Gespräch unter zwei Augen. Werner Schneyder

Gespräch unter zwei Augen - Werner Schneyder


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heißt »verschuldet«? Die wollten mich haben.

      Aber nein. Die haben angerufen und gesagt, sie hätten im Vorjahr eine »Fledermaus« produziert und da wäre der Darsteller des Frosch – ein sehr renommierter Schauspieler übrigens – ein bisschen abgestunken, weil der Text so schwach war. Und sie wollten von dir einen neuen Text.

      Ja. Und?

      Und du hast dann gesagt: Wenn ich schon einen Text für den Frosch schreibe, dann möchte ich ihn auch selber spielen.

      Von der Idee waren die ganz begeistert.

      Sie wollten nur das Problem gelöst wissen.

      Kann sein. Ich war damals auf Kabarett-Tournee. Ich habe zugesagt und gebeten, mir ein Video der Vorstellung nach Wien zu schicken, damit ich, wenn ich in ein paar Tagen nach Hause komme, meine Texte unter Wahrung der Stellungen und Stichworte für die Partner schreiben kann.

      Die haben das Video geschickt.

      Mit dem Ergebnis, dass meine Frau mich angerufen hat und mir sagte: »Da spielst du nicht mit.«

      Das hast du nicht ernst genommen.

      Natürlich nicht. Ich habe mir erzählen lassen, warum sie die Produktion so schauerlich findet und dann gesagt, ich werde mir das anschauen und selbst urteilen.

      Du hast dir viele blutige Nasen geholt in deinem Leben, weil du Warnungen nicht geglaubt hast.

      Musst du immer so grundsätzlich werden? Zum Kotzen! Ich gebe zu, ich habe dann einen Fehler gemacht.

      Du hast dir das in der Tat armselige Video angesehen und zu deiner Frau gesagt: »Schatzi, das ist eine Probe! Die sind eine Probe mitgefahren! Das ist nicht die Vorstellung!« Du hast ihr auch genau erklärt, woran man das erkennt.

      Es war die Vorstellung. Eine Wiederaufnahme auf einer sehr schönen Freiluftbühne. Eine grottenschlechte Produktion. Bei jedem Gang vom Hotel zum Schlossberg habe ich mich geniert.

      Das reicht nicht. Du hast dir gewünscht, dass die Vorstellung wegen einer Feuer- und anderen Katastrophe abgesagt wird.

      Ja. Das hat mein Verhältnis zu meiner Geburtsstadt nicht intensiviert.

      Man kann sich Geburtsstädte nicht aussuchen.

      Eltern übrigens auch nicht. Eltern im Sinne von Zeugen und Gebären.

      Du meinst, wegen der Gene.

      Natürlich. Wie kommt man dazu, sich ein Leben lang mit Eigenschaften, Anlagen, Defekten herumzuschlagen, die man geerbt hat.

      Ich widerspreche nicht. Es ist von der Schöpfung so vorgesehen, aber unzumutbar.

      Im Moment arbeitet man ja mit großen Erfolgen daran, dass sich die Eltern ihre Kinder in der Retorte zusammenstellen können. Umgekehrt wäre das sinnvoller.

      Aber bis dahin ist noch ein weiter Weg. Wir waren bei Klagenfurt.

      Ich liebe diese Stadt.

      Vielleicht auch deshalb, weil wir nicht direkt in der Stadt gewohnt haben, am Rand, vor waldreichen Hügeln.

      Ja, wir haben auf die Stadt hinuntergeschaut. Nicht so sehr in ihr gewohnt. Die Straßenbahnstation, von der aus der Volksschüler drei Minuten nach Hause hatte, war eine Endstation.

      Endstationen haben etwas Magisches. Man kommt an.

      Wir wohnten leicht erhöht im zweiten Stock einer Villa.

      Die hieltest du damals für schön.

      Heute noch, wenn ich mir ansehe, was sie daraus gemacht haben.

      Die Wohnung hatte fünf Balkone, zwei davon gegen Süden. Mit einem schönen Blick auf die Stadt.

      Und die habe ich von Anfang an geliebt.

      Du hattest keine Vergleichsmöglichkeiten.

      Die vielen Vergleichsmöglichkeiten, die danach kamen, haben meine Grundeinstellung nicht verändert.

      Da war natürlich von Anfang an Trotz dabei, denn die Mutter hielt Klagenfurt, gemessen an Graz, für ein »Nest«, der Vater, gemessen an Wien, für »tiefste Provinz«.

      Mein Widerstand gegen diese Urteile war instinktiv. Ich habe keine Ahnung mehr, ab wann ich mich zu fragen begann, warum sie irgendwo lebten oder leben mussten, wo es ihnen so gar nicht genügte.

      Du hast den hinter dem Haus bald beginnenden Wald genossen, die drei Teiche, die für Fußball geeignete Wiese beim zweiten Teich …

      … und den Garten vor dem Haus. Der war für Wildwestfantasien hinreichend.

      Du warst immer ein Träumer.

      Ich lehnte stundenlang an der Steinmauer des Balkons …

      … der »Loggia«, bring die Eltern nicht um ihr Vokabular …

      … und träumte den Traum der letzten Nacht weiter: über die Stadt zu fliegen, abzustürzen und sich nicht weh zu tun.

      Der Traum kam später. Als sich die Fluchtgründe häuften.

      Ich kann in meine Bilder keine Reihenfolge mehr bringen.

      Um das Haus herum war reichlich Grün. Man konnte sich in Büschen verstecken, Schnecken quälen, Obst oder Flieder stehlen.

      Es gab auch eine Sickergrube.

      So ein etwa eineinhalb Meter abgesenkter Teil des Gartens zum Straßenrand hin. Wusstest du, was das war?

      Konnte ich nicht wissen. Es war feucht und merkwürdig. Das Spielen in dieser Sickergrube war jedenfalls nicht empfohlen.

      Könnte es damit Zusammenhängen, dass es als unfein angesehen wurde, dem Kind etwas über den Lauf der Exkremente zu erzählen?

      Worin die kleinen als große Schiffe angesehenen Holzstücke im Rinnsal der Straße schwammen, und zwar immer zwei um die Wette, wurde mir erst später klar.

      Als der Kanal gebaut wurde.

      Da war es unvermeidlich, auf die Frage, wozu man einen Kanal baut, eine Antwort zu geben.

      Ich weiß immer noch nicht, was dir an Klagenfurt so liebenswert war.

      Ich sage dir, was mir in den verschiedenen Phasen bis zur Matura die Idee, auch einmal woanders zu leben, als unsinnig erscheinen ließ. Mein Schulweg ins Realgymnasium …

      … damit willst du sagen, dass es zwei Gymnasien gab …

      … führte durch die Stadt. Als ich ihn schon per Fahrrad absolvierte, konnte ich variieren. Ich habe die Stadt also mindestens zwei Mal am Tag eingeatmet. Klagenfurt hatte, und hat wohl noch, mehrere Fußballplätze, ein Drei-Sparten-Stadttheater, ein Künstlerhaus, damals drei Zeitungen und ein …

      … jetzt sind wir beim alles entscheidenden Pluspunkt …

      … ein Strandbad an einem herrlichen See. Wie hätte ich je auf die Idee kommen können, dass es woanders auch schön sein kann?

      Wieso erwähnst du nicht, dass es auch eine Tanzschule gab?

      Zwei bis drei. Aber für mich, der aus einem besseren Haus zu sein hatte, kam nur eine infrage.

      In die war schon deine Schwester gegangen.

      Ja. Was ich nicht vergessen darf: Künstlerhaus und Stadttheater lagen am Schulweg, der Fußballplatz, der später meiner wurde, nicht weit davon.

      Und die Wohnung war schön.

      Es gab ein Schlafzimmer der Eltern, daneben ein Speisezimmer, daneben ein Wohnzimmer mit angebauter Holzveranda, um die Ecke ein Kinderzimmer, zwischen dem und der Küche und dem Bad ein längliches Vorzimmer, die Küche hatte einen Balkon und dahinter eine – na ja – Kammer und eine »Speis«.

      Der kühle Vorratsraum, ohne Sonne, mit Steinboden.

      Der erste Eisschrank kam viel später. Ich denke an eine Zeit, die man heute keinem jungen Menschen mehr erklären kann.

      Krieg,


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