Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek. Alexandra Fischer-Hunold

Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold


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traten sie auf die Bühne und verbeugten sich vor dem tosenden Begrüßungsapplaus.

      Wild klatschend reckte ich den Hals, um besser sehen zu können. Wie süß! Der arme Mr Plunkett! Total nervös schritt er jetzt auf die beiden Frauen zu. Als Direktor eines kleinen Internats an der Küste Cornwalls begegnete er eben nur selten richtigen Berühmtheiten.

      »Guck mal!«, brüllte Willow mir über den Applaus hinweg ins Ohr. »Wie schüchtern Mr Plunkett ist!«

      In der Tat. Mr Plunkett traute sich beim Händeschütteln noch nicht mal, Olivia Hartcastle richtig in die Augen zu schauen.

      Ich erkannte natürlich sofort, dass die sportliche Frau mit den kurzen braunen Haaren die Krimiautorin war. Dafür hatte Tante Clarissa gesorgt. Zig Fotos hatte sie mir gezeigt und mir Mrs Hartcastles Lebensgeschichte in allen schillernden Farben nacherzählt. Deshalb wusste ich, dass die schlanke Frau in Jeans, dem legeren Pulli und den Stiefeletten die sportbegeisterte Olivia Hartcastle war, während die etwas fülligere Frau mit den blonden mittellangen Haaren, dem langem schwarzen Wollkleid und den derben Stiefeln Maud Wilkins sein musste.

      »Herzlich willkommen, liebe Olivia, liebe Maud, in eurer ehemaligen Schule«, setzte Mr Plunkett an, um noch, bevor ich mich über die persönliche Anrede wundern konnte, hinzuzufügen: »Lange ist es her, dass wir hier die Schulbank gedrückt haben.«

      Waaas?

      »Lange her, aber unvergessen, Richard!«, lachte Olivia Hartcastle und schüttelte ihm herzlich die Hand.

      »Wir freuen uns so sehr, hier sein zu dürfen.« Und so wie Maud Wilkins’ Augen leuchteten, glaubte ich ihr das sofort. »Zum Glück gibt es noch ein paar Orte auf dieser Welt, an denen alles so bleibt, wie es immer war. Aus jeder Ecke strömt einem hier noch der gleiche Geruch nach Schulbüchern, Putzmittel, Turnschuhschweiß und Kantinenessen entgegen. Und unsere alten Zimmer da oben im Turm sehen auch noch genauso aus wie damals, als wir hier unser Unwesen getrieben haben.« Sie lächelte verschmitzt. »Als ich gestern Abend die Pförtnerloge passiert habe, bin ich plötzlich wieder elf Jahre alt geworden. Wunderbar!«

      »Aber nur in dem Wissen, das Abitur bestanden zu haben und nie wieder eine Klausur schreiben zu müssen!« Mit einem Schaudern schüttelte Olivia die Erinnerung an gruselige Prüfungen ab und kam dann ohne weitere Umschweife zur Sache. »Okay, liebe Leute, auf all diejenigen, die mit uns einen Mord in der Bibliothek begehen wollen, wartet eine ziemliche Menge Arbeit. Immerhin haben wir nur neun Tage Zeit, um ein ganzes Theaterstück auf die Beine zu stellen. Übernächsten Samstagabend wollen wir damit den Höhepunkt und Abschluss der Ehemaligenwoche feiern. Deshalb sollten wir keine Zeit verschenken. All diejenigen, die nur vorbeigeschaut haben, um uns zu begrüßen, bitte ich jetzt, den Saal zu verlassen. Danke, dass ihr gekommen seid!«

      Missmutiges Gemurmel, dumpfes Hochschlagen der Sitzpolster gegen die Rückenlehnen und scharrende Füße erfüllten den Saal. Der Rechtskunde-Workshop begann erst am Nachmittag und die Workshops der anderen beiden Ehemaligen waren für nächste Woche angesetzt – ein Politiker wie Luke Portland und ein erfolgreicher Investmentbanker wie Reginald Travers hatten nun mal nicht unbegrenzt freie Zeit zur Verfügung.

      »Olivia und ich sind ja noch über eine Woche hier«, brüllte Maud gegen die Geräuschkulisse an, um die Unzufriedenen zu besänftigen. »Wir werden ganz häufig die Gelegenheit haben, uns zu unterhalten. Bei den Mahlzeiten, auf den Fluren, im Park … versprochen!«

      »Dann will ich auch nicht länger stören und entschuldige mich.« Mr Plunkett wischte sich den Schweiß von der Stirn. Da vorne im Licht der Scheinwerfer musste es wirklich sehr heiß sein. Nachdem sich der Theatersaal geleert hatte, klatschte Mrs Hartcastle aufmunternd in die Hände.

      »So, jetzt sind wir Theaterschaffende unter uns!« Sie lachte fröhlich. »Und da sich in Künstlerkreisen geduzt wird … sind wir für euch ab sofort nicht mehr Mrs Hartcastle und Mrs Wilkins, sondern einfach nur Olivia und Maud. Alles klar?«

      Tante Clarissa würde in Ohnmacht fallen, wenn ich ihr heute Abend erzählte, dass ich ihre hochverehrte Mrs Hartcastle Olivia nennen durfte!

      »Seitdem wir dieses Projekt gestartet haben, brenne ich darauf, meine Co-Autoren persönlich zu treffen. Also, kommt auf die Bühne und stellt euch vor!«, rief Mrs Hartcastle, äh, sorry, Olivia.

      Die Sache war die … Für eine Schulproduktion mit so wenig Zeit wäre es natürlich viel zu aufwendig gewesen, einen von Olivias dicken Krimiwälzern umzuschreiben. Deshalb hatte sie sich für ihren Kurzkrimi Mord in der Bibliothek entschieden. Den hatte sie dann in den letzten Monaten zusammen mit einigen Schülern online so umgeschrieben, dass er als Theaterstück auf der Bühne aufgeführt werden konnte.

      Wohnt man wie Willow und ich in Ashford-on-Sea, dann weiß man, wie es im Mittelalter gewesen sein muss. Ohne Internet. O.k., ich übertreibe. Wir haben schon Internet, aber eben leider nicht immer. Der Netzempfang lässt hier sehr zu wünschen übrig. Was für ein Glück, dass der in der Schule problemlos funktioniert, denn ansonsten wäre es mit dem gemeinsamen Schreiben Essig gewesen.

      Als Nächste riefen Maud und Olivia diejenigen auf, die das Bühnenbild gestaltet hatten. Ganz fertig waren sie mit ihrer Arbeit zwar noch nicht, wie sie sagten, aber sie lagen gut in der Zeit und alles würde rechtzeitig bereit sein. Dann waren die Schüler an der Reihe, die die Kostüme nähen würden, die das Schminken der Schauspieler übernehmen wollten, und dann die, die für die Requisiten zuständig waren. Dann kamen die Beleuchter und die Leute vom Ton. Ganz zum Schluss, sozusagen als Tüpfelchen auf dem i, betraten die Schauspieler die Bühne. Weil das Projekt wie alle anderen auch Jahrgangsstufen übergreifend war, hatten sich natürlich Schüler der ganzen Schule um die Teilnahme beworben.

      Willow stieß mir den Ellenbogen in die Seite, nickte in Richtung Bühne und verdrehte genervt die Augen. »Guck mal! Das war ja so was von klar.«

      Und wie klar das gewesen war! Poppy und Virginia. Die Schwestern standen nicht nur in vorderster Reihe der Schauspieler, sondern sie schubsten auch jeden weg, der ihnen ihren Ehrenplatz neben Olivia und Maud streitig machen wollte. Sie grinsten hochmütig und fühlten sich wahrscheinlich jetzt schon wie Hollywoodstars.

      Ich entdeckte noch einige andere aus unserer Klasse. Angus und Greg gehörten scheinbar zu den Bühnenbauern. Poppys Freundin Lucinda, wer hätte das gedacht, stand mit Schminkpalette und Pinseln bereit, um das erstbeste Opfer mit Puder, Rouge und Lippenstift zu malträtieren. Zoe bildete mit einem größeren Jungen das Ton-Team und Keira, aus der zehn, war die Einzige von der Requisite, mit der ich schon mal ein Wort gewechselt hatte.

      »Och, guck mal, der da ist aber süß«, schmatzte Willow, während das letzte Stück des Müsliriegels in ihrem Mund verschwand. »Ein echtes Sahneschnittchen!«

      Ich folgte ihrem Blick und entdeckte in der Gruppe der Schauspieler einen Jungen, der wirklich ganz nett aussah. Aber kümmerte mich das? Ich war raus aus dem Spiel. Ich hatte mich längst dafür entschieden, als verrückte Alte mit einem Stall voller Hunde einsam und allein zu sterben. So wie Dorothy Pax, die beste Freundin meiner Tante.

      Bevor ich noch völlig im Selbstmitleid zerfließen konnte, beschattete Maud ihre Augen und spähte in den fast leeren Publikumsbereich. »Und was ist mit euch beiden?« Sie meinte natürlich uns. Denn sonst war ja kein anderer mehr übrig.

      »Ich bin neu«, erklärte Willow. »Die Bewerbungsfrist war schon abgelaufen, bevor ich überhaupt wusste, dass ich auf die Bilton wechseln würde. Könnte ich trotzdem noch mitmachen?«

      »Hmm, das wird schwierig«, brummte Maud und warf Olivia einen Hilfe suchenden Blick zu.

      Olivia verschränkte die Arme vor der Brust und überlegte kurz. »Die Souffleuse!« Sie schlug sich die Hand vor die Stirn. »Wir haben glatt vergessen, eine Souffleuse einzuplanen, Maud!«

      »Was für ein Ding?«, wisperte Willow mir ratlos ins Ohr.

      »Jemanden, der den Text mitliest und den Schauspielern aus der Patsche hilft, wenn sie vergessen haben, wie es weitergeht«, erklärte Maud, als ob sie Willows Frage gehört hätte.

      »Oh, das wäre was für mich!«,


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