Heilung als schöpferischer Prozess. Klaus-Dieter Platsch
ist er das nicht. Der Organismus wird jeden Moment abgebaut und wieder neu aufgebaut. Unser Immunsystem filtert jeden Moment Abertausende funktionsuntüchtige oder krebsentartete Zellen aus unserem Organismus aus. Innerhalb eines Jahres sind fast alle Atome des Körpers ausgetauscht. Wir sind also nach einem Jahr komplett neu! Jeden Tag geben wir sieben Prozent unserer Körpermasse durch Atmung, Verdauung und Transpiration nach außen ab. Das ist so viel wie die Masse eines ganzen Armes! Und jeden Tag nehmen wir dieselbe Menge an Körpermasse über Nahrung, Flüssigkeit und Atemluft wieder auf. In der Bilanz haben wir also alle vierzehn Tag einen kompletten Austausch auf der Ebene der Körpermasse. Das, was wir in die Umwelt abgeben – also, um im Bild zu bleiben, jeden Tag einen ganzen Arm –, wird woanders wieder neu verwendet und in anderen Strukturen des Lebens integriert. So stehen wir in einem permanenten Austausch mit der Umwelt. Was sind schon »meine« Atome? So sind wir auch physisch mit der Welt um uns herum in innigster Verbindung – und das im wahrsten Sinne global. Die Atome unseres Atems werden von den Windströmen bis in die letzte Ecke dieser Erde getragen und schaffen in anderen Kontinenten neue Strukturen und Organismen. »Meine Atome« werden zum Teil eines asiatischen Tigers, die Atome eines Afrikaners oder einer Asiatin werden zu meinem Herzen. Die Vorstellung, wir seien separate Existenzen, lässt sich so nicht halten. Wir müssen erkennen, dass wir von der Natur, den »anderen« Menschen, der Erde und dem Kosmos ungetrennte und in grenzenloser Verbundenheit existierende Lebewesen sind.
Das intelligente Hintergrundfeld
WELCHE INTELLIGENZ BEWIRKT NUN, dass bei all diesem steten Kommen und Gehen der Atome und Moleküle unser Organismus dennoch seine Form und Gestalt, seine Integrität, behält? Dass unsere äußere Erscheinungsform konstant bleibt (abgesehen von den Änderungen des Wachsens und Älterwerdens), dass die Leber Leber bleibt, das Gehirn Gehirn und das Herz ein Herz? Verantwortlich dafür ist ein intelligentes In-Formationsfeld, das im Hintergrund unserer molekularen-organischen Struktur wirkt. Ein Feld – leer von Materie, jedoch von höchster Energie und angefüllt mit In-Formation –, das weit über die Manifestation des Organismus in Form und Gestalt hinausgeht. Dieses Hintergrundfeld birgt ein schier grenzenloses schöpferisches Potenzial. Für unser physisches Leben, für unsere psychomentale Existenz realisieren sich daraus die jeweils entsprechenden In-Formationen, die gerade dafür benötigt werden. So manifestieren sich unser Körper, die Organe und Gewebe, aber auch unsere Gefühle und die Gedankenwelt. Das In-Formationsfeld enthält quasi eine Blaupause, nach der wir jeden Moment neu entstehen.
Dabei ist das Feld, das im Hintergrund unserer individuellen Existenz schwingt, ein wahres Meer der Möglichkeiten. Es birgt unendlich mehr an In-Formationen, als wir für den jeweiligen Status quo brauchen. Das bedeutet, dass sich jederzeit auch neue, veränderte Strukturen bilden können. Dies ist zum Beispiel bei Krankheit der Fall, wenn sich »neue«, krankhafte In-Formationen durch innere oder äußere Ursachen im Feld durchsetzen – sie quasi die gesunde, physiologische Blaupause krankhaft verändert haben. Für den Heilungsprozess heißt das im Umkehrschluss, dass es nötig ist, wieder die gesunden In-Formationen im Meer aller Möglichkeiten zu aktivieren. Der Eine-Möglichkeit-Zustand, ob gesund oder krank, beinhaltet viel in Struktur gebundene Energie und hat deshalb eine relativ niedrige Energieschwingung. Der Mehr-Möglichkeiten-Zustand dagegen hat weniger in Struktur gebundene und damit mehr freie Energie und schwingt höher. Damit gesunde In-Formation, die die kranke überschreiben kann, im Feld aktiviert wird, braucht es eine höhere Energie im Hintergrundfeld. Darauf kommen wir später noch ausführlich zu sprechen. Mit anderen Worten: Je mehr freie Energie vorhanden ist, desto mehr neue Möglichkeiten der Realisierung stehen zur Verfügung.
Wenn wir also verstehen, dass Heilungsprozesse Prozesse kreativer Neuschöpfung sind, dass Schöpfung von einem hochenergetischen Moment aller Möglichkeiten in einen niederenergetischen Zustand von nur noch einer Möglichkeit führt, dann ergibt sich von allein, dass Heilungsprozesse die Umkehrung des vorangegangenen krankhaften Manifestationsprozesses sind. Der krankhafte Zustand (die eine aktuell manifeste Möglichkeit) muss in einen reagiblen, kreativen Mehr-Möglichkeiten-Zustand überführt werden. Dazu braucht es unter anderem, dass die Fixierung auf den kranken Zustand beendet wird. Als ein Beispiel: Die Ablehnung von Krankheit, die wir ja fast automatisch erleben (wer möchte schon gern krank sein?), verstärkt die krankheitsunterhaltende In-Formation, anstatt sie zu lösen. Ein Ja zum Leben und zu sich selbst als Person jenseits des Krankseins öffnet eher den Raum, erhöht die frei verfügbare Energie und lässt neue Möglichkeiten zu.
DIE HORIZONTALE BEWEGUNG
Ben Shen, Ling Shu 8 6
DIE VERTIKALE BEZIEHUNG MÜNDET in die horizontale Bewegung des Lebens.7 Vertikal meint das zeitlos-ewige Moment der Quelle, das sich in jeder Phase des Schöpfungsprozesses wiederfindet und ihn belebt – der Himmel im Menschen, wie es das Zitat bezeichnet. So ist Leben immer ungetrennt von seinem Ursprung. In der Sprache spiritueller Traditionen ist Schöpfung das Ausatmen der schöpferischen Quelle, in den abrahamitischen Religionen das Ausatmen Gottes, durch das die Welt der Erscheinungen in Raum und Zeit entsteht. Das Ewig-Eine atmet sich aus in das Endlich-Diverse. Im Einatmen der schöpferischen Quelle kehrt alles Erschaffene wieder zum Ursprung zurück.
Die vertikale Beziehung zur Quelle wohnt allem Leben inne – unabhängig davon, ob das bewusst ist oder nicht. Sie ist quasi der göttliche Funke, der uns leben lässt.
Sobald sich aus der Quelle, dem Nullpunkt, Leben manifestiert – sich also etwas aus allen schöpferischen Möglichkeiten in eine Möglichkeit konkretisiert –, ist es den Gesetzen von Raum und Zeit unterworfen. Leben entsteht und Leben vergeht in endlicher Abfolge. Der Atem kommt und geht, das persönliche Leben kommt und geht, die Generationen kommen und gehen, das Universum kommt und geht …
Wir nennen das die horizontale Bewegung. Im Zitat oben aus dem Ling Shu weist die Zeile »das Qi breitet sich aus« genau darauf hin. Und wenn das Zitat zum Ende kommt und es heißt »und dort ist Leben«, dann ist damit der Kreuzungspunkt der vertikalen Beziehung mit der horizontalen Bewegung gemeint. Was nichts anderes bedeutet, als dass dem Leben in Raum und Zeit das Immer-zeitlos-Ewige der Schöpfungsquelle immanent ist. In jeder unserer Zellen atmet das Göttliche, schwingt die Seele in Anbetung an DAS.
Dieser Moment in Raum und Zeit
So gesehen ist Leben der immerwährende Ausdruck der schöpferischen Quelle in Raum und Zeit. Der ewig-zeitlose Atem der Quelle ist eins und ungetrennt mit dem Ein- und Ausatmen des irdischen Lebens, einem Leben, das sich auszeichnet durch seinen Rhythmus und fließende Bewegung.
Wenn ich hier die Bezeichnungen »horizontal« und »vertikal« verwende, dann sind sie als Metaphern zu verstehen – als Bilder, die versuchen, dem Verständnis dessen, was nicht verstehbar ist, einen Ort zu geben.
Das gilt besonders für die vertikale Beziehung. Von alters her lokalisieren wir Menschen das Göttliche oder Gott oben, im Himmel. Das heißt jedoch nicht, dass der Ursprung allen Seins im Himmel liegt. Auch der Himmel in seiner Form und Gestalt ist Teil der Schöpfung aus der einen Quelle und Teil des schöpferischen Lichtimpulses. Wenn das Göttliche immanent ist, ist es überall, drückt es sich in allem aus – und alles trägt in sich die Essenz des Ursprungs. Im Koran gibt es die Figur des KHIDR, der »grünen«, geheimnisvollen Gestalt, als Bote Gottes. Er beauftragt MOSES, »zum Treffpunkt der beiden Meere« zu gehen. Vielfach ist nach diesem geologischen Ort gesucht worden. Natürlich ist dieser Treffpunkt ebenfalls eine Metapher: Das eine Meer steht für das irdische Leben und das andere für das Reich Gottes. Die Meere verbinden sich dort nicht. Das heißt, das irdische und das göttliche Reich sind einerseits verbunden, andererseits jedoch