Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek. Alexandra Fischer-Hunold

Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold


Скачать книгу
kein Blatt. Natürlich streiten wir uns auch manchmal wie die Kesselflicker, aber nichts könnte unsere Freundschaft kaputt machen.«

      »Und das, obwohl Sie auch noch zusammenarbeiten. Ich könnte das ganz bestimmt nicht.« Der Schokokeks schwebte vor Lydias Mund in der Luft, bevor sie krachend hineinbiss. »Wie machen Sie das nur?«

      »Solange alles nach meiner Nase läuft? … Kein Problem«, scherzte Olivia grinsend und warf Maud über den Rand ihrer Teetasse einen schwer zu deutenden Blick zu.

      »Denken Sie gerne an Ihre Zeit an der Bilton und Ihre alten Klassenkameraden zurück?« Meredith Dickinson angelte sich einen Haferkeks aus dem Schälchen.

      »Oh, ja, sehr gerne sogar!«, schwärmte Olivia, beäugte die Keksschale, entschied sich dann aber doch gegen die Kalorien. »Vor allem in den letzten Jahren vor unserem Abschluss hatten wir eine richtig coole Zeit.« Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und grinste breit. »Ich werde es nie vergessen: Betty O’Donald, Luke Portland, Neal Hillman, Reginald Travers und wir beide. Was hatten wir für einen Spaß!«

      »Betty O’Donald ist die Richterin, oder?«, warf ich kurz ein.

      »Genau die«, nickte Maud.

      »Luke Portland, der Umweltpolitiker, ist mit euch zur Schule gegangen?« Kaum zu glauben, dass Tante Clarissa im Zusammenhang mit Olivia Hartcastle mal eine Wissenslücke hatte.

      »Ja. Wer hätte gedacht, dass aus ihm mal so eine große Nummer werden würde?«, sagte Olivia. »Luke und Reginald kommen am Montag und ich freue mich schon so sehr auf sie. Denn im Gegensatz zu Mauds und meiner Freundschaft hat die Clique von damals die Jahre nicht überstanden. Wir haben sogar sehr schnell den Kontakt zueinander verloren. Von Lukes Politikerkarriere und Reginalds Aufstieg als Finanzgenie haben wir nur aus den Medien erfahren. Dabei waren wir zu Schulzeiten absolut unzertrennlich.«

      »Besonders nachdem du diese wunderbare Idee mit dem Geheimbund der letzten Ritter hattest«, warf Maud von der Seite ein.

      »Ein geheimer Ritterorden?« Interessiert lehnte ich mich vor.

      Olivia zuckte mit den Schultern. »Ach, es war eine Spinnerei. Schon damals habe ich alles verschlungen, was zwischen zwei Buchdeckel passt. Meistens habe ich die Geschichten dann in meinem Kopf weitergesponnen oder ich habe mir einen anderen Schluss ausgedacht, wenn ich mit dem des Buches nicht zufrieden war. Die Nebel von Avalon, ach …« Meredith, Maud und Olivia stießen gemeinschaftlich einen schwärmerischen Seufzer aus … »jeder, wirklich jeder hat damals diese Geschichte um König Artus und seine Ritter der Tafelrunde in sich reingefressen. Ich auch.«

      »Oh, die ist so toll«, rief Lydia. »Ich habe sie erst vor ein paar Monaten gelesen!«

      »Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich den Roman heute immer noch so berauschend fände«, gestand Olivia. »Aber damals hatte ich die Idee: Wir mussten auch einen Ritterorden gründen. Unbedingt! Einen Geheimbund der letzten Ritter. Die anderen musste ich nicht lange überreden. Vor allem Neal nicht. Von Anfang an war es keine Frage, dass er unser König Artus und wir anderen seine Ritter sein würden.«

      »Natürlich brauchten wir auch eine Burg wie König Artus’ Camelot. Die alte, verfallene Kirche im Wald kam uns da gerade recht«, spann Maud den Faden der Erinnerung völlig Feuer und Flamme weiter. Alle Trauer und Melancholie waren aus ihrem Gesicht verschwunden. »Selbstverständlich fanden unsere Treffen immer nachts statt. Wenn ich allein an den Nervenkitzel beim Raus- und Wiederreinschleichen denke! Und dann die alte Kirchenruine bei Nacht. Puh, die war schon für sich allein gruselig genug. Ich weiß gar nicht mehr, wie häufig ich mich vor einem von uns erschreckt habe, wenn er plötzlich im Ritterkostüm mit Kettenhemd und weißem Kittel vor mir stand.« Plötzlich kicherte sie. »Ab und an haben wir auch Liebespaare bei einem geheimen Stelldichein aufgeschreckt. Das war einigen ziemlich peinlich!«

      »Ach, das Ganze war ein Riesenspaß!«, bestätigte Olivia.

      »Und dann hatte Neal den Einfall mit dem Gral der Erkenntnis«, fuhr Maud mit der Erzählung fort und verdrehte amüsiert die Augen. »Neal hatte immer so verrückte Ideen. Der Gral der Erkenntnis war nichts anderes als eine antike Eisenkiste, die Neal auf irgendeinem Dachboden, ich glaube, es war der von seinen Großeltern, aufgestöbert hatte. Sie war wirklich schön und sah geheimnisvoll aus. Neals Idee war nun, dass jeder von uns sein größtes, düsterstes, schlimmstes Geheimnis auf einen Briefbogen aufschreiben und den in einen Briefumschlag stecken sollte. Der Umschlag sollte dann dem Gral der Erkenntnis anvertraut werden. Würde einer von uns jemals dem Geheimbund der letzten Ritter Schaden zufügen, so würde dessen Geheimnis erbarmungslos veröffentlicht werden.« Maud fröstelte. »Hach, die Erinnerung jagt mir heute noch einen Schauder über den Rücken!«

      »Am Ende unserer Schulzeit beschlossen wir dann gemeinsam, den Gral, also unsere gesammelten Geständnisse, in einer feierlichen Zeremonie zu zerstören. Unsere Schulzeit war vorbei und damit trugen wir auch den Geheimbund der letzten Ritter zu Grabe. Die Mitglieder des Ritterbundes trafen sich also ein allerletztes Mal in Camelot, wo Neal vor unseren Augen alle Briefe verbrannte«, schloss Olivia ihren nostalgischen Bericht. Plötzlich sehr nachdenklich drehte sie ihre Teetasse auf der Untertasse hin und her. »Das ist es zumindest, was wir jahrzehntelang gedacht haben.«

      Jetzt wurde Tante Clarissa neben mir hellhörig. »Stimmt das etwa nicht?«

      »Neal ist vor ein paar Wochen verstorben. Wir hatten noch nicht mal geahnt, dass er schwer krank war. Wie denn auch. Wir hatten ja schon Ewigkeiten keinen Kontakt mehr«, sagte Maud mit sehr leiser Stimme. Sie musste sich räuspern, bevor sie weitersprechen konnte. »Bis dann vor einer Woche ein Brief von ihm eintraf. Wie wir jetzt wissen, hatte er seinem Anwalt den Auftrag erteilt, diesen Brief im Falle seines Todes an jeden der ehemaligen Ritter zu versenden.«

      »Neal hat uns alle an der Nase herumgeführt«, brachte Olivia die Sache auf den Punkt. »Er hat den Gral der Erkenntnis damals nicht zerstört. Was er da vor unseren Augen in die Flammen gehalten hat, waren nichts weiter als leere Umschläge. Das schreibt er in seinem Brief. Neal war immer ein Spielkind, das Geheimnisse, Spiele, Tricks und doppelte Böden liebte. Er habe immer davon geträumt, irgendwann mal mit uns allen eine große, lustige Schatzsuche nach dem Gral der Erkenntnis zu veranstalten. Um der alten Zeiten willen. Nur, dass er nicht mehr daran würde teilnehmen können. Deshalb schickt er uns jetzt alleine los, um den Gral zu bergen. Natürlich hat er ihn irgendwo in Camelot versteckt. Das schreibt er. Und dass es unglaublich sei, was wir in dem Gral entdecken würden. Wirklich ganz unglaublich!« Olivia schüttelte fast ärgerlich den Kopf. »Das ist typisch Neal. Immer muss er maßlos übertreiben. Was, bitte, kann eine Handvoll Jugendlicher schon für unglaubliche Geheimnisse haben?«

      »Die alte verfallene Kirche?«, wisperte Dorothy Pax und zerrte unwohl die Ärmel ihrer viel zu großen Strickjacke über ihre Hände. »Aber da treiben sich doch die Gespenster herum!«

      »Gespenster?« Maud und Olivia tauschten einen überraschten Blick.

      »Das ist aber ein seltsamer Zufall.« Es war Maud, die das gemurmelt hatte.

      »Wenn es denn einer ist«, überlegte Olivia mit zusammengezogenen Augenbrauen und gespitzten Lippen.

      »Wie meinst du das?«, fragte Maud irritiert nach.

      »Vielleicht hält sich da auch jemand einfach nicht an unsere Abmachung. Eigentlich hatten wir verbliebenen Ritter ausgemacht, dass wir am Montag alle zusammen losgehen, um im Gedenken an Neal nach dem Schatz zu suchen«, erklärte uns Olivia. »Nur, wenn ich das gerade höre, dann beschleicht mich der Verdacht, dass da jemand einen Alleingang plant.« Sie drehte sich zu Maud um und legte die Stirn in tiefe Falten. »Komm schon, was die anderen können, das können wir auch. Der Wettbewerb scheint eröffnet. Morgen Nachmittag ziehen wir los!«

      Maud zögerte. »Ach, ich weiß nicht, Olivia. Ich finde, das geht nicht. Außer Betty ist doch noch keiner hier. Wir haben es versprochen und sollten unser Versprechen auch halten.«

      »Maud, du bist schon wieder päpstlicher als der Papst. Es ist ein Spiel. Nichts weiter. Neal hätte es amüsiert, wenn wir aus der Suche ein Wettrennen machten. Außerdem, wer sagt


Скачать книгу