Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek. Alexandra Fischer-Hunold

Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold


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an dem sie zusammen mit Maud saß, um eine Szene durchzusprechen.

      »Dein Kugelschreiber? Diesmal?«, fragte Maud, ohne von ihren Notizen aufzuschauen.

      In den zwei Stunden, die wir schon probten, hatte ich Olivias Handtasche aus dem Speisesaal geholt, ihre Brille wiedergefunden (was nicht so schwer gewesen war, denn die steckte in ihren Haaren) und ihr Handy auf dem Waschbecken der Damentoilette aufgespürt.

      »Nimm doch einfach meinen.«

      »Nein, lieb von dir, aber du kennst mich doch«, lehnte Olivia ab. »Weißt du, Amy, ich habe da so einen kleinen Knall. Ich brauche diesen Kugelschreiber. Er begleitet mich seit dem Studium. Er ist mein Glücksbringer. Er ist dünn, schwarz und der Druckknopf ist ziemlich abgerieben. Kannst du schnell auf mein Zimmer laufen und ihn mir holen? Er liegt bestimmt noch auf dem Nachttisch.«

      »Klar«, sagte ich, stellte die Teekanne neben dem Teller mit den lieblos angerichteten Sandwichecken ab und hielt ihr meine Hand entgegen.

      »Was? Ach so, der Schlüssel«, nickte Olivia, um dann den Kopf zu schütteln. »Den brauchst du nicht. Ich schließe nie ab.«

      Durch den Torbogen, durch die früher mal die Kutschen über das Kopfsteinpflaster gerumpelt sind, gelangt man vorbei an der Pförtnerloge in den ersten Innenhof unserer Schule. Der besteht heute zum größten Teil aus einer Rasenfläche, die so aussieht, als ob die Gärtner sie jeden Tag mir der Nagelschere maniküren würden. In der Mitte treffen die gekiesten Wege aufeinander, die strahlenförmig das Ganze durchziehen. Geht man weiter geradeaus, kommt das nächste Tor, und das führt in den zweiten, kleineren und sehr romantischen Innenhofgarten mit Bäumen, Sträuchern, Rosenspalieren, dem steinernen Burgherrenthron und Efeu, das sich die Wände bis in schwindelerregende Höhen hinaufrankt. Hier und da steht eine einsame Bank und lädt zu einer Pause ein.

      Die vier äußersten Ecken des Gebäudes werden von Türmen flankiert. Heute befinden sich die Schlafräume der Schüler darin. Als Externe hatte es mich bisher selten dorthin verschlagen und deshalb kannte ich mich logischerweise auch nicht besonders gut aus.

      Den Westturm zu finden war nicht das Problem, Olivias Zimmer dann schon. Nachdem ich über verwinkelte Flure und gewundene Treppen in den obersten Stock gelangt war, irrte ich erst mal eine Weile planlos über den Gang, bis ich endlich die gut versteckten fünf ausgetretenen Stufen entdeckte, die auf einen Nebenflur führten. Er bildete eine Sackgasse mit vier nebeneinanderliegenden Zimmertüren. Links von ihnen kämpfte sich das Sonnenlicht durch ein blindes Fenster. In der Mitte staubte ein Sessel vor sich hin und gegenüber, verborgen hinter einem muffigen grünen Samtvorhang, ein Eimer, ein Schrubber, ein Besen und ein paar Wischtücher in einer mannsgroßen Nische. Die stammten wohl aus den Zeiten, als auch die oberen Stockwerke noch belegt gewesen waren. Wie ich gehört hatte, war das schon eine ganze Weile her. Um Strom und Heizkosten zu sparen, hatte Mr Plunkett sie vor einigen Jahren dichtgemacht.

      »Die Tür direkt neben dem Fenster«, hatte Olivia mir erklärt und genau durch diese betrat ich jetzt ihr Zimmer. Ehrfürchtig schaute ich mich in dem länglichen Raum um. Hier hatte also die große Olivia Hartcastle ihre Schulzeit verbracht. Wenig spektakulär und ziemlich zugig. Ein kleines Fenster über dem Bett, ein Schreibtisch an der Außenwand und ein Schrank an der Wand zum Nebenzimmer, daneben ein Waschbecken mit einem gesprungenen Spiegel. Auf dem Schreibtisch entdeckte ich Bücher, Papiere, Klebezettel und einen Terminkalender. Stifte, aber kein dünner, schwarzer Kugelschreiber, ein Laptop … ah … da auf dem Nachttisch, da lag er ja!

      Olivia und Maud mussten wirklich ziemlich nostalgisch sein, dachte ich mir, bevor ich fröstelnd die Tür wieder hinter mir ins Schloss zog. Als Bestsellerautorin und preisgekrönte Regisseurin waren sie doch bestimmt tausendmal bequemere Unterkünfte gewohnt.

      »Hier, bitte!« Völlig aus der Puste hielt ich Olivia den Kugelschreiber hin.

      »Danke dir.« Mit verzweifelter Miene nickte sie auf das Thunfischsandwich in ihrer Hand. »Ich hatte völlig vergessen, wie grauenerregend das Zeug ist, das sie einem hier vorsetzen.«

      »Das gehört mal wirklich zu den Dingen, die sich gerne ändern dürften«, stöhnte Maud auf und schob ihren Teller mit dem fast unberührten Gewürzkuchen so weit von sich, wie es nur ging. »Trocken wie die Wüste! Und der Tee ist verwässert, als ob man einen Teebeutel in die Themse gehalten hätte. Widerlich.«

      Plötzlich hatte ich eine Idee.

      »Bin gleich zurück!«, rief ich, schlüpfte in meinen Mantel und wickelte mir im Rennen den Schal um den Hals. Eklige Sandwiches, trockener Kuchen und wässriger Tee? Dem konnte ich abhelfen! Wenn nicht ich, wer dann? Wie der Blitz würde ich schnell zum Little Treasures flitzen, Scones, Törtchen und Sandwiches in eine Pappbox packen, Tee in eine Thermoskanne füllen und in Windeseile wieder zurücksein. Und morgen Früh würde ich das alles direkt mitbringen. Apfeltörtchen, Schokomuffins, Zitronentarte, Kirschkuchen …

      »Hey, du!«

      Aus vollem Lauf legte ich eine Vollbremsung hin, um nicht gegen den Pförtner zu donnern, der sich im Durchgang weit aus seiner Kabine gelehnt hatte. Er schwenkte seine Kappe durch die Luft wie die schwarz-weiße Zielfahne nach der letzten Runde eines Formel-Eins-Rennens. Meine Füße schlidderten über die holprigen Kopfsteine.

      »Ja?«

      »Du machst doch bei diesem Theaterhokuspokus mit.«

      »Äh, ja?«

      »Hier.« Die Kappe wanderte wieder auf seinen kahlen Kopf, dafür wedelte er mir jetzt mit einem Brief unter der Nase herum. »Der ist für Mrs Hartcastle. Ist eben gekommen. Per Kurier. Scheint wichtig zu sein. Ich wollte ihn ihr gerade bringen, aber das kannst du ja nun für mich erledigen.«

      »Mache ich!«, versprach ich, nahm den Brief entgegen und stopfte ihn im Losrennen in meine Manteltasche.

      »Falsche Richtung«, brummte der Pförtner hinter mir her, dann leierte er tonlos, als ob er diesen Vortrag schon Generationen von Schülern gehalten hätte: »Den Schülern ist es während der Schulstunden untersagt, das Schulgelände ohne besondere Erlaubnis des Klassenlehrers oder des Direktors oder sonst einer Person des Lehrkörpers zu verlassen. Hast du eine? Erlaubnis, meine ich?«

      »Nein.« Ich schüttelte den Kopf.

      »Also, dann … Richtungswechsel und ab mit dir.« Damit schob der Pförtner die Glasscheibe seiner Kabine zu und ließ sich auf seinen Stuhl plumpsen, der unter seinem Gewicht aufkeuchte.

      Ich biss mir auf die Unterlippe und entschied schweren Herzens, dass Widerstand zwecklos war.

      Das Klackern meiner Schuhe hallte von den Wänden wider, als ich langsam zum Theatersaal zurückging. Dabei betrachtete ich interessiert den Brief in meinen Händen.

       Olivia Hartcastle

       c/o Bilton Boarding School

      Dann folgte die Anschrift der Schule. Von oben links bis in die Mitte erstreckte sich ein dunkelblauer Sternenschweif umgeben von vielen kleinen Glitzersternen, unter denen das Meer Wellen warf. Irgendwoher kannte ich dieses Logo doch, überlegte ich, nur woher? Aber sosehr ich mir auch den Kopf zermarterte, ich kam einfach nicht drauf.

      »Schon zurück?«, begrüßte mich Maud und wandte sich dann wieder einem Jungen von der Beleuchtung zu. »Hast du verstanden, wie Olivia das Licht haben möchte? Sobald Damian und Poppey … äh …«

      »Poppy!«, half ich ihr grinsend aus.

      Sie verdrehte die Augen. »… ja, Poppy, genau, das Fenster erreicht haben, möchte sie einen einzelnen Spot auf die Fußspuren im Rosenbeet, o.k.?«

      Der Junge nickte und verschwand.

      »Ich wollte euch überraschen und aus dem Tearoom meiner Tante Sandwiches und Kuchen für euch holen. Aber dann bin ich dem Pförtner in die Arme gelaufen und …«, erzählte ich, während ich den Mantel von meiner Schulter streifte.

      »Lass mich raten!« Maud hob ihren Zeigefinger mahnend in die Höhe. »Du darfst während der Unterrichtszeit das Schulgebäude nicht verlassen.


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