Funkelsee – Der Ruf der wilden Pferde (Band 4). Ina Krabbe

Funkelsee – Der Ruf der wilden Pferde (Band 4) - Ina Krabbe


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»Da bist du ja endlich, ich bin fast fertig.«

      Malu verzog das Gesicht. »Wenn es nach mir ginge, wäre ich schon längst hier gewesen. Du weißt doch, die Hotelchefin und die Sklaverei ...«

      Edgar schnitt die Schnur mit seinem Messer durch und begann das Stroh zu verteilen.

      Ping und Pong standen wie festgewachsen im Stall und bewegten sich kein Stück, als Edgar versuchte sie zur Seite zu schieben. »Ihr seit echt zwei Sturköppe«, lachte er und verteilte das Stroh kurzerhand zwischen ihren Beinen.

      Malu wollte ihrem Bruder gerade von den Ratten in der Speisekammer berichten, da schallten plötzlich laute Stimmen vom Schlosshof herüber. Etwas krachte. Die Pferde zuckten erschrocken zusammen und Malu konnte gerade noch zur Seite springen, als die Isländer die Flucht ergriffen und aus dem Stall galoppierten.

      Edgar sprang mit einem Satz über den Zaun und rannte den Weg zum Schloss entlang. Mit wackligen Beinen folgte Malu ihm, so schnell sie konnte. Was war da los?

      2. Kapitel

      Gerade als Edgar das Schloss erreichte, preschte ein pechschwarzes Pferd um die Ecke. Wild bäumte es sich auf, als es Edgar plötzlich vor sich stehen sah. Malu dachte, ihr Herz würde stehen bleiben. Ihr Bruder bewegte sich kein Stück und starrte wie gebannt auf die wirbelnden Hufe. Dann jagte das Tier mit wilden Sprüngen an Edgar und Malu vorbei.

      Es war das schönste Pferd, das Malu jemals gesehen hatte. Das schwarze Fell glänzte wie poliert in der Sonne und die Mähne wehte malerisch von seinem perfekt gebogenen Hals. Fast schon kitschig.

      »Hast du dieses Pferd gesehen«, hauchte Edgar.

      »Es wäre schwer gewesen, es nicht zu sehen«, erwiderte Malu trocken. »Alles ok bei dir?«

      Ihr Bruder nickte schwach. Auch seine Beine zitterten.

      Im nächsten Moment stürmte ein kleiner, hagerer Mann in hellen Jeans und schwarzem Shirt um die Ecke. Seine dunklen Augen funkelten wütend. »Mierda! Bleib stehen, du Bastard«, fluchte er keuchend. In seiner Hand hielt er ein Halfter mit einem Führstrick umklammert. »Wenn ich dich erwische ...« Was er dann machen würde, hörten Malu und Edgar nicht mehr, der Mann war schon an ihnen vorbei und rannte dem Rappen hinterher.

      »Hoffentlich läuft es nicht auf die Landstraße«, sagte Malu leise. Sie musste an Flash denken. Der Vater von Edgars Pferd war auf diese Weise ums Leben gekommen. Ein LKW hatte ihn überfahren.

      Edgar schluckte. Sein Hals war ganz trocken. »So fängt der das Pferd nie ein. Du hast recht, er treibt es direkt auf die Straße zu.«

      »Komm, wir versuchen ihm den Weg abzuschneiden.« Malu hatte den Satz noch nicht beendet, da rasten die Geschwister schon zum Stall zurück und schnappten sich die Trensen. Auf Edgars Pfiff erschien Rocko, ein gutmütiger Schimmel. Mit geschicktem Griff hatte der Junge das Pferd aufgetrenst und sprang auf seinen Rücken.

      Als Malu Schneechen gerade die Trense überstreifte, galoppierte Edgar auf Rocko schon hinter dem schwarzen Pferd her.

      »Angeber«, murmelte Malu und zog den Kinngurt an. »Aber wir lassen uns nicht abhängen, oder, Schneechen?«

      Die Schimmelstute guckte Malu an, als wollte sie sagen, lass die Verrückten doch, wir zwei futtern erst mal gemütlich ein Häppchen Gras.

      »Von wegen, los geht’s.« Malu schwang sich auf Schnee­chens Rücken und trieb die Stute zum Tor. Von den anderen war nichts mehr zu sehen, als sie den Feldweg erreichte. Edgar versuchte bestimmt die Abkürzung über die Felder zu nehmen, dann konnte er mit etwas Glück noch vor dem durchgegangenen Pferd an der Straße sein.

      Malu beschloss den Weg zu nehmen, die beiden würde sie sowieso nicht mehr einholen. Sie drückte der Schimmelstute die Fersen in die Flanken und trieb sie in einen schnellen Trab. Noch immer fiel es Malu nicht leicht, ohne Sattel zu reiten. Sie bemühte sich das Gleichgewicht zu halten und presste die Oberschenkel zusammen. Nicht so fest, du musst locker bleiben, hörte sie Edgars Stimme in Gedanken. Seit knapp einem Jahr versuchte er ihr das Reiten beizubringen. Nachdem sie ihren Bruder unter sehr ungewöhnlichen (um nicht zu sagen mysteriösen!) Umständen kennengelernt hatte, hatte sich ihr Leben komplett auf den Kopf gestellt. Sie war mit ihrer Mutter aus einer kleinen Wohnung ins Schloss zu ihrer Großtante gezogen und – sie hatte drei eigene Pferde: das alte Rennpferd Papilopulus, Schneechen, die einäugige Schimmelstute, und Lapislazuli, das hübscheste Fohlen, das die Welt je gesehen hatte.

      Malu gab Schneechen das Kommando zum Galopp. So ließ es sich wesentlich leichter auf dem Pferderücken sitzen als beim harten Trab. Sie beugte sich über den Hals der Stute und genoss das Gefühl der Freiheit – es gab einfach nichts Schöneres, als im Galopp dahinzufliegen!

      Doch dann wurde Malu abrupt in die Wirklichkeit zu­­rückgeholt. Ein paar hundert Meter vor ihr rannte der dun­­kelhaarige Mann, der allerdings inzwischen merklich langsamer geworden war. Der Rappe hatte anscheinend eine Pause eingelegt und stand mitten auf dem Weg. Sein Kopf ruckte immer wieder nervös nach oben.

      Da ertönte plötzlich ein lautes Hupen hinter Malu. Schneechen machte vor Schreck einen Satz zur Seite und beschleunigte ihr Tempo. Malu kam auf dem glatten Pferderücken ins Rutschen, panisch klammerte sie sich an die Mähne, versuchte das Gleichgewicht wiederzuerlangen und gleichzeitig Schneechen zum Anhalten zu bewegen. Das Hupen wurde heftiger. Motorgeräusche waren zu hören. Endlich hatte Malu die Kontrolle über Schneechen zurück, sie brachte die Stute zum Stehen und wendete das Pferd.

      Ein rotes Cabrio ruckelte über den holprigen Feldweg auf sie zu. Von der Frau am Steuer war nicht viel mehr zu sehen als eine riesige Sonnenbrille und ein pinkes Kopftuch mit Blumenmuster. Wieder drückte die Fahrerin mit aller Kraft auf die Hupe. Was war denn mit der los? Die hatte ja wohl nicht mehr alle Tassen im Schrank. Malu dachte nicht daran den Weg freizumachen. Mit ihrem Lärm würde die Wahnsinnige das Pferd erst recht zur Straße scheuchen.

      Das Cabrio hielt einen Meter vor Schneechen, die unruhig auf der Stelle tänzelte. Die Frau zog sich mit beiden Händen an der Windschutzscheibe ein Stück nach oben. »Caramba! Du da, was fällt dir ein, mach den Weg frei«, schimpfte sie und wedelte mit der Hand, als wäre Malu eine lästige Fliege.

      »Hier können Sie jetzt nicht lang fahren. Ein Pferd ist weggelaufen und mein Bruder und noch jemand versuchen es einzufangen«, erklärte Malu.

      »Was glaubst du, warum ich hier bin?! Das ist mein Pferd. Also weg da!«

      Malu stutzte. Dieses wunderschöne Pferd gehörte dieser furchtbaren Frau?! Das Leben war einfach ungerecht!

      »Wenn Sie weiterfahren und nicht mit dieser Huperei aufhören, treiben Sie Ihr Pferd auf die Landstraße. Und da wird es mit ziemlicher Sicherheit überfahren. Oder wollen Sie es vielleicht loswerden?«

      Das Gesicht der Frau wurde fast so pink wie ihr Kopftuch. »Du unverschämtes Kind! Geh sofort zur Seite.« Sie ließ sich zurück in den Sitz fallen und drückte aufs Gaspedal. Das Auto machte einen Satz nach vorne und Malu musste sich mit Schneechen auf dem Grasstreifen in Sicherheit bringen. Die Frau war doch total verrückt! Wenigstens hatte sie aufgehört zu hupen, während sie den Weg herunterbretterte. Aber auch das nützte nichts. Als das schwarze Pferd das Cabrio näherkommen sah, bäumte es sich auf, machte kehrt und galoppierte in wilden Sprün­gen davon.

      Der fremde Mann, der das Pferd schon fast erreicht hatte, drehte sich erbost um. Aber als er das rote Cabrio entdeckte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck augenblicklich zu einer undurchdringlichen Miene. Eine Staubwolke hüllte das Auto ein, als die Frau abrupt bremste und den Mann einsteigen ließ, dann brausten sie weiter, dem Pferd hinterher.

      Malu drückte Schneechen die Fersen in die Flanken und nahm die Verfolgung auf. Jetzt konnte sie nur noch hoffen, dass Edgar schnell genug gewesen war und die Landstraße schon erreicht hatte.

      Als Malu die Kurve um das Wäldchen nahm, durchströmte sie eine Welle der Erleichterung. Ihr Bruder stand mit Rocko quer auf dem Weg und hatte so den Zugang zur Landstraße blockiert.


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