Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek. Alexandra Fischer-Hunold

Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold


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stieß ich die Luft aus und Willow lockerte endlich ihren Griff. Im Zeitlupentempo verschränkte Olivia die Arme vor der Brust. »Wen haben wir denn da? Betty O’Donald höchstpersönlich!«

      Zögernd ging Percy auf Betty O’Donald zu und schnupperte kurz ihre Jeans ab. Den Geruch dieser Frau kannte er aus der Schule, na klar. Mit einem letzten Blick zurück zu mir vergewisserte er sich, dass ich mich entspannt hatte. Dann überließ er uns, den Schwanz hoch in die Luft gereckt, dem Neuankömmling und machte sich daran, die Kirche zu untersuchen.

      »Mit Schaufel und …« Maud zog kopfschüttelnd eine Taschenlampe aus Bettys Jackentasche und ließ sie an ihrer Schlaufe vorwurfsvoll vor deren Nase hin- und herbaumeln. »… fehlt nur noch das Bettlaken? Ich fasse es nicht! Wir hatten doch eine Abmachung.«

      Wutschnaubend zerrte Betty O’Donald ihre Taschenlampe aus Mauds Hand. »Spinnst du? Und was soll das Gerede von einem Bettlaken? Plustert euch mal nicht so auf. So wie es aussieht, seid ihr doch aus genau dem gleichen Grund hier wie ich.« Trotzdem ließ das schlechte Gewissen ihr Gesicht unter der breiten Hutkrempe so rot anlaufen wie eine sonnengereifte Chilischote.

      »Was denkst du denn von uns? Wir wollten uns einfach nur mal umsehen«, log Olivia, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

      »Wer es glaubt …«, höhnte Mrs O’Donald und stopfte wütend die kleine Lampe zurück in ihre Jackentasche. Es war nicht zu übersehen: Sie war nervös und stinksauer, weil wir ihre Pläne durchkreuzt hatten. Sie war davon ausgegangen, dass sie allein und ungestört nach dem Gral hatte suchen können, und jetzt waren wir hier und verhagelten ihr die Petersilie.

      »Na gut. Erwischt«, gestand Olivia leichthin. »Wir suchen auch den Gral, aber nur wegen der Gespenster.«

      »Wegen wem?« Spielte Betty O’Donald jetzt nur die Unschuldige oder war sie es wirklich?

      »Vergiss es. Unwichtig! Wollen wir zusammen suchen?«, schlug Olivia versöhnlich vor. »Ich meine, was soll es? Wir sind doch ein Team.«

      Mrs O’Donald zog schnaubend die Luft ein. »Kommt darauf an, wen du zu wir zählst. Die Mädchen gehören nicht dazu.« Sie stieß energisch ihren vorwitzigen Hut hoch, der aber nicht an Ort und Stelle bleiben wollte. Deshalb zerrte sie ihn schließlich wütend vom Kopf. »Der Gral geht nur die Ritterschaft etwas an. Keinen Außenstehenden.« Sie atmete schwer. »Dass ich euch das erst erklären muss!«

      »Ich habe eine gute Idee: Sollten wir den Gral finden, nehmen wir ihn mit, öffnen ihn aber erst am Montag. Zusammen mit Luke und Reginald. Wie abgemacht!«, überging Maud Mrs O’Donalds Vorwurf.

      Die senkte die Augenlider. Ganz offensichtlich war ihr dieser Vorschlag auch nicht recht. Mein Herz hämmerte gegen meine Rippen und es kribbelte meine Arme rauf und wieder runter. Betty O’Donald wollte den Gral für sich alleine haben. Unbedingt. Aber warum?

      »Einverstanden?«, bohrte Maud nach. »Bei allem anderen würde ich eh nicht mitmachen.«

      Zögernd nickte Mrs O’Donald.

      »Wieso über ungelegte Eier streiten?«, meinte Olivia mit einer Handbewegung, die die verfallene Kirche mitsamt Säulen, Steinbänken, Statuen, dem Altar und den wild wuchernden Pflanzen einschloss. »Ich glaube, unsere Chancen stehen eh ziemlich schlecht.«

      Und damit behielt sie in der Tat recht. Wir schoben Blätter zur Seite, rissen Efeu von den Wänden, suchten jeden Zentimeter des Altars nach einem geheimen Mechanismus ab und schoben unsere Hände in unzählige dunkle Löcher und Nischen. (Okay, ich will ehrlich sein. Als Tierarzttochter war Willow ziemlich abgehärtet. Deshalb war sie so lieb und übernahm diese widerliche Aufgabe, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.) Aber außer ekeligen Würmern, Käfern, Kellerasseln und – igitt – Spinnen fanden wir nichts. Als die Schatten in der verfallenen Ruine länger wurden und es zu dunkel, zu kalt und damit ehrlich gesagt auch viel zu unheimlich wurde, um weiterzusuchen, brachen wir ab. Und das, obwohl es noch so viele Ecken gab, in die wir und Percy unsere Nasen noch nicht gesteckt hatten.

      »Oje, da war die arme Olivia bestimmt sehr enttäuscht«, raunte Tante Clarissa und machte sich ganz lang, um die hinterste Ecke der Kuchenauslage auszuwischen. »Das klingt aber auch nach einer echten Sisyphusarbeit. Ihr wisst schon, das war der arme Kerl, der zur Strafe für irgendwas sein Leben lang einen schweren Felsbrocken einen Berg hinaufrollen musste. Doch jedes Mal, wenn er fast oben war, ist ihm das blöde Ding aus den Händen geglitten und wieder hinabgerollt, sodass er wieder von vorne anfangen musste.«

      Es war Abend und Willow und ich hatten Tante Clarissa alles von unserer erfolglosen Schatzsuche berichtet. Weil Willows Stiefmutter seit Donnerstag auf einem Ärztekongress in Brighton war und ihr Vater ihr heute Morgen hinterhergereist war, schlief Willow bei uns.

      »Sieht so aus«, raunte ich aus Tante Clarissas Lieblingssessel. Dort hatte ich es mir mit einem heißen Tee, Percy und einem dicken Lexikon aus dem letzten Jahrhundert, das ich aus Tante Clarissas Bibliothek stibitzt hatte, schön gemütlich gemacht.

      »König Artus und seine Ritter der Tafelrunde«, murmelte Willow und ließ den Finger über ihren Handybildschirm gleiten. »Da ist er ja … Ach, verdammt … das blöde Netz ist schon wieder weg.«

      »Du solltest langsam wissen, dass das hier normal ist«, erwiderte ich, ohne aufzuschauen. Denn im Gegensatz zu Willow hatte ich gerade die Informationen gefunden, die ich suchte. König Artus …

      »Finsterstes Mittelalter!«, brummte Willow mürrisch und schwang die Beine von der Armlehne ihres Sessels.

      »Sieht so aus«, grinste ich und meinte damit die Sage um den mythischen König und seine Ritter. Plötzlich hielt Willow in der Bewegung inne. Mit offenem Mund starrte sie in ihren Becher.

      »Kann doch gar nicht sein!«, quiekte sie. So entsetzt, wie sie jetzt guckte, war von ihrem Kakao mit Sahne nicht ein Tröpfchen übrig geblieben. »Mist. Mist. Doppelmist!«

      »Hier wartet Nachschub.« Tante Clarissa nahm das Kakaokännchen mit dem Blumenmuster vom Stövchen und schwenkte es in der Luft.

      »Oh, Mrs Fern, Sie retten mir das Leben!«, seufzte Willow und stürzte wie eine Verdurstende mit ihrem Becher in der Hand zur Kuchenauslage.

      »Ich kenne doch meine Pappenheimer«, lächelte meine Tante glückselig. Sie liebt es, wenn sie die Menschen mit ihren Leckereien glücklich machen kann.

      »Kurz gesagt«, setzte ich zur Zusammenfassung an. »Ob es König Artus je gegeben hat, weiß wohl keiner so genau. Eher ist es aber unwahrscheinlich. Da gab es einen Typen namens Merlin und ein Schwert, das hieß … Moment …«

      »Excalibur!«, schmetterte Tante Clarissa mit erhobenem Zeigefinger, während sie sich mit einer Teetasse auf dem Queen-Anne-Sofa niederließ. Sie streifte die hohen Schuhe ab und schlug die Füße unter. »Das steckte in einem mächtigen Felsen und auf seinem Griff stand so was wie … Wem es gelingt, dieses Schwert herauszuziehen, der ist der rechtmäßige König Britanniens. Ja, und das war dann Artus.« Tante Clarissa setzte ihre allwissende Lehrerinnen-Miene auf. »Du brauchst gar kein Lexikon. Frag doch einfach mich.«

      »Oh, ja erzähl!«, sagte ich und schlug das Buch zu. Vorsichtshalber ließ ich den Zeigefinger als Lesezeichen zwischen den Seiten stecken.

      Willow schloss die Hände um ihren Kakaobecher, als ob das Kaminfeuer und ihr flauschiger Bademantel nicht genug Wärme spenden würden, und kuschelte sich wieder in ihren Sessel. Ganz gespannt auf das, was wir jetzt zu hören bekämen.

      »Also, dieser Typ, wie du ihn nennst, Merlin, war ein Druide, vielleicht ein Zauberer. Er prophezeite, dass nur derjenige, der zum wahren König von Britannien bestimmt sei, das Schwert Excalibur aus dem Stein, in dem es feststeckte, hervorziehen könne. Dieser jemand war Artus. Später versammelte er in seiner Burg Camelot edle Ritter um sich. Sie saßen an einem runden Tisch, in der sogenannten Tafelrunde, sodass keiner dem anderen bevorzugt wurde. Tapferkeit, Edelmut und höfisches Benehmen bestimmten ihr Leben. Es gab Kriege, Verrat und die Suche nach dem Heiligen Gral. Aber wie du schon gesagt hast, das entstammt alles dem Reich der Mythen und Artus hat es, genauso wie seine edle Ritterschar, vermutlich nie gegeben.«


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