Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek. Alexandra Fischer-Hunold

Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold


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noch wem von unserem Gral erzählt. Also, ich geh morgen auf jeden Fall auf die Pirsch. Du kannst es dir ja noch überlegen, du alte Prinzipienreiterin! Manchmal bist du echt langweilig.«

      »Dürfen Willow und ich mitkommen?« Ein Brummen aus dem Hundekörbchen erinnerte mich daran, dass ich jemand ganz Wichtigen vergessen hatte. »Und Percy natürlich auch.«

      »Eine hervorragende Idee. Mit Percy werden wir dem Gral bestimmt schneller auf die Schliche kommen als die anderen«, freute Olivia sich händereibend. Sie stieß Maud in die Seite. »Komm, jetzt sei doch nicht so eine verdammte Spießerin!«

      Maud hob schicksalsergeben die Schultern. Die Sache war also gebongt und ich hochzufrieden. Das waren die Mitglieder des Ashford-Crime-and-Murder-Clubs aber erst, nachdem sie die beiden noch mit vielen, vielen Fragen gelöchert hatten. Und bestimmt hätten sie damit noch bis weit nach Mitternacht weitergemacht, hätte Maud sich nicht irgendwann gähnend gestreckt und verkündet, dass sie jetzt dringend ins Bett müsste, weil sie sonst morgen die Probe verschlafen würde.

      Den ganzen Abend hatte ich mich darüber gewundert, dass Meredith so außergewöhnlich still gewesen war. Nun war sie nie so forsch wie zum Beispiel Sophie Campbell oder Calinda Bennett. Ganz im Gegenteil. Sie war eher schüchtern und von der zurückhaltenden, bedachten Sorte, aber sooo still? Das war selbst für sie ungewöhnlich. Sie war auch die Einzige, die sich kein Buch hatte signieren lassen. Und das als Buchhändlerin und Krimiliebhaberin! Stattdessen hatte sie die Arme vor der Brust verschränkt, jedem Wort der beiden Freundinnen gelauscht und sie eingehend gemustert. Dabei hatte sich ab und an ein amüsiertes Lächeln auf ihr Gesicht gestohlen.

      Als die anderen gingen, blieb sie, um uns beim Aufräumen zu helfen. Und während ich die Tische, die Tante Clarissa und ich zu der großen Tafel zusammengeschoben hatten, wieder auf ihre angestammten Plätze wuchtete, wurde ich das Gefühl nicht los, dass sie uns etwas sagen wollte. Bis zum Schluss spannte sie mich auf die Folter. Erst als sie in ihren Mantel schlüpfte, rückte sie mit der Sprache heraus.

      »Ich weiß gar nicht … habe ich euch mal erzählt, dass ich auch auf die Bilton gegangen bin?«

      »Mit keinem Wort«, gab Tante Clarissa etwas beleidigt zurück und nahm die Hand wieder von der Türklinke.

      »Zusammen mit unseren beiden Ehrengästen von heute Abend«, ergänzte Meredith.

      Mir blieb die Spucke weg. »Du warst …?«

      Meredith nickte, während sie ihren Mantel zuknöpfte. »… mit der edlen Ritterschaft in einer Klasse. Ja! Und immer noch bin ich Luft für sie. Damals wie heute. Aber, na ja, sie waren auch ein eingeschworener Kreis, der sich für die anderen in der Klasse nicht interessierte. Mir hat es nicht viel ausgemacht, dass ich für sie quasi nicht vorhanden war. Schon damals war mir die Gesellschaft guter Bücher wichtiger. Aber Richard Plunkett, der hat richtig gelitten.«

      Ich tippte mir an die Brust. »Unser Mr Plunkett? Ich meine, unser Direktor? Der war auch mit euch in einer Klasse. Echt?«

      »Rumgedienert hat er bei ihnen wie ein unterwürfiger Hund. Doch er hatte nicht den Funken einer Chance. Er war ihnen einfach nicht cool genug. Der arme Tropf! Dabei könnte ich schwören, dass er unsterblich in Olivia verliebt gewesen ist. So wie er ihr immer hinterhergeschmachtet und jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat. Manche Dinge ändern sich eben wirklich nie. Aber ich muss dringend ins Bett.« Schon in der Tür schlug sie ihren Mantelkragen hoch, drückte uns noch mal herzlich und versicherte: »Es war ein hochinteressanter Abend. In vielerlei Hinsicht. Und wie immer werde ich morgen mindestens ein Kilo mehr wiegen, Clarissa. Habt vielen Dank für alles!«

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      »Ich bin ganz aufgeregt. Ob sich die alte Kirchenruine sehr verändert hat?«, juchzte Olivia.

      Es war Samstagnachmittag und die Proben für das Theaterstück waren für heute abgeschlossen. Wir lagen gut im Zeitplan und würden morgen die Mordszene einüben. Eingehüllt in Jacken, Schals und Mützen stapften Maud, Olivia, Willow und ich von der Schule über die vom Regen der letzten Tage vermatschte Wiese auf den nahe gelegenen Wald zu. Percy trabte eifrig vorneweg.

      »Wir sollten schon einen Zahn zulegen«, mahnte Maud mit skeptischem Blick in Richtung Himmel. »Allzulange wird es nicht mehr hell sein.«

      Willow schauderte. »Ich finde es schon so gruselig genug. Mit den ganzen dunklen Wolken am Himmel. Guckt doch mal, wie die eingefallenen Kirchtürme zwischen den Baumskeletten herausragen. Unheimlich!« Wie zum Schutz zog sie ihren Schal bis zur Nasenspitze hoch.

      Es hatte mich einiges an Überredungskunst gekostet, um meine hasenfüßige Freundin von diesem Ausflug zu überzeugen, und mittlerweile bereute ich es schon. Willow war einfach nicht für Abenteuer dieser Art geboren.

      Leise raschelte das Laub unter unseren Füßen, als wir in den finsteren Wald eintauchten. Fast war es, als ob jemand das Licht gedimmt hätte. Dicht aneinandergedrängt huschten wir zwischen den stummen Baumstämmen auf unser Ziel zu. Ich schauderte, als mein Blick auf die windschiefen, vermoosten Grabsteine des mittelalterlichen Friedhofs fiel, und eilte schnell daran vorbei. Dann stand sie plötzlich vor uns: die alte Kirchenruine.

      Wir nahmen uns eine Weile Zeit, um den Anblick auf uns wirken zu lassen. Jedes Kind aus Ashford ist schon zig Mal hier oben gewesen. Entweder um sich zu gruseln oder um mit seinen Freunden Verstecken zu spielen. Ich natürlich auch. Immer mit Percy. Doch das war meistens im Sommer und bei strahlendem Sonnenschein gewesen und nicht an einem trüben Oktobernachmittag, an dem die düsteren Wolken den Himmel viel zu früh verdunkelten. Die beiden Kirchturmspitzen standen noch, auch wenn Regen, Stürme und die vom Meer versalzene Luft über die Jahrhunderte ihre Spuren hinterlassen und sie teilweise zum Einsturz gebracht hatten. Als hätte ein hungriger Riese einmal herzhaft zugebissen, zeigte sich ein großes Loch mit ausgefransten Rändern im Dach. Die meisten Bleiglasfenster waren zerbrochen, die wahrscheinlich einmal schönen Motive zerstört. Vom Boden und den Wänden hatte die Natur wieder Besitz ergriffen. Wie ein vielarmiger Oktopus hatte das Efeu seine Ranken durch jedes zerbrochene Fenster und in jede Ritze zwischen den groben Steinen geschoben.

      »Inspirierend!«, hauchte Olivia begeistert, raffte ihre Wetterjacke und kletterte flink über einen vermoosten Steinhaufen ins Innere der Kirche. Wir anderen folgten ihr ganz vorsichtig, denn unsere Gummistiefel rutschten auf dem feuchten Moos immer wieder ab. Andächtig sahen wir uns um. Säulen und Innenwände standen zum Teil noch. Dazwischen Bänke und Engelsfiguren aus Stein, denen mal der Kopf, mal ein Arm oder eine Hand fehlte. Auch der Altarblock hatte bessere Zeiten gesehen, war aber noch recht gut erhalten. Die Bäume, die Vogelnester, das Efeu, die Farne und sonstige Pflanzen, die sich die Kirche Stück für Stück zurückerobert hatten, verliehen dem Ganzen eine märchenhafte Stimmung. Ich hätte mich wirklich nicht gewundert, wenn gleich eine Fee um die Ecke gebogen wäre.

      »Meine Güte!« Maud plusterte die Wangen auf und atmete hörbar aus, dabei drehte sie sich einmal um sich selbst. »Wie sollen wir denn in diesem Urwald den Gral finden? Neal hat wirklich Humor.«

      Plötzlich spitzte Percy die Ohren. Ein unheilvolles, leises Knurren schnurrte in seiner Kehle und seine Nackenhaare stellten sich auf. Eine Sekunde später legte Willow ihren zitternden Zeigefinger gegen die Lippen und krallte ihre andere Hand in meinen Unterarm. »Da kommt jemand!«

      Ich sah mich suchend um. Maud und Olivia hatten es auch gehört: das Geräusch von knackenden Ästen. Es näherte sich langsam, aber unaufhaltbar. Wir bekamen Gesellschaft.

      »Jetzt wird es spannend«, mutmaßte Olivia unerschrocken. Maud sagte nichts, sondern drehte nur den Kopf in die Richtung, aus der das Knacken auf uns zukam. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Am liebsten wäre ich weggelaufen, aber meine Füße gehorchten mir nicht.

      Mit zwei Sprüngen war Percy bei mir und drückte sich mit vollem Gewicht gegen mich, während er hochkonzentriert um sich blickte. Ich bin bei dir, hieß das. Und ich beschütze dich!

      Ach, mein Percy!

      Es raschelte ein letztes Mal. Dann kraxelte leise fluchend eine


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