Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek. Alexandra Fischer-Hunold

Eine Leiche zum Tee - Mord in der Bibliothek - Alexandra Fischer-Hunold


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sehr darauf gebrannt, von ihm zu lernen, wie man mit Aktien Millionen scheffelt.

      »Wir hatten im Übrigen mit unserer Vermutung recht. Neal hat uns allen den gleichen Brief geschrieben und er ist überall am selben Tag eingetroffen«, fuhr Olivia fort.

      Ich gab es auf. Keine Ahnung, wovon sie sprachen.

      »Typisch Neal, würde ich sagen«, erwiderte Betty und zwang ein trauriges Lächeln auf ihr Gesicht. »Er war doch immer für eine verrückte Idee zu haben. Ich halte gleich einen Vortrag und muss noch checken, ob die Technik wirklich funktioniert. Wir sehen uns, ja?« Im Weggehen drehte sie sich noch einmal um. »Und denkt an unsere Abmachung! Niemand alleine, immer zusammen! Wie damals.«

      »So steht es geschrieben«, gab Maud tonlos zurück.

      Was war das für ein komischer Spruch? Niemand alleine, immer zusammen? Klang ja fast wie bei den Drei Musketieren und ihrem Leitspruch Einer für alle, alle für einen. Dieses ganze Gespräch und dann dieser Spruch … in meinen Ohren klang das verflucht nach einem Geheimnis. Für so was habe ich mittlerweile einen Riecher. Seit meinem nicht ganz freiwilligen Ermittlungserfolg im Mordfall Rubinia Redcliff hatte ich – wie soll ich sagen? – na ja, ich war auf den Geschmack gekommen. Und weil in Ashford-on-Sea Morde zum Glück Seltenheitswert haben, hatte ich mich in Tante Clarissas Krimibibliothek gestürzt. Ich verschlang Agatha Christie, P.D. James, Colin Dexter … und lernte so von den Besten. Und hier gab es keinen Zweifel: Ein Geheimnis lag in der Luft.

      Bald würde sich herausstellen, dass es sehr viel mehr war als das.

      Kaum waren Percy und ich an diesem Nachmittag um die Ecke von Meredith Dickinsons Buchhandlung geflitzt, entdeckte ich Tante Clarissa. In Hut und Mantel, den Kragen zum Schutz gegen den kalten Herbstwind hochgeschlagen, fegte sie die blitzblanken Stufen vor dem Little Treasures ab.

      Ich musste grinsen. Bestimmt hatte sie die Warterei nicht länger ausgehalten. Sie würde sich aber lieber die Zunge abbeißen, als das zuzugeben. Und deshalb tat sie jetzt so auffällig unauffällig erstaunt. »Ach, da seid ihr ja! Ist es schon so spät?«

      An einem normalen Schultag komme ich früher nach Hause. Aber logischerweise hatten Willow und ich heute noch so viel zu bequatschen gehabt, dass wir Ewigkeiten an der Cherry Laurel Lane, an deren Ende Willows Haus stand, verbracht hatten. Bis uns der kalte Atlantikwind zu ungemütlich geworden war.

      Tante Clarissa streifte den Ärmel zurück und warf mit todernster Miene einen Blick auf ihren nackten Unterarm. »Oh, ja wirklich!«, raunte sie.

      Ich hätte mich wegschmeißen können. Unglaublich!

      Mein armer Percy war von seinem ersten Tag als Schauspieler total erledigt. Schlaff hing er in meinen Armen, als ich ihn aus dem Fahrradkorb hob. Er wollte jetzt nur noch drei Dinge: Wasser, Futter und sein Körbchen, und das genau in dieser Reihenfolge.

      Möglichst beiläufig fragte Tante Clarissa zwischen zwei Besenstrichen: »Wie war es denn so?«

      »Schön«, spielte ich das Spiel mit.

      »Schön?« Der Besen stoppte mitten auf der Stufe. Tante Clarissa legte den Kopf schräg, stützte beide Hände auf den Besenstiel auf und platzte heraus: »Nun spann mich doch nicht so auf die Folter, Amy!«

      »Was willst du wissen?«

      Bevor Tante Clarissa sich mit dem Little Treasures ihren Lebenstraum von einem gemütlichen Tearoom erfüllt hatte, war sie bis zu ihrer Pensionierung Direktorin der Ashford Primary School gewesen. Da hatte sie reichlich Erfahrung im Würmer-aus-der-Nase-Ziehen sammeln können. Und so saßen wir wenig später bei dampfendem Tee, einer Etagere mit superfrischen Thunfisch-, Gurken- und Hühnchensandwiches und dazu herrlich duftenden, goldgelben Scones in unserer Lieblingsecke am Kamin, wo Tante Clarissa mir Löcher in den Bauch fragte. Hatte Olivia Hartcastle Humor? War sie so hübsch, sympathisch und lustig wie in den Fernsehinterviews, die Tante Clarissa gesehen hatte? War sie bei den Proben streng oder nachsichtig? Hatte sie was darüber erzählt, wie sie an ihre Ideen kam? Oder wo sie am besten schreiben konnte? Und wie war denn Maud Wilkins so? Die hielt sich ja meistens eher zurück und überließ Olivia das Reden.

      Geduldig beantwortete ich ihr alle Fragen, so gut ich konnte. Tante Clarissas schwarze Hornbrille wanderte dabei mal in ihr kurz geschnittenes weiß-graues Haar, mal landete sie wieder auf ihrer Nase. Ende Oktober kommen nicht so viele Touristen nach Cornwall und damit nach Ashford-on-Sea wie im Sommer. Deshalb und weil es schon fast sechs war, musste Tante Clarissa nur zwei Mal aufstehen, um den letzten Gästen des Tages die Rechnung zu bringen und abzukassieren. Ihre neue Aushilfe hatte sie schon vor Stunden nach Hause geschickt.

      »Du darfst Olivia zu ihr sagen und sie duzen?« Tante Clarissas Teetasse landete scheppernd und begleitet von einem ehrfürchtigen »Dafür würde ich glatt morden!« auf der Untertasse. Hatte ich es nicht gleich gewusst?

      Tante Clarissa war echt so was von süß! Wie sie so dasaß mit vor Aufregung geröteten Wangen und leuchtenden Augen. Mit ihren vierundsiebzig Jahren ist sie der Inbegriff einer eleganten, älteren Dame. Eine richtig vornehme Dame, die sich aber durchaus nicht zu fein ist, auch mal das verstopfte Klo zu reparieren, einen Nagel in die Wand zu hauen oder mit Schaufel, Gartenschere und Rechen unseren Rosengarten in Schuss zu halten. Und ich bin heilfroh, dass Tante Clarissa so fit ist. Denn ich liebe sie sehr! Für mich ist sie der wertvollste Mensch auf der Welt, und das nicht nur, weil ich außer ihr niemanden mehr habe.

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      »Also, Amy, du müsstest jetzt Percy dazu bringen, dass er Damian und Polly …«

      »Pop-py!«, korrigierte Poppy knurrend, und das nicht zum ersten Mal an diesem Freitagvormittag.

      Willow saß am Bühnenrand und prustete vor Lachen in ihr Skript.

      »Sehr wit-zig!«, schnappte Poppy zu ihr rüber.

      »Du. Sagst. Es«, antwortete Willow jedes Wort besonders betonend.

      »Poppy, natürlich, tut mir leid.« Maud fasste sich entschuldigend an die Stirn. Dann umschloss sie mein Handgelenk und zog mich zu einem der Markierungskreuze. »Also, Percy muss von hier aus …« Mit großen Schritten führte sie mich in einer Schlangenlinie quer über die Bühne. »… diese Strecke abschnuppern und Damian und …« Hoch konzentriert kniff Maud die Augen zusammen und legte sich wieder die Hand an die Stirn. »… Poppy!«, stieß sie erleichtert aus. »… zu den Fußabdrücken im Rosenbeet vor dem Fenster der Bibliothek führen. Bekommt du das hin?«

      Percy, der ohne Aufforderung wachsam neben uns hergetrippelt war, legte den Kopf schräg und schaute Maud aus seinen treuen Hundeaugen vorwurfsvoll an. Ganz so, als ob er sagen wollte: »Geht es noch? Ich bin ein Irish Terrier mit einem Stammbaum großartiger Jagdhunde. Da werde ich ja wohl einen Weg abschnüffeln können!«

      Und damit hatte er natürlich vollkommen recht. Hundemenschen sind ja manchmal ziemlich bekloppt. Ständig behaupten sie, was ihre Hunde Tolles können. Dabei stimmt das meistens gar nicht. Aber mein Percy, der versteht wirklich jedes, absolut jedes Wort. Er ist nämlich mit Abstand der schlauste Hund der Welt. Und das behaupte ich nicht nur, das stimmt auch!

      »Dieser Hundeblick!« Übertrieben seufzend griff sich Maud an die Brust. »Zum Dahinschmelzen! Hätte ich nicht so ein hektisches Leben, Percy, ich würde dich vom Fleck weg einpacken und mitnehmen. Und bitte entschuldige die blöde Frage.«

      Percy entschuldigte und schnüffelte Damian und Poppy wie gewünscht über die von mir mit Leckerli markierte Wegstrecke zielsicher zu den verräterischen Fußabdrücken. Zum Glück spielte er den Spürhund von Detektiv Issac Davenport und nicht von seiner Assistentin. Denn Poppy hätte ich meinen Percy schon aus Prinzip nie im Leben anvertraut. Seine nasse Hundeschnauze musste sich ihr nur auf zehn Meter nähern und schon schrie sie hysterisch irgendeinen Blödsinn, von wegen Percy würde stinken wie ein nasser Teppich! Aber wie gesagt, Percy verstand jedes Wort und Menschenkenntnis hatte er sowieso. Folglich war er schlau genug, um Poppy fortan zu meiden wie der Teufel das Weihwasser.

      »Ach,


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