Auf keinen Fall wir. Iris W. Maron

Auf keinen Fall wir - Iris W. Maron


Скачать книгу
sieht natürlich auch um ein Vielfaches besser aus. Und, was noch schlimmer ist, er hat eine Ausstrahlung, die mich unweigerlich anzieht. Nach wie vor. Das macht das Unterrichten anstrengender, als es normalerweise ist.

      Wenn ich zu Sven sehe, schreibt er meistens eifrig mit und sieht nicht von seinem Laptop auf. Bisweilen aber begegnen sich unsere Blicke doch. Wenn er sich meldet, um etwas zu sagen, natürlich. Und manchmal, selten, ertappe ich ihn dabei, dass er mich ansieht. Er schaut dann immer schnell wieder weg – und ich ärgere mich, weil ich der Versuchung, ihn anzusehen, nicht widerstehen konnte.

      Außerhalb des Unterrichts gelingt es mir dafür gut, nicht an dieses leidige Thema zu denken. Das hängt vermutlich auch damit zusammen, dass die Arbeit momentan vor allem eines ist: stressig.

      Ich weiß nicht, woran es liegt, aber zu Beginn des Semesters ist immer am meisten zu tun. Alle sind von einer hysterischen Betriebsamkeit erfüllt, die unweigerlich ansteckend ist. Neben den normalen Verwaltungsangelegenheiten und der Unterrichtsvorbereitung fordern mich mein Vortrag für die Tagung in London sowie die Auswertung meiner Daten voll. Und dann ist da noch Doris, die es sich in den Kopf gesetzt hat, die vakante Hilfskraft-Stelle in einem groß angelegten, viel zu aufwendigen Verfahren zu besetzen.

      »Hast du dir die Bewerbungen angesehen?«, fragt sie dann auch prompt, als ich am späten Vormittag das Büro betrete. Dass es nicht so wichtig ist, wann man auftaucht, ist einer der Vorteile des Jobs.

      »Natürlich«, lüge ich.

      »Wen findest du denn am besten?«

      »Die klingen doch alle recht ähnlich«, meine ich schulterzuckend.

      »Ja, es ist bestimmt gut, dass wir sie heute persönlich sprechen«, stimmt Doris zu.

      Wenn es nach mir ginge, würden wir gar keine Vorstellungsgespräche führen, sondern einfach eine Person bestimmen und einstellen. Aber Doris ist da, wie immer, überpingelig. Sie will allen eine faire Chance geben – außerdem kann sie sich einfach nicht entscheiden. Deswegen hat sie für heute tatsächlich Vorstellungsgespräche mit drei Kandidaten angesetzt, die jede Sekunde beginnen sollten. Sie hat darauf bestanden, dass ich auch dabei bin. Ich habe gerade noch Zeit, mir einen Kaffee zu nehmen, dann geht es auch schon los.

      Das erste Vorstellungsgespräch läuft furchtbar. Die Studentin ist dumm wie Brot und hässlich wie die Nacht. Letzteres ist nicht so schlimm für den Job, Ersteres ist fatal. Sie war gestern schon in meiner Sprechstunde, weil sie meine Lehrveranstaltung besucht und nächste Woche ihr Referat hat. Da hat sie schon nicht sonderlich geglänzt. Heute zerreiße ich sie quasi in der Luft.

      Das zweite Gespräch ist etwas besser, der Student ist nicht dumm, aber er ist der langweiligste Spießer, der mir je untergekommen ist. Wenn der Typ auch nur fünf Minuten in meiner Nähe ist, bekomme ich einen akuten Anfall von Narkolepsie und penne ein.

      Schließlich öffnet sich die Türe und herein kommt der letzte Kandidat.

      Es ist Sven. Und er sieht fantastisch aus. Anders kann man das nicht sagen. Er hat seine Haare heute zu einem kleinen Zöpfchen zusammengebunden, das bei anderen vielleicht lächerlich aussähe, bei ihm aber nicht. Sein Undercut kommt dadurch deutlich zur Geltung und sein maskuliner Kiefer wird noch zusätzlich betont. Er hat sich länger nicht rasiert und der leichte Bart steht ihm wirklich gut. Meine Lippen prickeln ein wenig, als ich daran denke, wie es sich anfühlen muss, ihn zu küssen.

      Was für ein unglaublich unpassender Gedanke.

      Für einen Moment starre ich Sven an wie eine Erscheinung. Er stockt sichtlich, als er mich sieht. Doch dann ist da auch schon Doris, die auf ihn zugeht, um ihn freundlich zu begrüßen.

      »Hallo, Herr Koch«, sagt sie und reicht ihm die Hand, die er sofort mit einem Lächeln und einem »Hallo« ergreift.

      Ich starre Sven immer noch an. Scheiße, ich hätte mir die Bewerbungsunterlagen wirklich ansehen sollen. Es kann doch nicht sein, dass Sven mich andauernd so überrumpelt. Außerdem frage ich mich, ob er wegen eines weiteren bizarren Zufalls hier ist oder ob er mich stalkt. Langsam fühle ich mich nämlich wirklich verfolgt.

      Fassade wahren, mahne ich mich. Immer die Fassade wahren. Ich sollte mir nun wirklich nicht anmerken lassen, dass mich diese Situation irritiert. Und noch viel weniger, dass ich Sven nach wie vor anziehend finde. Automatisch fahre ich mein Visier runter. Ein Relikt aus Kindertagen: Wenn ich überfordert bin, stelle ich mir immer vor, ich bin ein Ritter, der das Visier seines Helms herunterlässt. So kann mir niemand mehr anmerken, was in mir vorgeht.

      Ich gebe mir einen Ruck, erhebe mich und mache einen Schritt auf Sven zu, der sich mir in diesem Moment zuwendet.

      »Hallo, Herr Baumgarten«, grüßt er und reicht mir nun seinerseits die Hand.

      »Hallo, Herr Koch«, sage ich so neutral wie möglich.

      Wir schütteln uns nur ganz kurz die Hand. Sven hat einen festen Händedruck. Unweigerlich wird mir bewusst, dass wir uns gerade zum ersten Mal seit Köln berühren.

      Doris fordert Sven auf, die Jacke abzulegen und sich zu setzen, was dieser auch sofort tut. Er trägt ein ziemlich enges graues Shirt, unter dem sich seine Muskeln abzeichnen. Oh Mann. Das ist doch viel zu sexy für die Uni.

      Doris und ich nehmen ebenfalls wieder Platz. Den Gesprächseinstieg überlasse ich wohlweislich Doris. Das habe ich bei den anderen Kandidaten zum Glück auch schon getan. Könnte eventuell damit zu tun haben, dass sie deren Lebensläufe auswendig gelernt zu haben scheint, während ich sie mir nicht einmal angesehen habe.

      »Erzählen Sie uns ein bisschen von sich«, fordert Doris Sven auf.

      »Was soll ich denn erzählen?«, fragt Sven zurück.

      »Wie alt sind Sie?«, erkundige ich mich, weil ich mich das schon die ganze Zeit frage.

      »25.«

      Hui, jünger, als ich ihn ursprünglich geschätzt habe. Ich nicke und Doris sieht mich irritiert an. Offenbar findet sie meine Frage dämlich. Nicht zu Unrecht. Das steht natürlich in seinem Lebenslauf.

      »Sie haben Ihren Bachelor in Köln gemacht?«, fragt Doris als Nächstes. Anders als meine Frage ist ihre rhetorisch. Sie weiß das natürlich.

      »Ja, ich bin aus Köln und fürs Studium dageblieben.«

      Svens Augen zucken kurz zu mir. Meine Miene ist ausdruckslos.

      »Und den Master machen Sie jetzt hier«, stellt Doris fest.

      »Genau. Ich wollte für den Master woandershin und das Institut hier hat einen guten Ruf.«

      »Sie sind jetzt das zweite Semester hier, richtig?«, fragt sie weiter.

      »Ja.«

      Das erklärt, wieso er mir bisher noch nicht aufgefallen ist. Den Großteil des vergangenen Semesters war ich in den USA. Ich fange wieder einen tadelnden Blick von Doris auf. Vermutlich findet sie es unhöflich, dass ich mich nicht an diesem völlig sinnfreien Vorstellungsgespräch beteilige. Ich erwidere ihren Blick mit einem ostentativ unechten Lächeln, dann wende ich mich, wie von ihr erwartet, Sven zu und rücke meine Brille zurecht.

      »Planen Sie noch ein Auslandssemester?«, frage ich aus meinem vorigen Gedanken heraus.

      »Ich bin noch nicht sicher. Aber ja, ich würde schon gerne noch woandershin.«

      »Wohin denn?«, hake ich nach.

      »Weiß ich noch nicht.«

      Wieder antwortet Sven denkbar knapp. Er ist so extrem ruhig und zurückgenommen. Viel ruhiger, als er es in Köln war. Unsicher wirkt er dabei aber eigentlich nicht. Er ist keiner von den Menschen, die es nicht ertragen, mit anderen Augenkontakt zu haben – das weiß ich ja schon. Auch jetzt sieht er uns direkt an – überwiegend Doris, nur manchmal zuckt sein Blick kurz zu mir. Er sitzt aufrecht in seinem Stuhl, die Hände liegen locker in seinem Schoß – sittsam, schießt mir durch den Kopf, und ich frage mich, ob das schon als unpassender Gedankengang zählt.

      »Warum haben Sie sich denn für diese Stelle


Скачать книгу