10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4. divers

10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4 - divers


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mit rechten Dingen zugegangen wäre!«

      Holmes hob eine Braue. »Sie sprechen von Spuk und Klabautermännern?«

      Der Constable wurde rot. »Ich sage nur, dass es äußerst mysteriös ist, Mister Holmes. Sie werden es bald sehen!«

      *

      Die Szenerie, als wir den Hafen erreichten, hatte etwas Unwirkliches. Die Lampen schwankten im Wind und ließen lange, zuckende Schatten entstehen. Entfernt hörten wir Musik und Lachen aus einem Pub dringen, die Beleuchtung der Schiffe schimmerte fahl und ihr Auf und Ab konnte einen schwindelig werden lassen, wenn man ihm zu lange zuschaute.

      In einiger Entfernung standen ein paar Gefallene und schauten zu uns rüber; sie ahnten, dass sie in dieser Nacht kein Geschäft machen würden. Die Anwesenheit der Polizei hielt die Freier davon ab, ihr Vergnügen zu suchen.

      »My goodness!«, entfuhr es mir, als ich mehrere Särge sah, die jemand ordentlich an der Kaimauer aufgestellt hatte. Nun erst fielen mir auch die Kutschen mehrere Bestatter auf.

      Zwei Fotografen schossen Bilder vom Heck des Schiffs, um das sich offenbar alles drehte, und auch von dessen Galionsfigur; beides war beschädigt worden.

      Ein älterer Journalist lief zwischen den Beamten herum und stellte Fragen, aber niemand schien Lust zu haben, sie zu beantworten.

      Schließlich kam er zu uns, aber Holmes wies ihn ab; wir seien gerade erst angekommen und hätten nicht die leiseste Ahnung, was hier vorgefallen sei!

      Nach wenigen Minuten, die wir für unsere eigenen Beobachtungen nutzten, hörten wir die Stimme von Inspector Simpson.

      Er stand an Deck der ROBERT CLIVE und winkte uns zu. »Mister Holmes! Doktor Watson! Kommen Sie, dann setze ich Sie ins Bild! Wir haben alles unverändert gelassen. Aber ich warne Sie, das wird kein schöner Anblick!«

      Wir folgten seiner Aufforderung, gingen einen Steg hinauf an Bord und blickten uns dort um. Drei Laternen brannten und in deren hellen Schein sahen wir mehrere Leichen auf den Planken liegen.

      Woran sie gestorben waren, konnten wir leicht ausmachen, denn sie lagen in Pfützen aus Blut. Zudem starrte uns einer der Toten aus leeren Augen an, sodass wir die tiefe, klaffende Wunde in seiner Kehle entdecken konnten.

      »Was in aller Welt ist hier passiert?«, fragte ich Simpson, nachdem wir uns an Deck umgeschaut hatten. Holmes und ich zählten fünf tote Matrosen, die allesamt in ihrem Blut lagen und offenbar auf stets die gleiche Weise vom Leben zum Tode befördert worden waren.

      »Das wissen wir noch nicht!«, gab der Inspector zu. »Die ROBERT CLIVE wurde heute im Laufe des Abends erwartet. Als sie in den Hafen einlief, schien noch alles normal zu sein. Dann aber bemerkten die Arbeiter, dass etwas nicht stimmte, denn offenbar stand niemand am Ruder. Das Schiff wurde von der steigenden Flut in das Becken gespült, schlingerte dabei und rammte zwei Schiffe, ehe es an einer Kaimauer stoppte. Sofort gingen Matrosen und Offiziere der BOMBAY an Bord; ein weiteres Schiff der East India Company. Sie fanden die Leichen!«

      Holmes und ich blickten hinüber zu einer kleinen Gruppe Seeleute, die etwas abseits an der Reling standen, die Gesichter auf das Wasser gerichtet.

      »Was ist mit dem Rest der Crew?«, wollte Holmes nach ein paar Sekunden wissen. Der Anblick derart vieler Toter ließ auch ihn nicht unberührt.

      »Sie liegen unter Deck; keiner kam mit dem Leben davon. Selbst den Captain erwischte es, Kapitän Benjamin Nolan! Insgesamt 75 Leichen. Wobei nur jenen an Deck die Kehlen durchgeschnitten wurden, die restlichen starben offenbar an Gift!«

      »Was für eine grausame Tat«, wisperte ich. »Welch ein Teufel kann nur so etwas tun?«

      »Bisher waren die schlimmsten Teufel, die mir in meiner Laufbahn begegneten, allesamt Menschen, mein Freund. Viele von ihnen wirkten so freundlich und umgänglich, dass man das Böse in ihnen übersehen musste. Ohne die Kraft der Beweise wäre ihnen niemals beizukommen gewesen!«

      Simpson nickte, ehe er auf eine Tür deutete, die unter Deck führte. »Wollen wir?«

      Wir folgten dem Mann die Stufen hinab.

      In der Enge der Kabinen, der Kombüse und der Lagerräume setzte sich das Grauen fort. Die meisten Tote lagen in der Messe sowie in den Gängen zwischen den Räumen, aber auch in der Offiziersmesse und auf den Kojen.

      Schließlich betraten wir die Kajüte des Kapitäns. Das Logbuch lag aufgeschlagen auf dem kleinen Schreibtisch, seine Tasche war gepackt.

      Holmes reichte mir das schwere Buch.

      »Erreichen London in wenigen Stunden. Nach dem Abendessen wollten wir anlegen. Die Crew hat sich während der gesamten Fahrt vorbildlich verhalten, auch während des Sturms am dritten Tag unserer Heimfahrt. Keine Disziplinarmaßnahmen, keine Beschwerden. Selbst unser Kabinenjunge fügte sich ein; er wurde zu einem beliebten Mitglied der Crew. Mit den typischen Späßen der Chinesen unterhielt er die Männer. Er war stets bereit, jede Arbeit zu übernehmen. Am Ende der Reise konnten wir ihm das Ruder anvertrauen!«

      Ich legte das Buch beiseite. »Das war der letzte Eintrag!«

      Mein Freund runzelte die Stirn. »Haben wir alle Toten gesehen?«, fragte er Simpson.

      Dieser nickte. »Alle, Mister Holmes.«

      »Ich habe keine Chinesen bemerkt!«

      Simpson neigte den Kopf zur Seite, dann weiteten sich seine Augen. »Henderson!«

      Sein Schrei war derart laut, dass man ihn auch noch im letzten Winkel des Schiffs hatte hören müssen.

      Es dauerte nur ein, zwei Minuten, bis ein junger Mann in einem ähnlichen Anzug wie Simpson die Kajüte des Kapitäns betrat. »Sie haben gerufen, Sir?«

      »Ich möchte, dass Sie jeden Toten persönlich inspizieren. Es scheint, als würde uns ein Chinese fehlen!«

      »Verstanden!« Henderson wandte sich ab und eilte davon.

      »Ihr Assistent?«, fragte ich, während Holmes begann, die Kajüte zu inspizieren.

      »Ein aufgeweckter Bursche. Von seiner Erziehung und seiner Herkunft hätte er nicht das Zeug für Scotland Yard. Aber sein Geschick ...«

      »So?«, wunderte ich mich.

      Simpson nickte. »Ich traf ihn vor ein paar Monaten. Er war frisch bei der Truppe, noch grün hinter den Ohren. Während ich mich so umschaute, begann er plötzlich, laut über die Fakten nachzudenken. Sein Vorgesetzter wollte ihn zurechtweisen, aber ich merkte sofort, dass er recht hatte, und bat ihn, weiterzumachen. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich den Fall dank seiner Hilfe löste. Natürlich sprach ich sofort mit meinen Vorgesetzten und holte ihn zum Yard. Und da ist er nun!«

      Holmes beendete seine kleine Untersuchung. Er hielt ein Spielzeug in Händen. »Offenbar wartet ein Kind auf den Captain!«, sagte er zu Simpson. »Ein Junge, wie ich annehme, um die sieben Jahre!« Er warf einen letzten Blick in die Runde. »Gehen wir an Deck?«

      Die frische Luft tat gut. Erst hier draußen merkten wir, wie stickig es doch unter Deck gewesen war. Zum Glück hatten wir erst Februar; in den Sommermonaten wäre es unmöglich gewesen, die Leichen derart lange liegen zu lassen.

      Ich sah, dass ein Polizeiarzt bei der Arbeit war, grüßte ihn kollegial und folgte dann Holmes zu den Seeleuten der BOMBAY.

      Simpson übernahm die Vorstellung und wir erfuhren, dass Lieutenant Ronald McMillan die Crew führte, die auf der ROBERT CLIVE nach dem Rechten hatte sehen sollen.

      »Was können Sie uns über das Schiff und seine Crew sagen?«, fragte Holmes höflich.

      »Es wurde kurz vor der BOMBAY in Dienst gestellt. Captain Nolan war ein fähiger Mann. Ich diente bei zwei Fahrten unter ihm. Bei ihm gab es keine Disziplinprobleme und keine Ungerechtigkeit. Er forderte seine Männer, belohnte sie aber auch nach geleisteter Arbeit.«

      Holmes nickte; er dachte wohl an den letzten Logbucheintrag. »Was tut ein Kabinenjunge?«, fragte Holmes anschließend.


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