscheinlich war die Antwort ohnehin offensichtlich – fragte er nach dem Grund für meinen Besuch in diesen Räumlichkeiten.
Hatte mich der Mitarbeiter der East India Company zuvor mit unverhohlenem Widerwillen behandelt, so änderte sich dies nun, als Mycoft Holmes für meine Sache eintrat und ihm klarmachte, dass er mir sofort die gewünschten Unterlagen zu besorgen habe!
Während wir warteten, erkundigte ich mich bei Holmes’ Bruder nach dessen Gründen für einen Besuch bei der East India Company und erfuhr, dass auch ihn das Rätsel der ROBERT CLIVE umtrieb. Er habe sich nach Fortschritten erkundigen wollen, sei nun aber beruhigt, da er den Fall in besten Händen wisse. Er selbst könne jedoch nichts zur Auflösung beitragen, da er selbst keine Kenntnisse in dieser Sache besaß.
Ich versprach, ihn bei Gelegenheit im Diogenes Club zu besuchen, dann verabschiedete er sich.
Kurz darauf erhielt ich die gewünschten Listen und machte mich an die Arbeit.
Dank der Gründlichkeit, mit der die Angestellten die Company führten, dauerten meine Recherchen nicht lange. Noch vor dem Dinner hatte ich beisammen, was ich suchte, und kehrte frohen Mutes in die Baker Street zurück.
Holmes, so erfuhr ich, war noch nicht zurückgekehrt. Mrs Hudson drückte mir jedoch ein Telegramm in die Hand, welches kurz vor meiner Rückkehr abgegeben worden sei.
Ich öffnete es und fand eine kurze Anweisung meines Freundes darin.
Treffen Sie mich um neun im Drunken Sailor am Hafen; die Matrosen können Ihnen den Weg weisen. Bringen Sie die Listen der East India Company und Ihren Revolver mit und bedienen Sie sich aus meinem Fundus; Sie dürfen nicht erkannt werden!«
Seufzend informierte ich Mrs Hudson, dass mir keine Zeit für ein gemütliches Dinner bleiben würde. Stattdessen musste ich mich sputen, wollte ich nicht zu spät zu diesem Treffen erscheinen. Holmes mochte den Umgang mit Masken und Schminke gewohnt sein. Für mich stellte eine Verkleidung eine Herausforderung dar, die ich nur mit etwas Zeitaufwand meistern konnte.
*
»Sie sehen gut aus«, sagte Holmes, als ich mich neben ihn an einen Ecktisch gesetzt hatte. Von hier, so bemerkte ich, konnte man den Schankraum im Blick behalten, ohne selbst allzu auffällig zu wirken. »Haben Sie, um was ich Sie gebeten habe?«
Unter dem Tisch reichte ich ihm meine Abschriften. Er überflog sie unauffällig, dann nickte er. »So habe ich mir das gedacht. Nicht mehr lange, und die Falle schnappt zu. Aber seien Sie gewarnt, es wird gefährlich. Die Männer, die wir heute Nacht stellen, haben nichts mehr zu verlieren!«
Eine recht offenherzig gekleidete Kellnerin erschien und stellte ungefragt einen Krug mit Bier vor mich auf den Tisch. Dann hielt sie die Hand auf.
Ich kramte ein paar Münzen hervor und zahlte das Getränk, obwohl ich nicht vorhatte, davon zu trinken. Der Krug war alles andere als sauber und das Bier sah aus, als habe es deutlich bessere Zeiten gesehen.
Holmes schien meine Bedenken zu erahnen, meine Ablehnung jedoch nicht zu teilen. »Trinken Sie! Wir müssen uns ganz normal verhalten. Normal im Sinne der restlichen Gäste!«
Seufzend ergab ich mich meinem Schicksal und nahm einen Schluck. »Das ist schauderhaft, Holmes!«
»Ich weiß!« Er kicherte. »Hab schon drei davon getrunken. Zum Glück ist es dünn, sodass wir den Alkohol nicht merken werden.«
Ich nahm wieder einen Schluck, wischte mir den Schaum von den Lippen und bemühte mich, nicht allzu angewidert zu wirken.
»Da!«, zischte Holmes nach ein paar Minuten, in denen wir schweigend das Treiben beobachtet hatten. »Er geht!«
Ich sah einen Chinesen von etwa zwanzig Jahren aufstehen, ein paar Münzen auf den Tisch legen und dann das Lokal verlassen.
»Ein Stammgast!«, sagte Holmes. »Haben Sie es bemerkt?«
»Nein! Woran denn?«
»Die Kellnerin kennt ihn, sie weiß, dass er bezahlt. Von Ihnen wollte sie das Geld hingegen gleich. Von mir übrigens auch!«
»Verstehe!«, erwiderte ich, zwängte mich zwischen zwei Stühlen hindurch und verließ ebenfalls den Drunken Sailor. Der Chinese ging einige Yards vor uns durch die Dunkelheit. Besonders eilig hatte er es nicht, während er da so die Gasse entlang schlenderte.
»Ist das Charly Singh?«, fragte ich Holmes, als dieser wieder neben mir stand.
»So ist es. Kommen Sie, wir dürfen ihn nicht aus den Augen verlieren! Und schwanken Sie, wir sind nicht mehr nüchtern!«
Wir folgten dem Chinesen mit mehreren Yards Abstand. Hin und wieder drehte er sich zwar um, sah aber nur zwei scheinbar betrunkene, längst aus dem Dienst geschiedene Matrosen, die scheinbar den gleichen Weg hatten.
Nach einer Weile bog Singh in eine Seitengasse ab. Wir ließen ihm etwas Vorsprung, dann schauten wir um die Ecke und sahen gerade noch, dass er ein altes Lagerhaus betrat und die Tür hinter sich schloss.
»Ah, so ist das!« Holmes bedeutete mir, ihm zu folgen.
Wir liefen in die Gasse hinein, öffneten vorsichtig besagte Tür und schauten in die Halle.
Diese war überwiegend leer. Lediglich ein paar Kisten standen links an der Wand. In der Mitte der Halle sahen wir Charly Singh sowie eine Gruppe Matrosen, darunter auch McMillan. Beleuchtet wurde die gesamte Szene durch zehn Öllampen, die an einem Seil über der kleinen Gruppe hingen und so ein helles Licht spendeten.
»Wir haben die Ladung gefunden!«, sagte McMillan. »Das war gute Arbeit. Bis auf das Ende!«
»Notwendig!«, sagte der Chinese. Dann hielt er die Hand auf. »Die Belohnung bitte! 500 Pfund!«
Holmes gab mir ein Zeichen. Ich zog die Pistole und gemeinsam traten wir ins Licht.
»Das Spiel ist aus!«, rief Holmes gebieterisch.
»Wer sind denn Sie«, fragte McMillan erschrocken. Dann kniff er die Augen zusammen. »Sherlock Holmes?«
Mein Freund zog sich den falschen Bart ab. »Gratulation, Sie haben mich erkannt. Und nun – wenn Sie sich bitte ergeben würden! Die Polizei wird in Kürze eintreffen!«
»Sie werden uns hängen!«, rief einer der Matrosen. »Wir sind alle des Todes!«
McMillan schien nicht zu wissen, was er tun sollte. Er hob die Hände, Angstschweiß lief über sein Gesicht.
Charly Singh hingegen hatte keine Lust darauf, sich der britischen Gerichtsbarkeit zu stellen. Er stieß einen Fluch aus, dann lief er los. Dabei stieß er McMillan beiseite und flitzte flink wie ein Wiesel zu einer kleinen Tür am Ende der Halle.
»Ihm nach!«, rief Holmes. »Schießen Sie, wenn es nicht anders geht. Er darf nicht davonkommen!«