Unendlich funkenhell. Frau Michelle Schrenk
dass er auf diese Schule gehen darf.« Er zieht die Stirn kraus.
»Das heißt also, ihr kennt euch schon länger?«, will ich wissen. Was man ja durchaus schlussfolgern kann.
Nathan verzieht das Gesicht. »Nun, länger kennen ist übertrieben, aber wir hatten bereits das Vergnügen, ja.«
Doch er wechselt eilig das Thema. »Die nächste Stunde geht gleich los. Was steht bei euch auf dem Plan?«, fragt er, während er aufsteht und nach seinem Tablett greift.
»Wir haben jetzt Biologie.«
Er lächelt mir zu. »Zu schade. Dann sehen wir uns erst morgen wieder.«
Schließlich geben wir unsere Tabletts mit dem benutzten Geschirr an der Theke ab und machen uns auf den Weg in die Klassenzimmer.
»Die beiden können sich eindeutig nicht riechen«, sagt Jill ganz in ihrem Sherlock-Holmes-Modus.
»Das ist wohl so«, sage ich.
»Die Frage ist nur, warum.«
Kapitel 5
»Was hältst du davon, wenn wir noch ein bisschen bummeln gehen? Ich habe da was Cooles auf Instagram bei KassiLondon entdeckt. Das will ich dir zeigen, soll ein absoluter Geheimtipp sein«, sagt Jill, als wir am Freitag bei strahlendem Sonnenschein aus dem Schulgebäude treten. Die Woche ist geschafft, zum Glück, denn auf den Unterricht konnte ich mich kaum konzentrieren. Meine Gedanken gaben irgendwie keine Ruhe.
»Und was ist das für ein Geheimtipp?«
»Es soll das beste Eis und Cupcakes geben und richtig tolle Süßigkeiten, und die beruhigen ja die Nerven.«
Gegen Nervennahrung habe ich in der Tat nichts. Die Tage waren mehr als aufreibend.
»Und wer weiß, vielleicht finden wir ja auch noch was Hübsches für die Party«, fährt Jill fort. »Ich bin so aufgeregt, wirklich. Das wird ein geniales Wochenende.«
Verwundert sehe ich sie an.
»Ich dachte, du hast schon einen Kleiderplan?«
Sie zuckt mit den Schultern. »Hab ich auch. Aber Klamotten kann man doch nie genug haben, oder?«
Sie stoppt. »Sorry, die Sache mit dem Geld, ich bin echt blöd. Aber ein bisschen schauen? Wär das okay?«
»Schauen geht immer«, sage ich und lächle. »Und Süßigkeiten sowieso.«
Auch wenn ich nicht mehr viel Taschengeld habe, weiß ich, dass mich der kleine Bummel sicher von den vielen Gedanken über Nathan und Louis, die mich in dieser Woche immer wieder eingeholt haben, ablenken wird.
Ich weiß nicht, was das mit Louis ist, aber in den letzten Tagen hatte ich das Gefühl, dass er mir bewusst aus dem Weg geht. Immer wenn wir uns begegneten, warf er mir merkwürdige Blicke zu und wechselte sogar ab und an die Flurseite. Natürlich kann es auch sein, dass ich mir das nur eingebildet habe. Aber irgendwie lässt mich der Gedanke nicht los, dass es doch so ist und dass dieses Verhalten etwas mit mir zu tun hat.
Ob er am Ende doch auch etwas gespürt hat und mich deswegen meidet? Ich muss an die kurze Berührung denken, als er sich nach der ersten Geschichtsstunde an mir vorbeischob, und an dieses Kribbeln, das sich dabei in mir ausbreitete. Die Berührung war nur flüchtig, und auch wenn sie keine Bilder in mir hervorrief, war da doch dieses kurz aufflammende Licht.
Okay, es klingt verrückt.
Vielleicht ist er auch einfach noch immer sauer wegen des Etuis? Und wenn er mich einfach so nicht leiden kann, dann eben nicht.
Ganz anders ist da Nathan, der sich gern mit mir zu unterhalten scheint und auch durchaus charmant ist. Wir haben ein paarmal zusammen gegessen, dabei erzählte er uns einiges von seinen Reisen.
Wir fahren schließlich mit der U-Bahn zum Covent Garden.
Dort angekommen, biegen wir um eine Ecke, überqueren die Straße, bis Jill auf ein Café deutet, über dessen Eingang der Schriftzug Becci’s Sweets & Cakes & Creams prangt. »Ha, das ist es! Das Café, von dem KassiLondon geschrieben hat!«
Als wir in der ewig langen Schlange stehen – die eindeutig davon zeugt, dass der Geheimtipp wohl doch nicht mehr ganz so geheim ist –, frage ich mich, ob die Idee mit dem Eis wirklich so gut ist. »Das dauert ja ewig«, jammere ich.
Jill wirft mir einen mahnenden Blick zu. »Ab und an muss man für so geheime Geheimtipps eben auch anstehen.«
Tolle Logik, denke ich und lasse meinen Blick schweifen. Dabei fällt mir ein Mann auf, der mich auf merkwürdige Weise mustert. Erst bin ich mir nicht sicher, ob er mich wirklich ansieht, aber er tut es. Er trägt ein braunes Tweedjackett, die etwas spärlichen grauen Haare hat er zur Seite gekämmt. Auffallend an seinem Outfit ist die rote Fliege, wodurch es irgendwie schick wirkt. Immer wieder blickt er zu Boden, fast so, als hätte er etwas verloren, das er jetzt verzweifelt sucht. Dann sieht er wieder zu mir und winkt mir sogar zu.
Okay, das ist etwas gruselig.
Irgendwann kann ich ihn nicht mehr ignorieren, und nachdem wir sowieso so lange warten müssen, stupse ich Jill an. »Der Mann da drüben, ich glaube, der sucht was.«
Sie sieht zu ihm.
»Ja, kann sein, schau nicht hin. Man soll kleine Kinder und alte Leute nicht anstarren, sonst kriegt man sie nicht mehr los.«
Wieder sieht er zu mir und winkt.
»Ich weiß nicht. Er tut mir leid, er wirkt so allein. Weißt du was, ich komme gleich wieder, nur einen Moment.«
»Amy, nein …«
Doch ohne Jills weitere Antwort abzuwarten, löse ich mich aus der Schlange und gehe auf den Mann zu. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, frage ich, woraufhin er nickt und irgendetwas vor sich hin murmelt, das ich nicht verstehe.
»Ähm, was? Suchen Sie etwas, Sir?«, versuche ich es noch einmal, und jetzt sieht er zu mir auf. Er hat blaue Augen, die von faltiger Haut umgeben sind. Sie wirken ein bisschen trüb – zuerst. Denn als er mich sieht, weiten sie sich und beginnen, ein wenig zu strahlen.
»Ach, ich suche nach dem Anhänger. Er ist doch so wichtig, und ich habe versprochen, auf ihn aufzupassen, damit sie ihn nicht bekommen. Die Fänger wollen ihn, aber jetzt ist er weg, und ich suche schon die ganze Zeit danach. Kannst du ihn sehen? Er muss hier irgendwo sein.«
Ein Anhänger? Irritiert sehe ich jetzt ebenfalls zu Boden.
»Wie konnte ich ihn nur verlieren? Die Fänger dürfen ihn nicht kriegen. Der Fluch, jetzt wird er …«
»Welche Fänger? Und welcher Fluch?«, frage ich, doch er murmelt nur irgendetwas.
Ja, ich sollte gehen, aber es scheint ihm wichtig zu sein.
»Ein Anhänger also. Okay, ich helfe Ihnen. Wie sieht er denn aus?«
»Das weißt du doch, Caroline.« Er sieht mich an. »Er ist rund und blau, und darin befindet sich eine Blume.«
Caroline? Okay, ich weiß nicht, denke ich, während ich beginne, mit den Augen sorgfältig den Boden abzusuchen. Ich finde nichts außer einem verrosteten Geldstück, Kaugummi und einem Plastikdeckel.
Als ich den Kopf hebe, winkt Jill mir zu. Mittlerweile steht sie schon ziemlich weit vorn in der Schlange. Sie hat recht. Was in aller Welt mache ich denn da? Ich sollte zu ihr zurückgehen, bevor wir an die Reihe kommen.
Ich räuspere mich. »Tut mir leid, Sir, aber da ist nichts. Sind Sie denn ganz allein hier?«
»Ach, Caroline«, sagt er und seufzt kurz. Sein Blick ist ganz sanft geworden. »Dass du wieder da bist, das macht mich so froh. Ich wusste, sie kriegen euch nicht klein. Ihr wart dem Rätsel schon auf der Spur. Natürlich verrate ich nichts. Aber wo … wo ist denn Will? Er ist doch sonst immer bei dir. Auch wenn ihr nicht dürft, ich …«
Er