Drachengabe - Diesig. Torsten W. Burisch

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einem ungesund wirkenden Grau überzogen. Sie standen einfach nur da. Regungslos und mit geschlossenen Augen. Es mussten mindestens sechs sein. Genau konnte man es nicht bestimmen. Sie waren zwar, weil wie an einer Schnur aufgereiht, leicht zu zählen, doch ließ das fehlende Licht die eventuell weiter links und rechts stehenden im Trüben.

      „Sind das Goracks?“, fragte Akinna flüsternd.

      „Nein, nicht wirklich“, gab Dantra als Antwort und ließ ein besorgtes Schlucken hören. Er versuchte, etwas von dem Fliedergeruch, den er verströmte, zu ihnen hinüberzufächeln. Die erhoffte Reaktion blieb aber aus. „Vielleicht können wir heimlich zwischen ihnen hindurchhuschen“, schlug er schließlich vor.

      Akinna nickte und im selben Moment öffneten die schwarzen Gestalten ihre Augen, die kaum weniger grau waren als die Lider, die sie gerade noch bedeckt hatten. Ohne einen weiteren Moment des Zögerns griffen sie an. Dantra wich einem Schwerthieb aus und ließ seine eigene Waffe nach vorne schnellen. Er sah, wie er seinem Gegenüber seine Schwertspitze zwischen die Rippen stieß, aber spüren konnte er nichts. Keinen Widerstand. Kein Verkanten der Klinge an den harten Knochen. Nichts. Er hatte das Gefühl, in den Rauch eines stark qualmenden Feuers gestochen zu haben. Aber das Erschreckendste daran war, dass der Angreifer anscheinend auch nicht mehr gespürt hatte. Kein von Schmerzen verursachtes Zurückweichen. Kein wimmernder Aufschrei. Nicht einmal ein Zucken. Unbeeindruckt davon, dass das Schwert in ihm steckte, schlug er erneut mit dem seinen auf Dantra ein. Ein weiterer Schritt zurück rettete diesen vor dem tödlichen Hieb.

      Er sah kurz zu Akinna, die sich ebenfalls auf dem Rückzug befand und ununterbrochen Pfeile abschoss, die allerdings wirkungslos durch ihre Ziele hindurchflogen und irgendwo im schwachen Licht dahinter verschwanden.

      „Lauf!“, schrie sie.

      Dantra drehte sich um und rannte. Aber wo sollte er hin? Er konnte doch kaum etwas sehen. Nach wenigen Schritten war er wieder an der Rückwand mit der vor langer Zeit verglühten Feuerstelle.

      „Da lang!“, rief Akinna und schob ihn vor sich her.

      In der linken Ecke des Raumes schien eine Tür zu sein. Nachdem sie hindurchgehuscht waren, liefen sie einen kurzen, halbrunden Gang entlang, um durch eine weitere Tür ins Freie zu gelangen. Die Freude darüber währte nicht lange, waren sie doch stattdessen noch tiefer in den Wald hineingeraten.

      „Dein Fliedergeruch scheint bei diesen Dämonen nicht zu funktionieren“, stellte Akinna enttäuscht fest.

      „Sie scheinen Probleme mit ihrem Geruchssinn zu haben“, gab Dantra achselzuckend zurück. „Was machen wir jetzt?“

      „Wir bewegen uns parallel zur Waldgrenze“, erklärte Akinna ihr Vorhaben, „um dann etwas weiter unten einzulenken, damit wir wieder aus dem Wald herauskommen.“

      Sie rannten einen kleinen Pfad entlang, der von Haus zu Haus zu führen schien. Bereits nach dem nächsten Gebäude verließen sie ihn und bewegten sich nun erneut auf die Grenze zu. Jedoch nahmen sie schon nach wenigen Schritten die dunklen Umrisse wahr, die auch hier ein Weiterkommen unmöglich machten.

      „Verflucht“, schimpfte Akinna.

      Sie drehten sich wieder um und mussten mit Entsetzen feststellen, dass sich einige der dunklen Kämpfer hinter ihnen aufgestellt hatten. Ein Fenster in dem Gebäude, an dem sie gerade vorbeigelaufen waren, schien ihr einziger Ausweg zu sein. So schnell es ging, kletterten sie hindurch und durchschritten den Raum. Die Wand, auf die sie trafen, wies keinerlei Möglichkeiten zur weiteren Flucht auf. Dennoch tasteten sie hektisch die kalten Steine ab, wobei sie mehr nach hinten starrten als nach vorn aus Angst vor einem tödlichen Hieb aus der Dunkelheit.

      Dantras Herz raste. Die Panik wuchs. Die Erinnerung an das, was die Goracks mit ihm gemacht hatten, ließ ihn fast wahnsinnig werden. Wenn diese kleinen, unscheinbaren Viecher ihm schon solche Schmerzen zufügen konnten, wie groß würden dann erst die Leiden und Qualen werden, wenn diese schwarzen Gestalten ihn in ihre toten Finger bekämen?

      „Was jetzt?“, schrie er mit panischer, hoher Stimme Akinna an. Noch bevor sie antworten konnte, trat er in ein Loch im Boden und stürzte.

      Akinna schenkte seiner bei diesem Sturz zugezogenen Prellung am Knie keine weitere Beachtung. Stattdessen untersuchte sie die vermeintliche Stolperfalle. „Es muss eine alte Speisekammer sein“, stellte sie fest. Nach einem suchenden Blick durch den Raum zog sie Dantra zu sich. „Ich kann keinen von ihnen sehen. Vielleicht haben sie uns aus den Augen verloren. Wir sollten hier runterklettern und uns verstecken.“ Die Hoffnung, so ihren Häschern zu entkommen, war gering, aber vor der unüberwindbaren Wand stehen zu bleiben, schien noch aussichtsloser.

      Sie waren kaum unten, als sie das Kratzen eines Schwertes an der Öffnung hinter ihnen hörten. Wer diese Wesen auch immer waren, sie wussten genau, wo sie Dantra und Akinna finden konnten. Es schien, als hätten sie geahnt, dass die beiden dort hineinklettern würden, als hätten sie es sogar gewollt. Die Kammer, in der sie nun gefangen schienen wie Ratten in einer Falle, war nach hinten eingestürzt, denn lose Erde häufte sich hier auf. Akinna schlussfolgerte, dass ein Teil der Kammer außerhalb des Hauses liegen musste, sonst wäre es keine Erde, sondern Gestein, das sich hier auftürmen würde.

      Sie kroch an die höchstgelegene Stelle und fing an, nach oben zu graben, während Dantra die Öffnung zum Haus im Auge behielt. „Ich bin durch“, flüsterte sie schließlich und hielt Dantra von oben die Hand hin, um ihn herauszuziehen.

      Obwohl er gerade noch niemanden hinter sich gesehen hatte, packte ihn nun etwas am Fußgelenk und zog ihn zurück. Der Schrecken, der ihn durchfuhr, ließ ihn nahezu in eine Schockstarre verfallen, wenn Akinna ihn nicht von oben angeschrien hätte, sich zusammenzureißen. Panisch riss er sich aus der Umklammerung los und stürzte so schnell nach oben, dass er Akinna dabei umriss. Auf der Erde sitzend, nach Luft schnappend und mit weit aufgerissenen Augen in Richtung Erdloch starrend, fragte er schon fast wimmernd: „Wohin jetzt?“

      Sie befanden sich zwischen zwei Gebäuden und wieder waren beide Wege, die von dort wegführten, von ihren Verfolgern versperrt.

      Akinna zog ihn auf die Beine. „Da lang.“

      Erneut blieb ihnen wieder nur eine Tür zur Flucht. Aber kaum waren sie hindurch, bemerkten sie, dass sie wieder im Haus des Baumeisters gelandet waren. Allerdings mit einem erheblichen Unterschied. Vor dem Kamin stand eine weitere Gestalt mit dem Rücken zu ihnen, allerdings wesentlich kleiner als diejenigen, die hinter ihnen her waren. Und vor allem heller. Aber nicht einfach nur heller. Von ihr schien ein Licht auszugehen, als wäre sie selbst eine Lichtquelle. Der Anblick war so grotesk, so unwirklich, so unendlich fehl an diesem beklemmenden Platz, dass sie beide ihre Verfolger und die damit drohende Gefahr völlig vergaßen und nur noch gebannt auf die kleine Gestalt starrten. Sie sahen zu, wie sie mit ihrer schmalen Hand in das von Akinna bereits durchsuchte und anschließend unverschlossen gelassene Versteck griff. Zu ihrem Erstaunen zog sie etwas golden Glänzendes heraus. Dann stellte sie sich wieder aufrecht hin und drehte sich langsam zu ihnen um.

      *

      Kapitel 4

      Ein Kind, ein Mädchen mit langen, glatten blonden Haaren und einem engelsgleichen Gesicht, verziert mit zwei großen ozeanblauen Augen, stand vor ihnen. Es war gekleidet in ein schlichtes weißes Rüschenkleid. Mit einem unschuldigen, fast schon um Vergebung bittenden Blick sah die Kleine sie an. Mit einem zögerlichen, herzzerreißenden Lächeln schien sie um Anerkennung oder zumindest um ein liebes Wort zu bitten. Aber weder Dantra noch Akinna konnte etwas sagen. Die Mensch gewordene Unschuld stand in einem so unbegreiflichen Gegensatz zu diesem blutrünstigen Ort, dass sie nichts anderes als staunen konnten.

      Das Mädchen hockte sich hin, legte den nun eindeutig zu erkennenden Dolch vor sich auf den Boden und stupste ihn an, sodass er sich wie ein Kreisel um sich selbst drehte. Leise, aber dennoch gut zu verstehen, begann die Kleine zu singen, wobei die Melodie Dantra an ein Lied erinnerte, das seine jüngeren Mitschülerinnen immer angestimmt hatten, wenn sie im Innenhof der Klosteranlage Seilspringen spielten.

      „Der


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