Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek. Alexandra Fischer-Hunold
ihn nicht packen konnte. Alles gute Zureden half nichts. Schlussendlich musste ich den Stuhl zur Seite schieben und Percy ins Behandlungszimmer tragen.
Percy war immer noch stinkbeleidigt, als wir endlich im Little Treasures eintrafen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, verkrümelte er sich in seinem Körbchen am knisternden Kamin und drehte mir demonstrativ den Rücken zu.
»Amy, wie gut, dass du da bist!« Tante Clarissas mit Mehl bestäubtes Gesicht tauchte hinter der Kuchenauslage auf.
Ich schnupperte und warf einen Blick auf die alte Standuhr. »Du backst? Um diese Uhrzeit?« Unser Tearoom hatte längst geschlossen.
»Amy, du glaubst nicht, was passiert ist!«, sprudelte Tante Clarissa los, während sie sich die Hände wusch. »Ich kann es immer noch nicht glauben.«
»Nun erzähl schon!« Hungrig inspizierte ich die ziemlich leergefutterte Kuchenauslage.
»Olivia war heute Nachmittag hier«, verkündete Tante Clarissa mit ehrfürchtig belegter Stimme und warf mir einen lauernden Blick zu.
Scheinbar unbeeindruckt umrundete ich die Theke und lud mir das letzte Stück Kirschkuchen auf einen Teller. »So, so. Du nennst sie also auch Olivia«, grinste ich.
»Genau«, seufzte Tante Clarissa glückselig. »Olivia und Maud! Und das verdanke ich alles nur dir. Du bist ja so ein Schatz!«
Glückselig streifte sie sich die Ofenhandschuhe über, tänzelte zum Backofen und zog ein Blech mit duftenden, knusprigen Blätterteigpastetchen aus dem Ofen.
»Ich?« Beinahe hätte ich mich verschluckt.
»Hättest du ihnen nicht vom Little Treasures erzählt, wären sie doch nie hier aufgetaucht.« Tante Clarissa stellte vorsichtig ein Pastetchen nach dem anderen zum Abkühlen auf einem Rost ab. »Sie sind so nett und so sympathisch. Alle beide! Und weißt du, was das Beste ist?«
»Noch besser, als dass du sie duzen darfst?« Überfragt schüttelte ich den Kopf.
»Sie waren so begeistert von unseren Kuchen, Scones und unserer edlen Teeauswahl, dass sie mich darum gebeten haben, jeden Tag für eure gesamte Theatertruppe frische Backwaren und Tee in die Schule zu liefern. Das ist ein Riesenauftrag. Ich weiß nur kaum, wie ich das alles schaffen soll. Jetzt, wo Andrew in den Urlaub gefahren ist und du Schule hast. Da muss ich eben noch ein paar Aushilfen mehr zusammentrommeln. Trotzdem, vor Sonntag wird das nichts. Aber das habe ich ihnen auch schon gesagt.«
Andrew Cox, ein ehemaliger Banker, der irgendwann von London und seiner Arbeit genug gehabt hatte und deshalb nach Ashford gezogen war, um Miteigentümer des Little Treasures zu werden, war ein Goldstück, wie Tante Clarissa immer sagte. Und das nicht nur, weil er der Einzige im Haus war, der sich mit Computern und unserem ständig muckenden Internetanschluss auskannte. Er fehlte uns sehr.
Tante Clarissa hob den Deckel des Kupfertopfes an, der bei niedriger Temperatur auf dem Herd köchelte. »Aber das hier ist für heute Abend.«
»Heute Abend?«, fragte ich überrascht nach und räumte Teller und Gabel in die Spülmaschine.
Meine Tante nahm den bereit liegenden Kochlöffel und begann mit ruhigen, kreisenden Bewegungen im Topf zu rühren. »Es ist zwar nicht der erste Dienstag im Monat, doch man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Nicht wahr?«
Hier muss ich schon wieder etwas erklären. Am ersten Dienstag im Monat trifft sich Tanta Clarissas Ashford-Crime-and-Murder-Club im Little Treasures. Ursprünglich hatte der Club mal aus meiner Tante, Meredith Dickinson, Dorothy Pax und noch drei weiteren Frauen aus Ashford bestanden. Allesamt sind sie total krimiverrückt und treffen sich, um gemeinsam ihre Leidenschaft auszuleben. Nun hatte der Club ein Mitglied mehr. Mich. Mir schwante, was jetzt kommen würde.
»Französisches Kalbsragout Fin mit Champignons für die Pastetchen«, erklärte mir Tante Clarissa betont beiläufig den betörenden Duft, der in gekräuselten Dampfschwaden der Decke entgegenstieg. »Ich muss doch etwas Besonderes servieren, wenn Olivia und Maud heute Abend unseren Krimi-Club mit ihrer Anwesenheit beehren! Einfache Sandwiches wären für diesen Anlass nun wirklich viel zu gewöhnlich.«
Punkt zwanzig Uhr verkündeten die Türglöckchen vom Little Treasures die Ankunft von Maud und Olivia. Selbst die sonst so forsche Sophie Campbell, die Frau unseres Vikars, brachte die ersten paar Minuten vor lauter Ehrfurcht keinen Ton heraus. Und den anderen ging es nicht sehr viel besser. Also übernahm Tante Clarissa erst mal das Reden. Bei einem Begrüßungssekt (ich entschied mich für eine Apfelschorle) stellte sie alle vor und erzählte ihren Freundinnen, wie es zu dieser außerplanmäßigen Zusammenkunft mit den außergewöhnlichen Gästen gekommen war.
»Olivia Hartcastle und Maud Wilkins … Dass ich Sie einmal persönlich kennenlernen würde … das ist so … das ist so«, stammelte Calinda Bennett schließlich, »… so unglaublich.«
Calinda gehört der Friseurladen in Ashford und wenn sie nicht gerade den Leuten die Haare schneidet, färbt oder föhnt, dann liest sie, was nicht niet- und nagelfest ist. Krimis genauso wie die wichtigen Werke der Weltliteratur.
Endlich fand auch Sophie Campbell zu ihrer gewohnten Form zurück. Entschlossen zerrte sie ein Buch und einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche und hielt beides direkt unter Olivias Nase. »Wenn Sie mir das wohl signieren könnten?«
Mord gehört dazu, las ich den Titel und darüber Olivia Hartcastle.
Erst seit einer Woche auf dem Markt und schon war Mord gehört dazu auf Platz eins der Bestsellerliste geschossen. Drei Mal darf geraten werden, von wem ich das wusste. Genau. Von Tante Clarissa.
»Oh, wenn Sie schon mal dabei sind …!« Auch Lydia Scott, die unseren Tante-Emma-Laden führte, hatte Olivias neuesten Krimi im Gepäck. »Den habe ich Meredith heute buchstäblich aus dem Schaufenster weggekauft«, strahlte sie und Meredith nickte bestätigend. Lydia hatte sich nicht nur den Krimis verschrieben. Zum besseren Einschlafen bevorzugte sie Liebesromane.
»Aber natürlich«, lächelte Olivia, ganz der Profi, und wollte gerade nach Buch und Kugelschreiber greifen, als Tante Clarissa dazwischenfunkte.
»Das kann doch warten!« Einladend deutete sie auf die lange Tafel, die sie und ich so schön arrangiert hatten. »Es gibt Ragout Fin mit Champignons und Pastetchen. Beides selbstverständlich selbst zubereitet!«
Nach dem Essen, das ein voller Erfolg gewesen war, wechselten wir zum Tee in die gemütliche Sitzecke am knisternden Kamin, wo Percy immer noch schmollte. Mit einem letzten Blick in die Runde vergewisserte ich mich, dass alle mit dampfendem Tee versorgt waren und dass das Schälchen auf dem Tisch gut mit unterschiedlichen Schoko- und Haferkeksen gefüllt war. Dann hockte ich mich neben Tante Clarissa auf die Armlehne ihres geblümten Lieblingssessels und sah Olivia dabei zu, wie sie auf dem Queen-Anne-Sofa uns gegenüber die Lesebrille auf ihrer Nase zurechtrückte und ein Exemplar von Mord gehört dazu nach dem anderen signierte.
Selbstverständlich musste sie uns dann auch ein Stückchen aus ihrem neuesten Werk vorlesen. Viel zu früh und natürlich an einer zum Zerreißen spannenden Stelle schloss Olivia den Buchdeckel.
»Großartig!«, klatschte Calinda Beifall. »Ganz großartig!«
Wir anderen fielen mit ein. Bescheiden lächelnd neigte Olivia den Kopf und legte das Buch beiseite. »So und jetzt kommt normalerweise der Moment, wo ich meinen Fans Rede und Antwort stehe. Hat jemand Fragen?«
Sophie schien nur darauf gewartet zu haben, denn sie feuerte ihre Frage wie einen Pistolenschuss ab. »Ich finde Ihre Freundschaft so bemerkenswert. Seit der Schule sind Sie doch unzertrennlich, nicht wahr? Eine ganz schön lange Zeit!«
Es war Maud, die das Antworten übernahm. »Seit zweiundvierzig Jahren.« Der Blick in die Vergangenheit schien sie traurig zu machen. Sie musste mehrmals kräftig schlucken, bevor sie weitersprechen konnte. »Durch Zufall kamen wir beide am ersten Tag