Das Haus hinter den Magnolienblüten. Pam Hillman
ließ die Kette zu Boden fallen. „Ich werde nicht lange genug hier sein, um die Schmiede zum Laufen zu bringen.“
„Nicht hier sein?“ Überrascht riss Connor den Kopf herum und starrte Quinn an. Die Verwirrung war in seiner Stimme deutlich zu hören. Dann blickte er zu Isabella, zu Kiera und anschließen zu den Männern, die sich nach der Aufregung längst wieder an die Arbeit gemacht hatten. Anschließend meinte er zu seinem Bruder: „Ich verstehe. Möchtest du unter vier Augen mit mir darüber sprechen?“
Quinn richtete sich auf. Die Zeit schien gekommen zu sein, endlich ein paar Dinge klarzustellen. Ansonsten konnte es passieren, dass sich die Verbitterung, die sich in all den Jahren in ihm eingenistet hatte, festsetzen und ihn nie wieder loslassen würde.
Isabella beobachtete beide Männer sehr genau und reichte ihnen dann den vollen Korb. „Nun gut. Dann könnt ihr wenigstens währenddessen essen.“
Daraufhin hakte sie sich bei Kiera unter und die beiden Frauen ließen Quinn und Connor zurück. Mit einem Kopfnicken wies Connor zur Holzhütte. Ungesehen von den anderen Arbeitern ließen sie sich auf der Veranda nieder. Keiner von ihnen rührte das Essen im Korb an.
„Was hat das alles zu bedeuten?“ Stirnrunzelnd saß Connor seinem Bruder gegenüber. So wie er Quinn anblickte, erinnerte er ihn an Pa. Wenn er ärgerlich gewesen war, hatte er genau so ein Gesicht gezogen. „Wenn es immer noch wegen dieses Mädchens ist – ich habe meinen Teil dazu gesagt“, sagte Connor.
„Das hat nichts mit Kiera und ihren Schwestern zu tun.“
Zumindest nicht sein Wunsch nach Freiheit und Ungebundenheit. Andererseits hatte alles mit den Mädchen zu tun, weil er durch sie erneut spürte, wie sehr er es leid war, ständig Verantwortung für andere übernehmen und dafür seine eigenen Träume hintenanstellen zu müssen.
„Aber weshalb dann? Ich dachte …“ Die Unsicherheit ließ Connors Stimme versagen und er atmete tief ein und wieder aus, bevor er fortfuhr: „Für eine sehr lange Zeit wollte ich nichts mehr, als endlich wieder zurück nach Irland zu gelangen, um mit meiner Familie vereint zu sein. Nachdem Ma und Pa gestorben waren und es in Irland nichts mehr gab, was uns dort hätte halten können, habe ich davon geträumt, dich und die anderen hierher nach Amerika zu holen. Es fühlt sich an, als würdest du dir wünschen, niemals hergekommen zu sein.“
Sanft wehte die morgendliche Brise den Klang von der anderen Seite der Hütte zu ihnen hinüber. Die beiden Männer vernahmen das ferne Geräusch einer Säge, die rhythmisch durch das Holz gezogen wurde, und auch das Brüllen der Viehtreiber, die sich irgendwo auf ihrem Weg durch den Wald befanden. Ansonsten herrschte auf der Veranda Grabesstille.
„Es stimmt nicht, dass ich nicht kommen wollte“, sagte Quinn. In Gedanken ergänzte er: Es ist nur so, dass ich nicht bleiben möchte. Laut fragte er seinen Bruder: „Sag mir eins, Connor. Wirst du Rory und Patrick genauso im Stich lassen, wie du uns alle vor neun Jahren im Stich gelassen hast? Falls das der Fall ist, lass es mich bald wissen, damit ich mit den Jungs so schnell wie möglich von hier verschwinden und den Staub dieses Ortes von unseren Füßen wischen kann.“
In Connors Wange hüpfte ein Muskel auf und ab. „Wie kommst du auf die Idee, ich würde sie im Stich lassen?“
„Du hast es schon einmal getan. Du bist gegangen. Einfach so gegangen.“ Quinn nahm seine rechte Hand hoch und schnippte mit den Fingern. „Und plötzlich warst du weg. Für mehr als ein Jahr haben wir nicht gewusst, ob du tot oder lebendig bist.“
Mit Blick auf die aufgehende Sonne, die das Land in warmes Licht tauchte, saß Connor da. Schließlich sah er wieder zu Quinn: „Es war nicht mein Entschluss, Irland zu verlassen …“
„Es war aber dein Entschluss, dich mit Charlotte Young zu amüsieren, so sieht’s aus“, gab Quinn zurück.
„Eine Entscheidung, die mich in all den Jahren verfolgt hat. Und jetzt, wo ihre Schwestern unter meinem Dach leben, hat sie mich erneut eingeholt.“ Ernst blickte Connor seinem Bruder in die Augen: „Aber am schlimmsten ist, dass ich in all den Jahren nicht für dich und die Jungs da gewesen bin. Kannst du mir das jemals vergeben?“
Am liebsten wollte Quinn Ja sagen, aber …
Um sich zu beruhigen, atmete er einmal tief ein und wandte sich dann in Richtung des Waldes. Dann drehte Quinn sich wieder zu seinem Bruder und sagte: „Weißt du, ich habe dich dafür gehasst, was du getan hast. Dass du mich einfach zurückgelassen und von mir erwartet hast, auf Ma und Pa und die Kleinen aufzupassen. Aber ich kann diesen Hass jetzt nicht mehr spüren. Ich will einfach nur wissen, ob du bereit dazu bist, endlich die Verantwortung für deine kleinen Brüder zu übernehmen. Rory ist jetzt ungefähr so alt, wie ich es war, als du gegangen bist. Patrick ist noch ein Kind.“
„Du würdest deine Brüder zurücklassen?“ Obwohl Connor leise sprach, konnte Quinn den Schmerz in seiner Stimme deutlich hören.
So gesehen klang Quinns Wunsch tatsächlich selbstbezogen und egoistisch; aber er hatte sich so lange angebunden gefühlt, dass er es nicht mehr aushalten konnte. Verbissen erwiderte er: „Alles, was ich je kennengelernt habe, war die Arbeit in den Minen und schließlich in der Schmiede. Nachts, wenn ich im Bett lag, habe ich mir immer ausgemalt, was Caleb und du erleben und welche Orte ihr bereisen würdet. Ich wollte das auch. Ich will es jetzt.“
„Caleb war schon immer ein Herumtreiber.“
„Du nicht, oder was?“, grummelte Quinn.
„Nie ist mir der Gedanke gekommen, Irland zu verlassen, bis ich dazu gezwungen wurde“, gab Connor zurück.
Stille trat zwischen die Brüder und Quinn widerstrebte es, sie zu unterbrechen. Sie hatten alles gesagt, was gesagt werden musste, oder nicht? Nach einem sehr langen Moment war Connor es, der der Stille ein Ende machte. Nichts von dem Zorn oder dem Feuereifer war in seiner Stimme zurückgeblieben, als er sagte: „Ich werde dich nicht aufhalten. Patrick und Rory sind hier zu Hause und ich bin an der Reihe, auf sie achtzugeben.“
Die Worte beflügelten Quinn und dennoch spürte er Panik in sich aufsteigen. Er würde Patrick zurücklassen können, oder? Rory war längst alt genug, um auf sich selbst aufzupassen. Wann immer er wollte, würde er seine eigenen Entscheidungen treffen können. Aber Patrick war noch ein Kind. Er konnte sich nicht einmal mehr an seine Mutter erinnern. Für Patrick war Quinn der einzige Elternteil, den er je gekannt hatte.
„Ich kann mir vorstellen, dass du ein paar Pennys gebrauchen könntest, bevor du losziehst, was? Außer dir weiß niemand mit der Schmiede-Esse umzugehen und ich könnte deine Hilfe wirklich gut gebrauchen“, fuhr Connor fort.
Quinn biss die Zähne zusammen. Es ärgerte ihn, dass sein Bruder ihn schon wieder in irgendwelche Verpflichtungen hineinzudrängen versuchte. In einem Punkt hatte Connor jedoch recht: Nicht eine einzige Münze konnte Quinn bis jetzt sein Eigen nennen.
„Bis zum Frühling“, nickte er deshalb Connor zu.
„Und wenn du gehst …“ Eine Hand legte sich auf Quinns rechte Schulter und er drehte sich zu seinem Bruder um. „… sollst du wissen, dass du hier zu jeder Zeit willkommen bist und immer zurückkommen kannst.“
Die Berührung seines Bruders verwirrte Quinn und seine Muskeln verhärteten sich. So schnell würde er die in den letzten neun Jahren aufgestaute Verbitterung wohl nicht vergessen können. Knapp erwiderte er: „Ich werde daran denken.“
Kurzerhand griff Connor nach dem Korb, der immer noch unangetastet neben ihnen stand. Seinem Bruder reichte er eines der verpackten Brote. Beim Geruch nach gebratenem Speck lief ihm das Wasser im Mund zusammen. „Jetzt sollten wir wenigstens tun, was meine Frau gesagt hat, und essen. Wenn ich nämlich mit dem vollen Korb wieder zurückkomme, köpft Isabella mich.“
Auch Quinn biss in das mitgebrachte Frühstück, doch Käse und Speck schmeckten für ihn in diesem Moment nur wie Sägemehl.
So greifbar wie heute war die lang ersehnte Freiheit noch nie für ihn gewesen. Doch jetzt wusste er nicht genau, ob er seine Pläne wirklich umsetzen könnte.