Auf keinen Fall wir. Iris W. Maron
besser als etwa Klos zu putzen. Sven aber lässt sich nicht anmerken, ob er die Frage ähnlich sinnlos findet wie ich.
»Ich denke, das ist ein guter Einblick in die Arbeit an der Uni«, erwidert er charmant. »Irgendwann muss ich ja entscheiden, ob ich eventuell weitermachen und promovieren möchte. Und die Entscheidung kann ich sicher besser treffen, wenn ich mehr darüber weiß, wie Forschung konkret aussieht.«
»Haben Sie denn vor zu promovieren?«, frage ich.
»Ich sage ja, ich weiß es noch nicht«, antwortet Sven und legt ein ganz kleines bisschen den Kopf schief. »Aber ja, ich könnte mir das schon vorstellen.«
»Na, mal sehen«, meine ich. »Welche Schwerpunkte setzen Sie denn im Studium? In welche Richtung wollen Sie mit Ihrer Masterarbeit gehen? Wissen Sie das schon?«
Jetzt wird es grundlegend. Die erste Studentin habe ich mit dieser Frage ihrer Dämlichkeit überführt. Sven ist leider nicht dämlich, aber das habe ich ja in meiner Lehrveranstaltung schon festgestellt. Er beherrscht die Grundlagen des Fachs wirklich und hat sich intensiv damit befasst. Das merkt man. Und er hat tatsächlich deutliche Interessenschwerpunkte, von denen er uns jetzt mit einem Enthusiasmus erzählt, der nicht zu seiner maulfaulen Art von vorhin passt.
Er hat, als das noch ging, an einer Grabung in der Osttürkei teilgenommen, die ihn sehr beeindruckt hat. Das ist absolut nachvollziehbar. Dort finden sich spannende Spuren der Sesshaftwerdung des Menschen, aber auch Kultstätten, die zuvor von nomadischen Völkern gebaut und in regelmäßigen Abständen aufgesucht worden sind.
Methodisch scheint Sven eine Leidenschaft für nicht-invasive Techniken zu entwickeln. Für meine Methodik also. Jetzt fühle ich mich wieder gestalkt. Vielleicht hatte er das Interesse aber auch schon früher und macht meine Lehrveranstaltung deswegen. Oder ich habe sein Interesse geweckt, weil ich eben ein fantastischer Lehrer bin. Schwer zu sagen.
»Das würde natürlich ausgezeichnet zu unseren eigenen Schwerpunkten passen«, meint Doris, als Sven seine Ausführungen beendet hat, und fragt prompt: »Welche Lehrveranstaltungen besuchen Sie denn dieses Semester?«
Sven zählt einige Kurse auf. Nicht alle davon sind von unserem Institut, anscheinend will er sich interdisziplinär orientieren. Sehr vernünftig. Meine Lehrveranstaltung hebt er sich zum Schluss auf. Doris sieht irritiert zu mir – sie fand schon bei der ersten Kandidatin, dass ich hätte erwähnen sollen, dass ich sie kenne. Wie während des ersten Vorstellungsgesprächs nicke ich auch jetzt nur bestätigend.
»Sehr vielseitig«, sagt Doris anerkennend. »Aber auch ein ganz schön großes Pensum.«
»Ja, aber ich schaffe das. Ich will das Studium zügig abschließen. Natürlich auch gut, aber trödeln will ich wirklich nicht.«
Da kommt er aber etwas spät drauf, wenn er schon 25 ist. Der Kommentar liegt mir auf der Zunge, aber ich verkneife ihn mir gerade noch. Doris geht auch nicht auf sein langes Studium ein, obwohl sie sich doch etwas Ähnliches denken muss, und nickt nur.
»Und für den Job haben Sie trotzdem genug Zeit?«, fragt sie als Nächstes.
»Ja, auf jeden Fall. Das Lernen kann ich ja flexibel einteilen.«
»Das, wofür wir Sie brauchen werden, überwiegend auch. Wir richten uns da nach Ihrem Stundenplan«, erklärt Doris. Sven hat zwar nicht nach seinen Aufgaben gefragt, aber die beiden anderen vor ihm waren da sehr neugierig. Wahrscheinlich erklärt Doris es deswegen gleich. »Wirklich feste Termine gibt es in der Regel nur, wenn wir Ihre Unterstützung benötigen, wenn wir Tagungen oder Workshops veranstalten. Nächste Woche findet ein Gastvortrag statt, bei dem wir Ihre Hilfe brauchen könnten. Das ist natürlich sehr knapp, aber der Arbeitsvertrag sollte mit dem 15. da sein.«
»Klar, super. Wer hält den Vortrag denn?«, fragt Sven nach.
»Gustav Leitmeier.«
»Wow!«
Richtige Reaktion. Gustav Leitmeier ist einer der ganz Großen. Die anderen beiden kannten ihn nicht. Auch akzeptiert hätte ich Was, der lebt noch?. Das war tatsächlich meine erste Reaktion, als Ruth uns angekündigt hat, dass Leitmeier einen Vortrag halten wird.
Doris nickt und fährt fort: »Ihre Hauptaufgabe wird es aber sein, Herrn Baumgarten und mich bei der Auswertung von Daten zu unterstützen.«
»Klingt super«, erwidert Sven und vielleicht bilde ich es mir ja ein, aber mir kommt vor, er sieht mich dabei einen Moment zu lange an.
»Wie sieht es denn mit Ihren Computerkenntnissen aus? Für die Stelle müssen Sie mit einer komplexen Software umgehen«, will ich wissen, bevor Doris ihn entlassen kann. Ich glaube zumindest, dass sie das will. Besser, ich nehme ihn noch ins Kreuzverhör. Irgendetwas Dummes wird er schon noch von sich geben. Dann haben wir etwas, das gegen ihn spricht. Abgesehen davon, dass er mich stalkt und dass ich ihn gerne über meinen Schreibtisch legen und ihm die Klamotten vom Leib... Oh Gott. Nicht daran denken.
»Das ist kein Problem, etwas Ähnliches habe ich schon für meine Bachelorarbeit gemacht.«
»Und wie würden Sie Ihre Arbeitsweise beschreiben?«, frage ich.
»Hm... strukturiert, denke ich.«
»Denken Sie?«, frage ich mit hochgezogener Augenbraue.
»Ich weiß es.« Sven erwidert meinen Blick fest.
»Können Sie das genauer ausführen?«, hake ich nach. Ich klinge wohl ziemlich harsch und streng, denn ich fange mir einen mahnenden Blick von Doris ein, den ich mit einem charmanten Lächeln erwidere. Ich glaube, sie rollt ein ganz kleines bisschen mit den Augen, aber sie hat sich unter Kontrolle und will sich Sven gegenüber nicht anmerken lassen, dass sie gerade ganz massiv genervt von mir ist.
»Na ja, ich bin jetzt nicht so gut im Multitasking«, sagt Sven und lächelt. Das findet ein Teil von mir wirklich entwaffnend niedlich, ein anderer findet es einfach nur dämlich, dass er seine Schwächen so ausstellt. »Deswegen erledige ich, was zu erledigen ist, nacheinander, aber ziemlich effizient, den–«
Sven räuspert sich. Vermutlich schluckt er das »denke ich«, das ihm gerade auf der Zunge lag, noch rechtzeitig runter. Ich lächle spöttisch, doch er lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Wenn etwas zu erledigen ist, mache ich das sofort. Und gründlich. Ich bin wirklich motiviert und Sie werden sehen, dass ich Sie nicht enttäuschen werde.«
»Abgesehen von der mangelnden Fähigkeit zum Multitasking, was haben Sie denn sonst noch für Schwächen, von denen wir wissen sollten?«
Sven stockt einen Moment, dann blitzt etwas in seinen Augen auf. Er lehnt sich ganz leicht vor.
»Vielleicht bin ich manchmal ein kleines bisschen zu gutgläubig.«
Svens Stimme ist sachlich, doch der Ausdruck in seinen Augen bringt mich zurück zu dieser Nacht in Köln. Zurück zu dem Moment, in dem ich ihm erzählt habe, ich wäre Pilot, und er es mir geglaubt hat. Unweigerlich muss ich schlucken. Es ist wirklich keine gute Idee, dass er bei uns anfängt. Wir sollten den Spießer nehmen, damit ich Sven nicht ständig vor meiner Nase habe. Denn sonst werde ich ihn irgendwann über meinen Schreibtisch legen. Oder er mich.
»Das ist in der Tat nicht gut«, erwidere ich kühl. Kühler, als ich mich fühle. »Kritisches Denken ist wichtig in der Forschung.«
»Ich arbeite an mir«, meint Sven und nickt ernst, doch um seine Mundwinkel zuckt es wieder.
»Das klingt alles sehr gut«, schaltet sich Doris ein. Ihr ist nicht anzumerken, ob sie erkennt, dass zwischen uns etwas merkwürdig ist. »Ich denke, wir können das so belassen. Haben Sie denn noch Fragen an uns?«
»Nein«, meint er.
Natürlich nicht.
»Gut, dann melden wir uns bei Ihnen, sobald wir uns entschieden haben«, erklärt Doris.
»Ja, danke. Ich hoffe, es klappt«, meint Sven, sieht dabei aber mich an und nicht Doris.
Ich runzle die Stirn.