Gespräch unter zwei Augen. Werner Schneyder

Gespräch unter zwei Augen - Werner Schneyder


Скачать книгу
bei meinem spielte in der Verteidigung ein »Ingenieur«. In der Tat war der Klagenfurter-Athletik-Club (KAC) nach allgemeiner Ansicht gesellschaftlich höherwertig, was durch das nachfolgende Mitspielen eines »Doktors« im Mittelfeld auch noch bestätigt wurde.

      Du hast dich angeboten.

      Beim ersten Mal vergeblich. Da ging ich zur Trainingszeit hin und erklärte, ein Tormann zu sein. Das hat aber niemanden interessiert. Ein Jahr darauf stand auf der Sommerwiese ein Mann an der Seite, sah eine Weile zu, sprach dann eine Gruppe von vielleicht acht Buben an und lud die ein, sich in der Schülermannschaft – heute würde man sagen U12 oder U14 – einzugliedern. Bei denen, die das für eine gute Idee hielten, war ich natürlich dabei.

      Dieser Jugendtrainer war ein schlechter Fußballer gewesen und als Trainer eine totale Niete.

      Uninteressant. Er akzeptierte, dass die Neuankömmlinge einen Tormann mitbrachten. Der Sonntag, an dem ich zum ersten Mal eine Dress, eine Tormannhose, bunte Stutzen und mir zu kleine, schmerzende Fußballschuhe anhatte, ist eingebrannt. Ich gefiel. Um nicht zu sagen, imponierte.

      Du warst unbegabt. Als Tormann unbegabt. Ich schränke ein, als Tormanndarsteller geschickt.

      Wie kommst du drauf?

      Du warst lang und schlaksig, aber in den Bewegungen nicht dynamisch. Du hattest keinerlei Sprungkraft.

      Ich hatte außerordentliche Reflexe und ein gutes Stellungsspiel. Ich – jetzt werde ich sportwissenschaftlich – antizipierte überragend.

      Am Anfang. Das verlor sich. Durch Dekonzentration. Durch pubertätsbedingte Nervosität.

      Nervosität gebe ich zu. Wenn am Sonntagvormittag ein Meisterschaftsspiel angesetzt war, saß ich die ganze Nacht davor am Thron. Ich habe in meiner späteren Tätigkeit, sei es Bühne, sei es Fernsehen, nie jemals derartiges Lampenfieber gehabt.

      Du hattest und hast immer Lampenfieber.

      Kein derartiges. Später hat man oft gesagt: »Ich scheiß mich an vor Angst.« Als Tormann hat mich nur das Ausrinnen in der Nacht vor dem Spiel davor bewahrt.

      Du warst ein nervlich zerrütteter Bursche.

      Familiär bedingt. Ich will es mir nicht zum tausendsten Mal erzählen, was ich in meinem Elternhaus erlebt habe, aber es muss begreiflich sein, welche Wichtigkeit die Lebensebene Fußballklub hatte.

      Als Fluchtweg.

      Das ist gut gesagt. Aber mich wurmt immer noch deine Ansicht, ich wäre im Prinzip unbegabt gewesen.

      Vergiss es.

      Ich gebe zu, ich habe grauenhafte Tore bekommen. Aber glaube mir, ich kann jedes Tor, das ich in diesen zwei Jahren, in denen ich die Nummer 1 war, noch genau beschreiben. Wann es fiel, wie es fiel. Wie ich es hätte verhindern können. Müssen.

      Weil du die Szenen immer wieder nachgespielt hast.

      Bis zum heutigen Tag. Jetzt, wo wir darüber reden, könnte ich sie alle beschreiben.

      Nicht nötig. Na ja, vielleicht dein vorletztes Spiel beim KAC, denn das hatte Tragödienausmaße.

      Kann man wohl sagen. Es war ja so, dass wir fast alle Mitbewerber hoch schlugen, bei 8:1 hat sich mit dem einen Gegentor niemand danach befasst. Aber der Stadtrivale war immer Meister, weil wir gegen den verloren. In dieser Saison kamen wir im vorletzten Spiel bei Punktegleichstand gegen ihn dran. Bis zehn Minuten vor Schluss stand es 0:0.

      Und du hast nur mehr daran gedacht, wie du angeben würdest, endlich einmal ohne Gegentor gespielt zu haben.

      Kann sein. Kann sein. Es kam ein Eckball herein, harmlos. Der Verteidiger bekam ihn auf den Kopf, hatte Zeit zur Überlegung, entschied sich, ohne Not den Ball zu seinem Tormann zurückzuköpfeln. Ich schau ihm zu und denke mir, warum köpfelt er den zurück und nicht aus dem Strafraum raus, und da war er auch schon drinnen. Ich hätte nur hochgreifen müssen.

      Ich sage ja: unbegabt.

      Ich lass das jetzt einmal so stehen. Aber ich bitte um Verständnis für die Glücksmomente, die mir keiner nehmen kann, wenn mir gute Paraden gelungen sind.

      Nach denen du immer nach links und rechts geschaut hast, ob sie von draußen jemand gesehen hat.

      Gebe ich zu. Und da gab’s eine Situation, die mir unvergesslich ist, weil wiederum existenziell. Du wirst mich wahrscheinlich warnen, sie zu erzählen.

      Ich kann dich nicht daran hindern.

      Wir hatten die erste Fußballreise vor uns. Von Klagenfurt nach Salzburg. Mit dem Bus. Das ist heute vergleichbar mit einem Flug nach Barcelona. Der Klagenfurter AC hatte gegen den Salzburger AK in einer »Tauernliga« zu spielen, und die Vereine hatten die Idee, ihre U14-Mannschaften als Vorspiel einzusetzen. Wir nahmen die Dressen nach dem letzten Training mit nach Hause. Jeder sollte sie im eigenen Gepäck mitnehmen. Meine Großmutter sah mein Trikot und meinte, das müsse man bügeln, was sie auch tat. Was wir nicht wussten, oder was ich in meiner Aufregung wohl überhört hatte: Vor unserem gab es noch ein Entscheidungsspiel der Salzburger Landesliga. Daher waren 1000 Leute im Stadion.

      »Stadion« ist übertrieben. Aber wie kommst du auf 1000?

      Waren es ganz sicher.

      Ich meine, eher an die 400.

      Auch viel. Ein biografisch historisches Spiel war es jedenfalls. Wir liefen ein.

      In Deutschland sagt man »auf«.

      Das ist jetzt drittrangig. Wir standen also da und erstmals vor – wie auch immer – großer Kulisse. Das Spiel begann. Die rechte Sturmspitze des SAK kam fast bis zur Grundlinie durch und flankte. In für den Tormann dankbarer Distanz und eher weich. Ich nützte die Chance einer erstklassigen Schmähparade. Ich fing den Ball und rollte ab. Der erste Applaus in meinem Leben.

      Wer sagt dir, dass der nicht dem Durchbruch des Stürmers gegolten hat.

      Das spürt ein »Galerist«. Und es ist unvergesslich.

      Ich glaube, das Thema …

      Unvergesslich sind mir auch drei Schaukästen in der Stadt Klagenfurt, in denen der KAC die Termine seiner Mannschaften und deren Aufstellung einer interessierten Öffentlichkeit, also den Spielern, mitteilte. Da las ich immer meinen Namen.

      Falsch geschrieben.

      Das war nicht zu erreichen, dass der Sekretär des KAC mein »y« akzeptierte. So konnte seiner Ansicht nach ein Fußballer nicht geboren worden sein. Aber ich nahm meinen Namen auch mit »i«. Und ging als Tormann durch die Stadt. In der Annahme, als der unübersehbar zu sein.

      In der Hoffnung. Mit 15 war der Traum ausgeträumt.

      Der Traum war vorbei. Nicht die Persönlichkeitsstanze »Tormann«. Ich spielte auf der Uni, bei Gasthausmannschaften, bei einer Firmenmannschaft. Auch im Feld. Wo einer gebraucht wurde. Immer wieder einmal. In Salzburg und Linz in der Theatermannschaft. Dann auch in einer unterklassigen Reserve.

      Du warst viel schwerer geworden. Aber seltsamerweise besser.

      Weil nervlich stabiler. Meine Versagensangst hatte sich verlagert.

      Du hattest genug andere Felder, dich zu fürchten.

      Ich finde es geradezu schicksalhaft, durchaus in der Bedeutung, die dieses Wort in der griechischen Tragödie hat, dass die Kabarettkarriere mit einem letzten Aufblühen des Tormannidols einherging.

      Hildebrandt war Fußballer.

      Ein guter. Beim »FC Schmiere«.

      Und mit diesem, heute noch existierenden, in einem Freizeitverband organisierten Verein kommt die große Figur des Kabarettdirektors Sammy Drechsel ins Spiel.

      Sammy konnte kicken. Richtig gut Fußball spielen. Wie man es im Berliner Hinterhof erlernen konnte.

      Aber er konnte nicht mehr laufen. Konnte keinen Zweikampf mehr gewinnen. Ein bisschen schießen.

      Ganz gut schießen. Nicht scharf, aber technisch gut.


Скачать книгу