Damals war Heimat. Marie-Theres Arnbom
wir Dich mit dem Carmen hier bedenken!
Zwar wie’s behaupten böse Mäuler:
»Der Frauen zwei thun selten gut!«
Doch ohne Sorg! Und guten Muth!
Die »Hausfrau« stehet fest wie Marmelpfeiler.
1879 jährt sich der Hochzeitstag von Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth zum 25. Mal – für Victor Léon Anlass genug, das Dramatische Festgedicht Mein Österreich! auf Seite 1 der Hausfrau zu veröffentlichen. Die auftretenden Personen: Austria samt ihren Töchtern Hungaria, Bohemia, Istria und Bosnia. Ein sehr melodramatischer Verlauf: Bosnia sucht Hilfe, Istria antwortet: »Du strupp’ges garst’ges Ding! Wer bist Du?« In blumiger Gedichtform schildert Bosnia die Situation in ihrem Heimatland, wo »kein hurtig’ Dampfroß durch die Ebene jagt« und Moschee und Kirche einander feindlich sind: »Verarmt ist Alles; ohne Kraft und Muth.« Selbstverständlich verspricht Austria Hilfe und will »in Dein Land den Segen der Cultur, der Bildung bringen« und Bosnia zur Tochter wählen. In all ihren Unterschieden »in Sprach’, in Sitte und Gewohnheit« vereint Austrias Töchter ein Band: »Ein ganzes sind wir, wir sind Austria.« Doch die Dramatik steigert sich noch mehr, denn das wahre Band hat auch einen Namen: »Der Kaiser, Ritter ohne Tadel, ohne Fehl, die Kaiserin Öst’reichs schönstes Kronjuwel.« Und nun steuert das Gedicht seinem Höhepunkt zu, die Regieanweisung verheißt Folgendes: »Der hintere Vorhang öffnet sich; in bengalischer Beleuchtung erblickt man die bekränzten Büsten des Kaisers und der Kaiserin. Melodram: die Volkshymne.« Ein verheißungsvoller Ausblick auf Victor Léons kommende Operettenkarriere …
»Der Redner nur, der unter seines Gleichen der beste ist«: Rabbiner Jakob
Jakob Hirschfeld wurde 1817 in Schoßberg geboren, das ungarisch Sasvár und slowakisch Šaštín heißt, damals in Ungarn und heute in der Slowakei gelegen. In Schoßberg, von Wien in weniger als zwei Stunden zu erreichen, erinnert noch die einstige Synagoge an das jüdische Leben. In dieser Synagoge wurden Jakob und seine Brüder beschnitten, feierten sie ihre Bar-Mizwa, ihre Schwestern heirateten hier – dies war ihre Heimat. Heute ist die Synagoge eine Ruine, einzig der Plafond lässt an manchen Stellen noch den alten Glanz erahnen.
Die traurigen Reste der Synagoge in Schoßberg. Nur mehr der Plafond lässt die vergangene Schönheit erkennen.
Jakobs Vater Emanuel Isak stammte aus Mähren und wirkte als Rabbinats-Assessor, ein altmodischer Ausdruck für Rabbiner-Gehilfe, in Schoßberg. Dreizehn Kinder setzte er gemeinsam mit seiner Frau Marie Landesmann in die Welt, zwei Söhne wurden Rabbiner3, zwei Ärzte. Jakob versucht sich zunächst auch in der Medizin, wendet sich aber doch der Theologie zu und wird in Wien promoviert. Vorerst schlägt er eine fast konventionell wirkende Berufslaufbahn ein: Drei Jahre lang ist er Rabbiner im ungarischen Szenitz (heute Senica), die nächsten fünf Jahre Rabbiner im rund 400 km südlich gelegenen Fünfkirchen (ungarisch Pécs) sowie Oberrabbiner des dazugehörigen Komitats Baranya im südlichsten Teil Ungarns. Die Geburtsorte seiner Kinder aus der Ehe mit Pauline Ausch spiegeln die Stationen seiner Karriere wider: Victor wird wie erwähnt am 4. Jänner 1858 in Szenitz, Adele am 23. März 1862 in Fünfkirchen, Eugenie nur neuneinhalb Monate später, am 1. Jänner 1863, ebenfalls in Fünfkirchen und Leo sechs Jahre später, am 14. Februar 1869, in Augsburg geboren. Dorthin ist Jakob Hirschfeld 1863 als Rabbiner berufen worden; ein nicht ganz einfacher Posten, muss der Rabbiner doch zwischen verschiedenen Gruppierungen vermitteln: Einerseits darf er nicht zu konservativ agieren und gegen Händler opponieren, die am Sabbat auf der Augsburger Dult, dem zweimal jährlich stattfindenden Jahrmarkt, verkaufen wollen, andererseits aber auch nicht zu liberal sein, um die Traditionen zu bewahren.4
Ein Inserat in der Zeitschrift Der Israelit, Centralorgan für das orthodoxe Judentum vom 10. Februar 1864 macht auf eines von wohl vielen ähnlichen Angeboten aufmerksam: »Eltern, die ihre Töchter an trefflichen Lehranstalten eine höhere Ausbildung angedeihen zu lassen und Augsburg wegen seines gesunden Klima’s vorzuziehen geneigt sein dürften, erbietet sich eine Dame von höherem Stande und höherer Bildung Mädchen nach zurückgelegtem 7. Lebensjahre in ihrem Hause unter annehmbaren Bedingungen aufzunehmen. Nebst häuslichem Komfort und der Beaufsichtigung und Leitung in Arbeiten der Instituts-Aufgaben von Seite der Dame wird auf wahre Herzens- und Geistesbildung hingestrebt werden. Der Religionsunterricht wird so wie die öffentlichen Religionsschulen des Distrikts unter Überwachung und Leitung Seiner Hochwürden des Herrn Distrikts-Rabbiners Dr. Hirschfeld stehen; auch kann gegen besondere Vergütung Klavier- und Singunterricht ertheilt werden. Reflektionen belieben sich zu wenden an Seine Hochwürden Herrn Distrikts-Rabbiner Dr. Hirschfeld in Augsburg.«
Sieben Jahre später urteilt der Israelit nicht mehr so gütig über den Rabbiner Hirschfeld – seine liberalen Ansichten verunsichern die Vertreter der Orthodoxie und verändern die Berichterstattung über seine Tätigkeit radikal.
In den vielen Artikeln, die über Jakob und seinen Bruder Moriz publiziert werden, fällt beider enorme rhetorische Begabung auf. So hält Jakob auf den verstorbenen Rabbiner Ullmann aus Makó eine »Rede mit der ihm eigenen Meisterschaft, die den Namen eines hervorragenden Redners, den er hier zu Land hat, vollkommen rechtfertigt. Diese Feuerrede zündete in allen Gemüthern.«5 Tags darauf beim Sabbat-Gottesdienst geht es gleich weiter: »Diese Predigt, in Bau und Form so kunstgerecht, durch blühende Diktion so ausgezeichnet, daß sie auf der Kanzel einer Residenz hätte gerechte Bewunderung erregen müssen, war zugleich von jenem glühend jüdischen Geiste getragen, der das Herz des Weltlings wie des Altfrommen tief ergreifen muß.« Sein fünfjähriger Sohn Victor lauscht sicher mit offenen Ohren – wer in einem Haus mit solcher Liebe zur Sprache aufwächst, von dem kann Großes erwartet werden.
Bereits Jakob und Moriz waren in einem wortgewandten und gebildeten Hause aufgewachsen: In einem Nachruf auf ihre Mutter Marie, der »Gattin des wegen seiner rabbinischen Gelehrsamkeit wie Frömmigkeit in weitern Kreisen rühmlich bekannten Herrn E. I. Hirschfeld«6, werden die Verdienste ihres Ehemanns gewürdigt: »Herr Hirschfeld, von rabbinischen Autoritäten seit langem für das Rabbinat autorisiert, fungierte bereits vor 20 Jahren bei Sitzungen des collegii rabbinici in Wien als Rabbinats-Assessor unentgeltlich.« Aus diesem Grunde oder weil »der edle Greis vor etwa einem halben Jahrhunderte Vorsteher der frommen Brüderschaft in Wien war«, erhält er ein Ehrengrab. Doch eigentlich gilt der Nachruf seiner Frau Marie und ihrem Trauergottesdienst, den natürlich ihr Sohn Jakob abhält. »In einer längeren ergreifenden Rede, die die Versammlung in steter Rührung hielt und oft zu Thränen brachte, lernte dieselbe in der Betrauerten eine jener durch Geist und Gemüth sich auszeichnenden frommen Frauen in Israel kennen, deren Reihe mit jedem Tage mehr sich lichtet und verdient sie wol in dieser Rücksicht ihres eigenen Werthes, als etwa auch in Rücksicht dessen, daß sie ihrer Glaubensgenossenschaft 4 Söhne gegeben, die sämmtlich der Intelligenz – 2 der theologischen, 2 der medicinischen – angehören, daß ihr der Nachruf werde: Friede ihrer Asche!«
An all seinen Wirkungsstätten setzt sich Jakob Hirschfeld für Bildungsinstitute und die Errichtung von Schulen ein. Die Allgemeine Zeitung des Judentums berichtigt am 20. Juli 1857 die Darstellung, dass in Ungarn die Schulen »kaum entstanden, wieder zu Grabe gehen«. Dagegen spricht sich Leopold Silberstern als erster Lehrer der Hauptschule aus und berichtet über die Zustände in Szenitz: Dort »besteht nicht nur eine Schule, und zwar eine vierclassige Hauptschule unter der ebenso umfassend einsichtigen, als eifrigst thätigen Leitung des Herrn Rabb. Dr. Hirschfeld, der ihr als Director vorsteht, sondern sie befindet sich in so blühendem Zustande, und genießt einen solchen Ruf der Vorzüglichkeit, daß selbst Eltern aus fern gelegenen Gemeinden mit großen Opfern ihre Kinder in die hiesige Schule bringen.« Und weiter heißt es: »Und in der That, wo sollte eine Schule bestehen und blühen, wenn nicht in einer Gemeinde, wo Herr Dr. Hirschfeld an der Spitze steht? Wir sagen dies nicht in Bezug auf seine Eigenschaften als