10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4. divers

10 SHERLOCK HOLMES – Die neuen Fälle Box 4 - divers


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Fußbodens habe geknackt; das Wetter würde dem Holz zu schaffen machen.«

      Holmes nickte gedankenverloren. »War dies das letzte Ereignis?«

      »Nein!« Unsere Besucherin seufzte. »Das wäre zu schön gewesen. Aber erst gestern sah ich jene Gestalt wieder. Und nicht nur das – auch mein Sohn sah sie. Mehr noch, er sah sie zuerst! Ich ging mit ihm an der frischen Luft spazieren, als er jemandem im Haus zuwinkte. Ich blickte mich um und da sah ich die Gestalt hinter dem Bodenfenster. Sie winkte meinem Sohn zu, verschwand dann aber.«

      »Ich nehme an, Sie gingen sofort zurück ins Haus?«, fragte Holmes.

      »Auf dem schnellsten Wege. Ich nahm diesmal Conway mit, unseren Butler. Aber wie Sie schon ahnen werden, war der Boden wieder leer!«

      »Und Ihr Mann?«

      »In Leicaster. Als ich ihm davon berichtete, wollte er es wieder abtun, aber mein Sohn bestätigte, dass er die Frau gesehen habe. Nun ist er kaum vier und ich sah Frederic an, was er dachte – der Junge würde nachplappern, was ich sagte. Diesmal aber bestand ich darauf, etwas zu unternehmen. Da ich von Ihnen und Ihren Erfolgen hörte, bestand ich darauf, dass Frederic Sie und niemand anderen aufsuchen solle!«

      »Er sagte zu?«, fragte ich.

      Mrs Moore nickte. »Er versprach, es heute zu erledigen, da er ohnehin in London zu tun habe. Ich stand früh auf, um ihn zu verabschieden. Dabei hörte ich, wie er zu Conway sagte, er würde vor allem Doktor Watson bitten, sich der Sache anzunehmen, denn offenbar sei ich nervlich instabil!« Tränen glitzerten in den Augen der Dame. »Daher musste ich zu Ihnen kommen. Ich bin nicht verrückt!«

      »Diesen Eindruck erwecken Sie auch nicht«, beruhigte Holmes unsere Besucherin. »Beschreiben Sie die Dame, die Sie gesehen haben, bitte!«

      »Sie ist etwa in meinem Alter, ihre Haare, soweit ich es sehen konnte, sind lockig und braun. Zudem trägt sie ein weißes Kleid mit langen Armen und Rüschen an den Bündchen. Oh, und um den Hals trägt sie eine Kette mit Kreuz!«

      »Sie hatten einen guten Blick auf sie?«, versicherte sich Holmes.

      »Einen sehr guten! Das Fenster auf dem Dachboden ist recht groß. Zudem wird es stets sauber gehalten, genau wie alles andere. Eine Gaube beschattet es, sodass auch die Sonne kaum stört.«

      »Das ist ein interessantes, kleines Problem, das sie da haben«, sagte Holmes nach einigen Sekunden des Nachdenkens. »Wir werden den Besuch Ihres Mannes abwarten, aber ich bin mir schon jetzt sicher, dass wir um einen Besuch in Ihrem Haus nicht herumkommen.«

      »Ich wäre erfreut, Sie bei uns begrüßen zu dürfen.« Sie zögerte kurz. »Frederic weiß nicht, dass ich bei Ihnen vorstellig wurde und es wäre besser, wenn er es nicht erführe!«

      »Keine Sorge, wir werden es diskret behandeln«, sagte Holmes. »Eine letzte Frage noch – gibt es irgendwelche Streitigkeiten zwischen Ihnen und Ihrem Mann? Oder fürchten Sie, er könne eine Affäre haben?«

      »Nichts von alledem!«, rief Mrs Moore. »Frederic ist mir zugetan wie eh und je. Wir haben keine Sorgen, Mister Holmes – bis diese eine Sache nun.«

      Holmes nickte und verabschiedete die Dame. Dabei versprach er, sich ihres Falles so bald wie möglich anzunehmen.

      »Nun?«, fragte ich, nachdem wir unter uns waren. »Was meinen Sie?«

      »Noch meine ich nichts«, erwiderte mein Freund lächelnd. »Warten wir ab, was Mister Moore zu sagen hat. Möchten Sie die Zeit nutzen und Ihren täglichen Brief schreiben? Lady Cunningham wird wissen wollen, was zum Frühstück gab.«

      *

      Mister Moore war das Gegenteil von seiner Frau. Dies bemerkten wir schon beim Eintreffen. Er reichte Mrs Hudson seine Karte und wartete geduldig, bis wir ihn hineinbaten.

      Auch dann, mit einem Drink in der Hand, wirkte er ruhig, fast schon amüsiert von der ganzen Angelegenheit.

      Ich wiederhole an dieser Stelle nicht mehr jedes Wort, denn im Grunde bestätigte Mister Moore, was uns seine Gemahlin bereits berichtete. Jedoch ließ er keinen Zweifel daran, dass er ihr kein Wort glaubte. Weder hatte er je eine Frau am Fenster des Dachbodens gesehen, noch besagte Schritte gehört. Zwar gab er zu, dass dies aufgrund seines Aufenthaltsortes zur fraglichen Zeit unmöglich gewesen wäre, doch machte er auch klar, dass keiner den Boden hätte verlassen können, da seine Gemahlin sofort zur Treppe geeilt sei. Und an Gespenster würden kultivierte, aufgeklärte Männer wie wir doch hoffentlich nicht glauben!

      Nachdem er seinen Bericht beendet hatte, wandte er sich an mich und fragte, was ich als erfahrener Arzt von alledem hielt.

      Ich konnte Holmes ansehen, dass er eine ausweichende Antwort erwartete. Eine, die uns einen Besuch in dem Haus ermöglichen würde. Wie ich selbst schien auch mein Freund zu fürchten, dass Mister Moore die Sache ohne eine Untersuchung durch uns abschließen wollte.

      Daher sagte ich, dass solche Wahnvorstellungen viele Ursachen haben könnten. Auf jeden Fall sei es erfolgversprechend, wenn Unbeteiligte dem Patienten vor Augen führten, dass er lediglich Hirngespinsten aufsaß.

      Zu meinem Erstaunen reagierte Moore völlig anders, als erwartet. Er schien froh, dies aus meinem Munde zu hören.

      »Doktor Watson, ich hatte nicht zu hoffen gewagt, dass Sie und ihr berühmter Freund einen Grund sähen, uns zu helfen. Aber nun sagen Sie es selbst – würde es Ihnen etwas ausmachen, zwei oder drei Tage unsere Gäste zu sein und Emilia zu beweisen, dass sie sich unnötige Sorgen macht? Sie können sich frei bewegen und jeden Inch des Speichers unter die Lupe nehmen. Aber befreien Sie uns von der Angst, die meine Frau befallen hat!«

      Holmes sagte unsere Anreise für den kommenden Tag zu und verabschiedete einen überaus dankbaren Mister Moore.

      »Seltsam!«, sagte mein Freund, nachdem unser Besuch gegangen war. »Bisher erschien mir der Fall glasklar. Ihre Aussage war brillant und ich rechnete bereits, nun eine Bestätigung für meinen Verdacht zu erhalten. Aber weit gefehlt – Mister Moore stürzte mich in Zweifel!«

      »Wie das?«, wollte ich wissen.

      »Ich glaubte, Moore selbst stecke hinter allem. Er wolle seine Frau aus noch unbekannten Gründen zum Wahnsinn treiben und habe darum die Erscheinungen arrangiert. Aber seine Einladung und die Zusicherung, alles haarklein untersuchen zu dürfen, passen nicht dazu. Er muss wissen, dass wir nur schwer in die Irre zu führen sind.«

      »Ein Trick?«, mutmaßte ich. »Eine Ablenkung, um uns in Sicherheit zu wiegen?«

      »Höchst unwahrscheinlich!«, widersprach er sofort. »Nein, da geht etwas anderes vor. Ich bin höchst gespannt, was wir finden werden!«

      Er blickte auf die Uhr. »Was halten Sie davon, wenn wir die weiße Dame geistig beiseitelegen und den Abend im Theater verbringen? Hamlet sollte die passende Abwechslung bieten, finden Sie nicht auch? Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage!«

      Ich stimmte meinem Freund unumwunden zu!

      *

      Die Fahrt hinaus zum Wohnsitz der Familie Moore verlief so angenehm, wie eine solche Reise nur sein konnte.

      Wir hatten unsere Fahrt so geplant, dass wir einen köstlichen Lunch im Speisewagen einnehmen konnten, ehe wir in Leicaster eintrafen und dort von einem Landaulet erwartet wurden. (Ein Brougham, dessen Verdeck geöffnet werden kann. In Deutschland auch als »Landauer« bekannt.)

      Da das Wetter in Leicaster sehr viel besser war als in London, hier hatte sich bereits der Frühling mit milden Temperaturen zu Wort gemeldet, von Regen fehlte jede Spur, hatte der Kutscher das Verdeck geöffnet und ermöglichte uns so eine fantastische Fahrt hinaus zum Anwesen der Moores.

      »Arbeiten Sie für die Familie Moore?«, fragte Holmes den Kutscher, nachdem wir über eine breite und gut zu befahrende Straße unserem Ziel entgegenstrebten.

      »So ist es. Seit Mister Moore vor zwei Jahren beschloss, ein kleines Gestüt aufzubauen. Ein feiner Mann, Sir! Früher arbeitete ich für ein Gestüt


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