Damals war Heimat. Marie-Theres Arnbom

Damals war Heimat - Marie-Theres Arnbom


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wird Jakob Hirschfeld nach Fünfkirchen berufen, »er entspricht vollkommen allen von ihm gehegten Erwartungen«, meint der Hauptschullehrer Joachim Gutmann für Ben Chananja im 10. Heft 1858. »Sein Feuereifer für das Judenthum gewinnt ihm alle Herzen. Sein moralischer Einfluß auf die Schule ist sehr wohlthätig, sein Umgang mit den Lehrern sehr liebreich. ›Ich will nur der erste Kollege der Lehrer sein!‹«

      Aus Fünfkirchen sind zwei von Jakob Hirschfeld verfasste Nekrologe erhalten: Einer ist in der Zeitschrift Ben Chananja erschienen, der andere als kleines Büchlein. Ersterer gilt Jakob Stern und weist auf eine Besonderheit hin: Im Normalfall erhalten nur reiche Wohltäter einer Gemeinde die Auszeichnung eines ausführlichen Nachrufs, nicht jedoch Jakob Stern, der kein reicher Mann war, sich jedoch durch ideellen Reichtum große Verdienste erworben hatte, denn »sein ganzes Wesen war Wohlwollen. Er athmete Liebe zu Gott und zu seinen Nebenmenschen.«8 Und einem weiteren Mitglied der Fünfkirchener Gemeinde widmet Jakob Hirschfeld sein Andenken: Ludwig Engel, siebzehnjährig gestorben, entstammt der berühmten Familie Engel-Janosi.

      Jakob Hirschfeld setzt sich auch in seiner Gemeinde in Fünfkirchen stark für die Einrichtung einer eigenen Rabbinerschule ein und unterstützt die Ausbildung »bedürftiger Handlungs- und Handwerkslehrlinge«, wie die Zeitung Die Neuzeit am 11. April 1862 berichtet. Die bereits existierende jüdische Volksschule genügt nicht, Hirschfeld propagiert eine Gemeinde-Hauptschule, die einen »Unter- und Oberbau« erhält: der Unterbau als »Kinderbewahranstalt« für die Kleinen, der Oberbau als »Fortbildungsanstalt« zur Ablegung der Matura. Der Weg an die Universitäten wird geebnet. Bildung gilt als wichtigstes Instrument des sozialen Aufstieges, Jakob Hirschfeld vertritt diese Position nicht nur für seine Gemeinde, sondern auch bei der Erziehung seiner eigenen Kinder.

      1863 wechselt er nach Augsburg und hält am 13. April, »vor seinem Austritte aus dem Vaterlande«, noch eine begeistert aufgenommene Predigt in Altofen. Eine Dankesadresse bleibt als Erinnerung: »Schmerzlich ist es, daß das Vaterland Sie verliert, aber der Baum, in fremdes Erdreich verpflanzt, um dort seine goldenen Früchte zu tragen, muß dem heimatlichen Boden Ehre verschaffen«, schreibt Die Neuzeit am 8. Mai 1863 in blumigen Worten.

      Jakob hält 1865 einen Trauergottesdienst für seinen Vater, »den gelehrten Theologen Herrn Emanuel Isak Hirschfeld«, ab. »Die außerordentlich große Zuhörerschaft, während eines siebenviertelstündigen Vortrages, durch seine glänzende und tief ergreifende Beredsamkeit war wahrhaft gefesselt und erschüttert«, berichtet die Allgemeine Zeitung des Judentums am 29. März 1865. »Siebenviertelstündig« – also 1 ¾ Stunden – fesselt Hirschfeld die Trauergemeinde mit dem ihm eigenen enormen dramaturgischen Talent. Leider ist auch diese wie die meisten seiner Reden (oder Predigten) nicht erhalten.

      Im selben Jahr wird in Augsburg eine neue Synagoge eingeweiht, mit der ersten Orgel in einer bayerischen Synagoge. Ein Zeichen großer Liberalität, denn die Traditionalisten sprechen sich vehement dagegen aus. In Augsburg dürfte die Gemeinde jedoch tatsächlich sehr liberal eingestellt gewesen sein, denn, wie es 1917 in einer Festschrift zur Einweihung der neuen Synagoge heißt, die Konservativen fügten sich »wenn auch nicht wortlos, so doch friedlich in die neue Ordnung«. Leider ist Jakob Hirschfelds Eröffnungsrede ebenfalls nicht erhalten, sie muss fulminant gewesen sein. Vielleicht sogar ein wenig zu fulminant, wie die enthusiastischen Reaktionen der Anwesenden vermuten lassen. Die Zeitschrift Ben Chananja schreibt am 19. April 1865: »Es hat die Rede die Feierlichkeit fast weniger gehoben, als eigentlich verdunkelt, indem Alles unter dem überwältigenden Eindrucke, den die Rede hervorgerufen, nur mit dieser und ihrem durch Sprache, Gedanken wie Geistesblitze glänzenden Gehalte sich beschäftigt und man beinahe die Veranlassung aus dem Auge verliert.«

      Die Allgemeine Zeitung des Judentums berichtet ebenfalls über dieses Ereignis, das in Anwesenheit von Vertretern der christlichen Konfessionen, Repräsentanten der königlichen Regierung, des Stadtmagistrats, der Stadtbehörden und des Offizierscorps begangen wurde. Eine beeindruckende Aufzählung. Von mehreren Seiten wurde gefordert, diese Rede doch drucken zu lassen, und »mehrere christliche Bürger erklärten im Vorhinein, die Einen 50, die Andern 100 Exemplare der gedruckten Rede zur Verbreitung derselben zu nehmen«.9

      Zwei Reden sind jedoch erhalten und geben Einblick in Jakobs unglaubliches Talent, nicht nur sprachlich die Zuhörer zu fesseln, sondern den Text dramaturgisch perfekt aufzubauen, wie einen Theatermonolog. Auf temperamentvolle Ausbrüche folgen elegische Teile, die Abfolge bannt die Gemeinde und lässt sie die Aufmerksamkeit nie verlieren. Eine dieser erhaltenen Reden ist die auf den Tod König Maximilians II. von Bayern vom 14. März 1864 und zeigt eine weitere Facette: Bescheidenheit ist Jakob Hirschfelds Sache nicht. (Auch diese Charaktereigenschaft zeigt sich bei seinem Sohn Victor.) Am Beginn heißt es: »Eine Trauerrede soll ich halten auf König Maximilian II. von Bayern! Wer vermöchte einem so erhabenen Vorwurf würdig zu entsprechen? Daran sollte sich nur Einer wagen. Der Redner nur, der unter seines Gleichen der beste ist. Denn der König, dem die Rede gilt – o der war unter Seines Gleichen – der Beste!« Nun wartet der Leser auf die Abschwächung, dass Jakob Hirschfeld sich selbst eben doch nicht als den Besten ansieht – aber auf den 25 Seiten der Rede wird diese doch recht anmaßende Selbsteinschätzung niemals in Zweifel gezogen.

      1868 tritt in Bayern ein neues Wehrgesetz in Kraft, in dessen Vorfeld heftige Diskussionen geführt werden, denn Maturanten sollten eine Sonderstellung erhalten, ähnlich wie in Österreich. Doch um Rabbiner zu werden, war die Matura nicht Voraussetzung – um diesen Missstand zu beheben, hält Jakob Hirschfeld ein leidenschaftliches Plädoyer und nutzt die Gelegenheit, dieses so brennende Thema breiter zu diskutieren, nicht ohne das adressierte Gremium mit dem ihm eigenen Selbstbewusstsein darauf hinzuweisen, »daß meine Wenigkeit es war, welche durch schriftliche und mündliche Anregung und energische Betreibung, den Beschluß des hohen Abgeordnetenhauses herbei führte, daß Rabinatskandidaten ein Gymnasialabsolutorium haben müssen. Ich werde im Verlaufe dieses die Gelegenheit haben auf das Detail zurückzukommen und erwähne dies hier vorläufig nur darum, um die Freiheit dieser Zeilen zu begründen.«

      Zwei Gruppierungen stehen einander gegenüber: »Die eine erklärt das Gymnasialabsolutorium für einen Rabinatscandidaten für unerlässlich, die andere für unzulässig.« Und nun folgt eine fast schon als genial zu bezeichnende Argumentationskette, denn Hirschfeld vergleicht die Rabbinatsausbildung mit dem Realgymnasium. Da wie dort vereinen sich die humanistischen Bereiche des Gymnasiums mit den spezifisch notwendigen Fächern – und daraus folgt, dass Rabbinatskandidaten das Realgymnasium besuchen, von den technischen Fächern aber suspendiert werden sollten, um Zeit für ihre Studien zu haben. Und es wäre nicht Hirschfeld, hätte er nicht einen fixfertigen Lehrplan in der Tasche: Technisches Zeichen und Religionsunterricht sollten ausgenommen werden, nicht jedoch Englisch und Französisch, »denn die Kenntniß dieser modernen Sprachen steht in mancherlei förderlicher Beziehung zur Bildung eines Rabbiners, er soll auch die lernen«. Was für eine weitblickende Auffassung. Auch sechs Wochenstunden Integral- und Differential-Rechnungen stünden zur Disposition, was jedoch die Bedeutung der einfachen Mathematik nicht schmälern sollte. Dafür holt er einen der großen Philosophen zu Hilfe: »Die Kenntniß der Mathematik ist für die Bildung des menschlichen Geistes hoch wichtig. Und wie einst Plato an die Thüre seines Lehrsaales geschrieben:hier dürfen nur die Mathematisch Gebildeten eintreten, so stehen diese Worte noch immer und für alle Zeiten geschrieben an der Pforte des Tempels höherer menschlicher Intelligenz.« Doch sei die höhere Mathematik sehr berufsspezifisch und für einen Rabbiner nicht unbedingt Voraussetzung.

      Die Hauptfrage jedoch lautet: Kann ein Wehrgesetz einen neuen Lehrplan festlegen? Natürlich nicht, wenn es aber auf bestimmte Bildungsvoraussetzungen aufbaut, müssen diese zuerst modifiziert werden: »Die gesunde Vernunft ist es, die sich dagegen sträubt, in einem Wehrgesetze en passant über eine Studienfrage zu entscheiden, u. zwar über eine Studienfrage, die für die Betreffenden als eine moralische Lebensfrage erscheint.«10 Eine moralische Lebensfrage auch für Jakob Hirschfeld.

      1869 findet in Leipzig die erste israelische Synode statt, bei der zwei Welten aufeinanderprallen: Orthodoxie und Reformjudentum. Einer der Hauptkonflikte


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